Tobias ZechCDU/CSU - Absicherung von Selbständigen
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kurth, der Antrag, den Sie geschrieben haben, trifft die Aufgabe, die wir haben: nämlich den Veränderungen am Arbeitsmarkt aufgrund der Technologie Rechnung zu tragen, indem wir auch auf die soziale Sicherung schauen. Ich will Ihnen nur nicht zugestehen, dass Sie der Erste sind, der das aufgezeigt hat. Wir haben das schon einige Male diskutiert. Aber Ihr Antrag geht in die richtige Richtung. Sie treffen den Nerv der Zeit. Sie sprechen von Flexibilität, Sie sprechen darüber, dass wir mit Blick auf den Arbeitsmarkt Anpassungen vornehmen müssen. Das ist alles gut. Aber dann kommen Sie relativ schnell in eine für mich etwas wilde Regelungswut. Deshalb kann ich Ihrem Antrag nicht zustimmen. Ich will Ihnen auch erklären, warum. Ich denke, wir müssen eine gemeinsame Lösung finden, wie wir die Rentenversicherung weiterentwickeln. Ich bin mir sicher: Wir können die Rentenversicherung weiterentwickeln; sie hält es auch aus. Nur sollten wir allzu rigorose Spielereien weglassen.
Ich habe Ihren Antrag mehrmals gelesen. Ich bitte, das zur Kenntnis zu nehmen.
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr gut! – Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das haben wir nicht immer hier!)
– Dass es für Sie so schön ist, dass ich ihn gelesen habe, kann ich Ihnen nicht versprechen. Aber ich kann Ihnen zusichern: Ich habe ihn gelesen. – Sie fordern, klarere Abgrenzungskriterien anzuwenden. Aber ich muss Ihnen sagen, dass ich das für unnötig halte. Erstens haben wir in den letzten Wochen und Monaten hier in diesem Haus die ganze Zeit über die Abgrenzung zwischen selbstständiger und abhängiger Beschäftigung gesprochen. Ich denke also, das ist etwas veraltet.
(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gut durchlesen!)
Zweitens ist mir persönlich kein einziger aktenkundiger Fall vor Gericht bekannt, in dem es Zuordnungsschwierigkeiten gab.
(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Doch, massenhaft! – Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da kennen Sie sich aber schlecht aus!)
– Wenn Sie einen Fall kennen, der die Abgrenzung betrifft, dann lassen Sie ihn mir bitte zukommen. Ich kenne keinen; aber ich lerne ja immer gern dazu. Ich habe echt gesucht und nichts gefunden. Vielleicht können Sie mir das zukommen lassen. – Ich halte diese Forderung für absolut sinnlos, weil klarere Kriterien nicht notwendig sind.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Der nächste Punkt. Es gibt natürlich schon heute – das wissen Sie auch – das Statusfeststellungsverfahren nach § 7a SGB IV. Das funktioniert auch. Die Notwendigkeit, hier etwas zu ändern, sehe ich nicht.
Jetzt kommen wir zu den qualitativen Forderungen in Ihrem Antrag. Wissen Sie, es geht Ihnen bei Ihrem Antrag gar nicht so richtig um das Wohl der Selbstständigen und der Solo-Selbstständigen, und vor allen Dingen geht es Ihnen überhaupt nicht um Flexibilität. Was Sie vorsehen, ist eigentlich auch eine tiefgreifende Reform der Pflege- und der Krankenversicherung. Es geht ja gar nicht nur um die Rente.
(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, genau! Das ist ja der Witz! Wir verzahnen das! Richtig!)
Sie schreiben im Text, Sie wollten eine Bürgerversicherung. Aber die Bürgerversicherung passt nicht zur Arbeit 4.0; sie passt auch nicht mehr ins Jahr 2016. Das ist der Griff in die verstaubte, alte sozialpolitische Kiste; wir brauchen heute Flexibilität.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es geht nur um die Selbstständigen erst mal!)
– Ich komme gleich darauf zurück. – Es ist klar, dass wir keine Bürgerversicherung haben wollen, weil sie überhaupt nicht flexibel ist.
(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie bitte? – Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben den Antrag doch nicht gründlich gelesen! Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte!)
