Martin PatzeltCDU/CSU - Änderung des Aufenthaltsgesetzes
Frau Präsidentin! Liebe Gäste in unserem gemeinsamen Haus! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Zunächst muss es ja befremdlich und unangemessen, ja vielleicht sogar widersinnig wirken, dass vor sechs Monaten gerade Familienpolitiker der CDU/CSU gemeinsam mit dem Koalitionspartner SPD den Familiennachzug für subsidiär geschützte Flüchtlinge für die Dauer von zwei Jahren ausgesetzt haben. Herr Veit, nicht das, was Sie hier gesagt haben, verwundert mich, sondern – da ist „verwundert“ noch ein gelinder Ausdruck – dass Ihre Fraktion Sie hier zu dem Gesetzentwurf und dem Antrag der Opposition sprechen lässt und dass Sie dabei unseren gemeinsamen Beschluss,
(Rüdiger Veit [SPD]: Wir sind liberal!)
den Sie krankheitsbedingt nicht mitvollziehen konnten und dann versucht haben, nachzuvollziehen, hier für die SPD derart infrage stellen. Das verwundert mich sehr.
(Beifall bei der CDU/CSU – Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Er ist freier Abgeordneter! Dem Gewissen verpflichtet!)
Wir sind hinter die Maßstäbe zurückgefallen, die wir uns selbst einmal – das ist gar nicht so lange her – im Zusammenhang mit dem Schutz, den wir Asylberechtigten und Flüchtlingen gesetzlich verbürgen wollten, gesetzt haben; das ist wahr. Insofern verstehe ich den uns vorgelegten Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und den Antrag der Fraktion Die Linke als Anliegen, nochmals öffentlich darauf aufmerksam zu machen, dass die Regierungsfraktionen eine Beschneidung von Rechten respektive allgemein anerkannten Menschenrechten vorgenommen haben.
Als Opposition, die außerhalb jeglicher Regierungsverantwortung steht, können Sie locker eine angemessene und menschliche Aufnahme und Betreuung von nahezu 1 Million Schutzsuchender in einem Jahr in unserem Land fordern. Sie können das fordern, weil Sie ja nicht die Verantwortung für diese vielen Menschen haben, auch nicht für die vielen Menschen, die freiwillig noch mehr Verantwortung übernehmen. Sie machen öffentlich darauf aufmerksam, dass wir uns mit dem Aussetzen des Familiennachzuges – dies bedeutet sozusagen eine internationalem Recht widersprechende Trennung von Kindern von ihren Eltern – sozusagen familienfeindlich verhalten.
Als Erstes wäre dem entgegenzuhalten, dass nicht wir die Kinder von ihren Eltern getrennt haben.
(Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja! Sondern der Krieg und die Flucht!)
In den meisten Fällen haben sich wohl die Eltern selber von ihren Kindern getrennt.
(Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein!)
Väter haben vielfach – das beweist eine Vielzahl von Anhörungen – ihre Angehörigen zurückgelassen,
(Birgit Wöllert [DIE LINKE]: Das ist jetzt wirklich daneben!)
weil sie darauf vertrauten – das ist ihnen nicht vorzuwerfen; aber das wird auch durch ihre Argumentation bestätigt –, dass sie nach unseren Gesetzen ihre Familien folgen lassen können. Oder Sie haben ihre Kinder, wenn es sich um unbegleitete Minderjährige handelt, auf höchst ungewisse gefährliche Wege geschickt und in die Hände fremder Menschen gegeben, nicht wissend, wie und wann sie ankommen werden. Das gilt auch für die Väter.
Herr Patzelt, erlauben Sie eine Frage oder Bemerkung von Frau Brantner?
Frau Brantner, bitte, aber – –
So nicht, ja oder nein?
Ja.
