10.11.2016 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 199 / Tagesordnungspunkt 6

Andrea LindholzCDU/CSU - Änderung des Aufenthaltsgesetzes

Lade Interface ...
Anmelden oder Account anlegen






Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Worüber diskutieren und debattieren wir heute eigentlich in diesem Haus? Eigentlich geht es um den Antrag der Linken und den Gesetzentwurf der Grünen, in denen es darum geht, den Familiennachzug für subsidiär Geschützte, den wir für zwei Jahre ausgesetzt haben, wieder zu ermöglichen.

Auch ich, sehr geehrter Herr Castellucci, könnte jetzt von Einzelschicksalen aus meinem Wahlkreis erzählen, von schlimmen Einzelschicksalen, die wir uns selber nicht wünschen. Aber wir haben in Deutschland auch nach unseren Möglichkeiten und Grenzen zu suchen, und wir haben in Deutschland aktuell 1,7 Millionen Ausländer mit Bezug zu Asylverfahren.

Um es noch einmal klar zu sagen: Es geht heute nicht um den Familiennachzug von Flüchtlingen nach Artikel 16a unseres Grundgesetzes. Es geht nicht um den Familiennachzug von Flüchtlingen nach der Genfer Flüchtlingskonvention. Es geht gerade nicht um diese Flüchtlinge, sehr geehrter Herr Castellucci, die persönliche Verfolgungsgründe haben, sondern es geht um die Flüchtlinge, die bei uns nur subsidiären Schutz genießen, das heißt zunächst für ein Jahr, der dann gegebenenfalls verlängert wird.

Asylrecht ist vom Grundsatz her immer nur ein Anspruch auf Zeit; es ist kein Daueranspruch, in unserem Land leben zu können.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Subsidiären Schutz haben im letzten Jahr 1,2 Prozent aller anerkannten Flüchtlinge erhalten. Das waren 1 707 Personen. In diesem Jahr ist die Zahl auf 89 000 gestiegen. Das sind 31 Prozent. Der Rest fällt überwiegend unter die Genfer Flüchtlingskonvention. Das ist so, nicht etwa, weil wir in einer Bananenrepublik leben, sondern in einem Rechtsstaat, der dazu zurückgekehrt ist, Einzelfallanhörungen durchzuführen und klar zu entscheiden, ob jemand, egal aus welchem Land er kommt, Anspruch nach der Genfer Flüchtlingskonvention oder auf subsidiären Schutz hat.

Es geht nicht an, dass wir einfach so, ohne Prüfung im schriftlichen Verfahren, über den Flüchtlingsstatus entscheiden. Insofern macht das Bundesamt nichts anderes, als Recht und Gesetz anzuwenden. Es wurde auch ganz klar gesagt, dass es keine Anweisung gibt, die im Übrigen auch rechtswidrig wäre.

(Beifall bei der CDU/CSU – Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es ist ein Zufall, dass die Zahlen auch steigen, oder wie?)

– Mir ist schon klar, dass Sie nicht gerne Zahlen hören.

(Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Doch! Ich kenne sie vor allen Dingen!)

Sie hören nicht gerne, dass wir in Bayern 134 000 Flüchtlinge aufgenommen haben, dass wir allein in Bayern 4,5 Milliarden Euro investieren und dass der Bund bis 2020  94 Milliarden Euro ausgibt. Sie hören auch nicht gerne Zahlen,

(Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wieso soll ich das nicht gerne hören? Das ist richtig, dass das so ist!)

sondern Sie setzen sich mit Einzelschicksalen auseinander. Aber wir müssen das Große und Ganze im Blick behalten.

(Beifall bei der CDU/CSU – Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Kein Platz für Flüchtlinge! Das ist die Devise!)

Frau Lindholz, Moment bitte. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, Frau Lindholz redet gerade. Wir sind gerade mitten in einer Debatte. Wir sind nicht auf dem Pausenhof. Ich bitte alle, sich entweder zu setzen oder die Gespräche draußen fortzuführen. Frau Lindholz hat das Recht, dass man ihr zuhört, und ich bitte, dass dieses Recht auch respektiert wird.

(Beifall des Abg. Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Das gilt für alle; Herr Hüppe, auch für Sie. – Frau Lindholz, bitte.

Es gibt im Übrigen keine Möglichkeit, grenzenlose Solidarität zu zeigen. Wenn ich mir die Reden der Kollegen von den Grünen und der Linken sowie die des einen oder anderen Kollegen von der SPD vor Augen führe, frage ich mich allen Ernstes: Haben Sie mit Kommunalpolitikern vor Ort gesprochen?

(Widerspruch bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Diese können Ihnen erklären, wie schwierig die Situation vor Ort ist, welche Probleme es bei der Unterbringung und der Versorgung der Flüchtlinge gibt und dass der Wohnungsmarkt angespannt ist.