Herr Patzelt, es tut mir leid, aber wir müssen hier nachfassen. Sie stehen ja häufig auch auf der Seite der Kinder und Jugendlichen. Deswegen wundert es mich, dass Sie den Eltern vorwerfen, dass sie ihren Kindern diese gefährliche Überfahrt nicht antun wollen. Da ist es doch selbstverständlich, es zunächst alleine zu wagen, wenn man die Hoffnung hat, dem eigenen Kind diese gefährliche Überfahrt ersparen zu können. Schließlich besteht die Gefahr, dass es dabei stirbt. Warum sollten Eltern also dann dieses Risiko eingehen? Es ist somit unsere Aufgabe, dafür zu sorgen, dass die Kinder legal hierherkommen können, ohne diesen gefährlichen Weg auf sich nehmen zu müssen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)
Danke für die Frage, Frau Dr. Brantner. – Das kann man wahrscheinlich nur aus einer persönlichen Sicht beantworten. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ich meine Familie und meine minderjährigen Kinder in dieser Situation zurückgelassen hätte. Das sage ich für mich.
(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben Sie schon mal in Damaskus gelebt im Krieg? – Weitere Zurufe von der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Jetzt ist Herr Patzelt wieder dran.
Stellen Sie eine Frage, wenn Sie etwas wissen möchten. Ansonsten fahre ich fort.
(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Pfui! Dann kann er ja mal in Damaskus leben! – Katja Kipping [DIE LINKE]: Unglaublich!)
Unsere Erkenntnis ist also, dass vor allen Dingen die unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge in vielen bekannten Fällen als Wegbereiter für den Rest der Familie hierhergeschickt wurden oder dass die Väter als Wegbereiter für ihre Familien vorausgegangen sind. Ich habe Ihnen gesagt, dass ich das verstehen kann und dass ich das keinem zum Vorwurf mache; aber es ist so, dass man diejenigen in die Gefahr, auf einen Weg mit einem ungewissen Ausgang – das muss man hervorheben – geschickt hat, die für die Familie eine so große Bedeutung haben,
(Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach, jetzt doch!)
dass man sie mit ihren Familien jetzt so schnell wie möglich wieder zusammenführen will. Abgesehen von den wenigen Fällen, in denen die Kriegsereignisse selber oder die Fluchtwege die jungen Menschen von ihren Familien trennten, haben wir es also mit einem absichtsvollen und geplanten Verhalten der Eltern zu tun. Sie muten sich selbst die Trennung und die Gefahren der Flucht zu – in der ungewissen Hoffnung auf ein baldiges Wiedersehen. Wir haben von Herrn Veit gehört, wie lange es dauert, ehe ein solches Verfahren erfolgversprechend durchgesetzt werden kann.
Wir in Deutschland haben all diese Menschen vorbehaltlos aufgenommen. Wir haben ihnen den erforderlichen Schutz gewährt, und wir werden ihn weiterhin gewähren. Wir haben ihnen Betreuung nach den gleichen Maßstäben wie einheimischen jungen Menschen angedeihen lassen, insbesondere den unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen. Wir haben den gesetzlichen Schutz und die Fürsorge nach dem KJHG den örtlichen Jugendämtern anvertraut. Diese verfügen über die notwendigen Mittel und Erfahrungen, um gerade temporär oder dauerhaft von ihren Familien getrennten Kindern und Jugendlichen eine angemessene Hilfe zu geben.
Das ist eine außerordentliche Herausforderung angesichts der hohen Zahl von Flüchtlingen, der fremden Kultur, die sie mitbringen, und der gegebenenfalls hinzukommenden traumatischen Belastung. Es ist eine außerordentlich große Leistung, die die Jugendhilfeträger hier im Land erbringen. Wir leisten diese Hilfe unabhängig vom tatsächlichen Status, also egal ob Flüchtlinge, Asylberechtigte oder subsidiär Geschützte. Wir haben diese Hilfe über das Volljährigkeitsalter hinaus verlängert, wenn sie sich noch in Ausbildung befinden, und geben ihnen unabhängig von ihrem gesetzlichen Status sogar ein Bleiberecht für ein weiteres Jahr.
Auf der anderen Seite aber gibt es eine große Zahl von in unser Land geflüchteten Menschen, die nicht Asyl oder die Anerkennung als Flüchtlinge in Anspruch nehmen können, sondern sich als Armutsmigranten auf die Suche nach einer besseren persönlichen Zukunft begeben haben und deshalb nicht zufällig in unserem Land angekommen sind. Der zunächst unmittelbare Bedarf an menschenwürdiger Unterbringung und Betreuung, eine gewissenhafte Prüfung des gesetzlich verbürgten Anspruchs auf Bleiberecht, eine sachdienliche und gerechte Verteilung dieser Menschen im Lande, die Rückführung der nicht unter diesem Schutz stehenden Flüchtlinge bzw. die Fürsorge für mindestens ein Drittel der nicht Berechtigten, aber aus verschiedenen Gründen Geduldeten – das waren und sind riesige Herausforderungen, die wir alle miteinander bewältigen wollen und bewältigen müssen.
Unter enormer Kraftanstrengung des Bundes, der Länder und der Kommunen in ihrer jeweils unterschiedlichen Verantwortung sowie unserer Bürgergesellschaft, die nach einem kaum fassbaren positiven Willkommen unterdessen ihr Engagement verstetigt, organisiert und vernetzt, kümmern wir uns um all diese vielen Menschen. Wir tun dies im Wissen um die Notwendigkeit einer zeitnahen Integration, besonders in den Bereichen Sprache und Arbeitsvermittlung. Wir tun dies, um die Entwicklung von Parallelgesellschaften aufzuhalten – wohl wissend, dass es in unserem Land viele Ängste vor und Vorbehalte gegenüber den vielen Fremden gibt.
Wir werden konfrontiert mit ihrer manchmal befremdenden Kultur, ihrer anderen, unseren Werten und Gesetzen mitunter widersprechenden Lebensweise. Wir müssen feststellen, dass sich in unserem Land auch Widerstände und Gewalt gegen diese Menschen entwickeln; das ist bedauerlich und verabscheuungswürdig. Wir wissen, dass in seltenen Fällen – sie werden dann aber zumindest medial sehr verstärkt – sicher auch feindliche terroristische Interessen unsere Bereitschaft zur Hilfe ausnutzen wollen.
Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, trotz all dieser Belastungen und Risiken geben wir Schutz. Wir geben Sicherheit und Kleidung. Wir versuchen, nach und nach für all diese Menschen individuellen Wohnraum verfügbar zu machen. So handeln wir, angefangen beim Gesetzgeber über die Regierung und die Verwaltung bis hin zur Bürgergesellschaft. Wir stellen uns diesen unerwarteten Herausforderungen und erfahren dafür weltweit Ansehen und Dankbarkeit.
Wenn wir unter diesen Bedingungen die Zahl der bei uns ankommenden Flüchtlinge spürbar vermindern – nicht nur bei der Familienzusammenführung –, insbesondere die Zahl derer, die ohne berechtigtes Asylbegehren zu uns kommen, dann ist das nicht allein recht und billig, sondern dann erweist sich dies – das sehe ich so; manche werden das anders sehen – als ein sehr verantwortliches Handeln. Wir haben nämlich die Verantwortung für unsere ganze Gesellschaft.
Verehrte Frau Göring-Eckardt, es ist – ja, wie soll ich es sagen? – einfach Ihrer unwürdig,
(Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Jetzt nicht spalten!)
wenn Sie sagen, dass das Handeln der Regierung deshalb so ist, weil Herr Seehofer im Wahlkampf steht. Dafür gibt es wirklich andere Herausforderungen und Gründe; das darf man nicht billig auf eine parteipolitische Schiene schieben. Wir dürfen die Menschen im Lande auch nicht mit einer solchen Aussage verwirren.
(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie machen das doch die ganze Zeit!)
Wenn Sie so etwas von diesem Pult aus sagen, dann erzeugen Sie den Eindruck, als gehe es nur um parteipolitische Auseinandersetzungen und einen Machtkampf.