Herr Kollege Veit, wir haben uns nicht aus Lust und Laune für die begrenzte Aussetzung des Familiennachzugs beim subsidiären Schutz entschieden. Wir sind auch nicht von falschen Zahlen ausgegangen. Die Union ist von richtigen Zahlen ausgegangen. Wir haben zugleich gesagt, dass die Betreffenden öfter subsidiären Schutz bekommen müssten, als dies aktuell der Fall ist. Wir haben uns dennoch für eine begrenzte Aussetzung ausgesprochen, weil die Unterbringungs- und Versorgungsmöglichkeiten in den Kommunen aufgrund der Wohnraumknappheit beschränkt sind. Wir wollen die Zuwanderung und die Integration steuern, ordnen und begrenzen. Sie erwecken einen völlig falschen Eindruck, wenn Sie sagen, dass diese Entscheidung aufgrund falscher Zahlen zustande kam.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, mir ist es nicht erklärlich, warum Sie heute die Regelung, die Sie gemeinsam mit uns im Februar unter bestimmten Voraussetzungen beschlossen haben, in Abrede stellen. Aber von den beiden Rednern der SPD war wohl nichts anderes zu erwarten.

Ich möchte mir nicht länger den Vorwurf gefallen lassen, wir betrieben eine unmenschliche Politik.

(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt aber!)

Die Schweden haben im letzten und auch in diesem Jahr unter einer rot-grünen Regierung ihr Asylrecht verschärft. Die Schweden haben ebenfalls den Familiennachzug beschränkt. Warum haben sie das gemacht? Weil auch die Schweden gemerkt haben, dass sie an ihre Grenzen stoßen.

Frau Kollegin Jelpke, das Asylrecht ist kein schrankenloses Recht. Es stößt dann an seine Schranken, wenn ein Staat nicht mehr in der Lage ist, seine Aufgaben zu erfüllen. Auch ich möchte an dieser Stelle Papst ­Franziskus zitieren. Er hat den Schweden gesagt: „Einen Flüchtling muss man nicht nur empfangen, sondern auch integrieren.“ Wenn Schweden keine Flüchtlinge mehr empfangen könne, dann geschehe das nicht aus Egoismus, sondern, damit allen ein Zuhause und eine Arbeit gegeben werden könne.

Wir sind davon noch immer weit entfernt.

(Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sagen Sie das auch den Kindern und den Säuglingen?)

Wir nehmen noch immer in erheblichem Umfang Flüchtlinge auf. Allein im letzten Jahr ist die Zahl der Inobhutnahmen von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen von 11 642 im vorletzten Jahr auf 42 309 angestiegen. Die Zahl der Asylanträge von unbegleiteten Minderjährigen hat sich dieses Jahr vervielfacht. Wollen wir weiterhin mit unserer Politik dafür sorgen, dass hauptsächlich junge Männer und unbegleitete Minderjährige auf den gefährlichen Fluchtweg geschickt werden? Schon lange kommen die Familienangehörigen im Rahmen des heute zur Diskussion stehenden Familiennachzugs nicht mehr direkt aus Syrien, sondern aus den Anrainerstaaten; das steht sogar in der Antwort auf Ihre Anfrage. Es muss also in erster Linie darum gehen, dass wir Hilfe vor Ort und in den Anrainerstaaten leisten und dass wir in Europa ein gut funktionierendes Asylsystem aufbauen.

Wir müssen im Hinblick auf die Aufnahmekapazität in Deutschland steuern, ordnen und begrenzen. Nur dann können wir das schultern. Die Akzeptanz in unserem Land geht nicht dadurch verloren, dass wir den Familiennachzug für subsidiär Schutzberechtigte für zwei Jahre aussetzen. Die Akzeptanz in unserem Land geht verloren, wenn die Menschen das Gefühl haben, dass wir uns nicht mehr um sie und ihre Probleme kümmern und dass wir nicht mehr in der Lage sind, die Migration zu steuern, zu ordnen und zu begrenzen. Dieser Schritt war Teil unserer Maßnahmen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, den Vorlagen nicht zuzustimmen. Auch ich könnte Ihnen viele Einzelfälle und Schicksale, die uns ans Herz gehen, als humanitäre Beispiele nennen. Aber unsere Politik muss sich daran orientieren, die Akzeptanz von Zuwanderung und Migration in Deutschland zu erhalten. Aber Sie haben heute in keiner einzigen Rede von Deutschland, den begrenzten Aufnahmemöglichkeiten der Kommunen und den Problemen vor Ort gesprochen.

(Zurufe von der LINKEN: Oh!)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7029835
Wahlperiode 18
Sitzung 199
Tagesordnungspunkt Änderung des Aufenthaltsgesetzes
00:00
00:00
00:00
00:00
Keine
Automatisch erkannte Entitäten beta