(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es ist doch leider so! Ich sage so etwas ja nicht aus Spaß!)
Wir haben aber ganz andere Sorgen. Wir wollen den Frieden in unserem Land erhalten. Das wollen wir!
(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh! Na, dann muss die Not ja schon sehr groß sein!)
Vor diesem Hintergrund ist es auch zumutbar, dass Flüchtlinge eine temporäre Trennung hinnehmen. Sie haben damit gerechnet, sie sind bewusst losgegangen. Die zumeist erwachsenen Kinder und die Väter, die hier leben, können auf ihre Art und Weise – und das tun sie auch – für ihre Familien auch aus der Ferne sorgen. Sie können auch – das will auch ich noch einmal betonen; das wurde ja von meinen Vorrednern schon gesagt – in den besonderen Einzelfällen einen schnellen Nachzug beantragen. Ein solcher Antrag wird, immer gemessen an den Gefahren, die sich tatsächlich stellen, geprüft werden.
(Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Ach ja? Könnte ich Ihnen gleich einmal zehn Gegenbeispiele nennen!)
Nicht in ganz Syrien – das sage ich auch immer wieder öffentlich – herrscht im Moment Krieg. Die schlimme Situation, die es in einigen umkämpften Städten gibt, ist nicht maßstabgebend für das ganze Land Syrien und auch nicht für die Flüchtlingslage in den angrenzenden Ländern. Wir möchten jedenfalls an die Möglichkeit erinnern, in besonders belastenden Situationen ein solches Verfahren auf den Weg zu bringen, und das wird auch getan. Wir können das auch, wenn Sie wollen, in Zahlen ausdrücken.
Ich bin Ihnen, Herr Veit, dankbar für die Vorschläge, die Sie gemacht haben. Dort, wo es möglich ist, sollten wir versuchen, eine Annäherung zu erreichen.
(Rüdiger Veit [SPD]: Ich bin schon seit Wochen dran!)
Das alles sollten wir ernsthaft prüfen und bereden – mit all den Konsequenzen, die sich daraus ergeben. So müsste das Gespräch eigentlich erfolgen. Wir, die wir in der Regierungsverantwortung stehen, sagen: Wir müssen den Menschen in unserem Lande etwas zumuten, was dann auch zu bewältigen ist, und zwar im Interesse der Menschen, die als Flüchtlinge zu uns gekommen sind, und in unserem eigenen Interesse. Das müssen wir ausbalancieren. Dazu hat die Opposition keine Veranlassung. Sie kann hier sehr schön mit Forderungen auftreten.
Herr Patzelt, denken Sie trotzdem an Ihre Redezeit.
Ja, das mache ich, danke schön. Ich bemühe mich, zum Ende zu kommen.
Nein, Sie müssen zum Ende kommen.
Dann lassen Sie mich noch ein Schlusszitat vortragen. Es stammt von einem glaubwürdigen und überzeugenden Verfechter der Hilfen für Menschen, die in Not sind. Papst Franziskus sagte:
Die Regierenden müssen sehr offen sein, sie
– die Flüchtlinge –
zu empfangen, aber auch kalkulieren, wie man sie unterbringt. Denn einen Flüchtling muss man nicht nur empfangen, sondern auch integrieren.
Und der Papst warnt,
wer die eigene Aufnahmefähigkeit ohne Augenmaß berechne, ist am Ende nicht in der Lage, eine Eingliederung
– da sage ich, das gilt auch mental –
zu ermöglichen. Die Folge könne eine gefährliche „Ghettoisierung“ sein …
Danke.
(Beifall bei der CDU/CSU – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ihre Rede war mental unchristlich!)
Nächste Rednerin in der Debatte: Luise Amtsberg von Bündnis 90/Die Grünen.
(Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Hau rein!)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7029827 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 199 |
Tagesordnungspunkt | Änderung des Aufenthaltsgesetzes |