Was Sie vorhaben, ist, den Selbstständigen genau eine Möglichkeit zu lassen, nämlich in die gesetzliche Rentenkasse einzuzahlen.
(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die abhängig Beschäftigten haben die Wahl auch nicht!)
Wir haben aber nicht nur die gesetzliche Rente. Ich kann den Selbstständigen doch nicht die Möglichkeit nehmen, zu entscheiden, wie sie vorsorgen. Es gibt die Möglichkeit der privaten Vorsorge, man kann über Immobilien vorsorgen. Man muss nicht jeden in die gesetzliche Rentenversicherung zwingen.
Eines muss man sehr wohl – da sind wir einer Meinung –: Man muss für die Selbstständigen in diesem Land – dafür tragen wir hier im Haus die Verantwortung – eine Vorsorgeverpflichtung einführen. Aber muss man, wenn man schon die Verpflichtung einführt, dann auch gleich die Methode festlegen? Können wir den Menschen in diesem Land nicht wenigstens insoweit vertrauen, als sie selber für sich entscheiden, welche Form der Vorsorge für sie die beste ist?
(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben ihn ja leider doch nicht sorgfältig gelesen!)
Ich finde, Kollege Weiß hat eindrucksvoll dargestellt, welche Möglichkeiten es gibt. Die gesetzliche Rentenversicherung ist vernünftig; aber sie stellt bei weitem nicht die einzige Form der Altersvorsorge dar.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Also: Vorsorgepflicht ja – da kann ich mitgehen –; aber ich lehne es entschieden ab, die Menschen durch die Hintertür in die gesetzliche Rentenversicherung hineinzuzwingen und keine Wahlmöglichkeit zu schaffen.
(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir wollen doch alle die gesetzliche Rente stärken! – Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die gesetzliche Rente ist besser als alle Fonds im Kapitalbereich!)
Jetzt komme ich zu einem Punkt, der ganz spannend ist. Da bin ich bei einem Aspekt bei Ihnen, Herr Kurth. Lassen wir die Rente beiseite, und gehen wir zur Arbeitslosenversicherung. Da haben Sie aus meiner Sicht hinsichtlich der weiteren Öffnung recht. Ich möchte aber noch etwas hinzufügen: Wenn wir die Arbeitslosenversicherung für alle Selbstständigen öffnen, wie Sie es fordern, dann müssen wir auch sehr restriktive Regeln anwenden, um dem Versicherungs- und dem Solidargedanken Rechnung zu tragen. Man muss dann auch sicherstellen, dass jemand, der sich für die Arbeitslosenversicherung entscheidet, auch dauerhaft darin bleibt und nicht nach zwei Jahren raus- und dann wieder reingeht. Das geht nicht. Das müssten Sie noch hinzufügen.
(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt also doch verpflichtend!)
Wir brauchen eine Sperrfrist, damit nicht jede selbstverschuldete Aufgabe eines Unternehmens dazu führt, dass Mittel aus der Arbeitslosenversicherung bezogen werden. Zudem brauchen wir Anwartschaftszeiten, um ein Vermögen aufzubauen und dem Gedanken der Solidargemeinschaft Rechnung zu tragen. – Ich glaube, die Öffnung der Arbeitslosenversicherung ist sinnvoll, aber nur unter diesen Bedingungen.
Ich komme zum Schluss. Wir haben heute schon oft gehört, wie stark unser Sozialversicherungssystem ist. Wir müssen es weiterentwickeln, aber nicht revolutionär, sondern evolutionär.
(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, genau! Das steht da auch!)
Wir erwarten am 28. Dezember die Vorstellung des Weißbuchs Arbeiten 4.0. Danach wird es sicherlich Gelegenheit geben, das Thema – hoffentlich auch mit Anträgen der Koalition – weiter zu bearbeiten. Notwendig ist es, aber nicht so.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Dagmar Ziegler [SPD] – Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie lassen die Selbstständigen in dieser Wahlperiode im Regen stehen! Das ist Ihre Aussage!)
Vielen Dank. – Zum Abschluss dieser Aussprache hat der Kollege Dr. Martin Rosemann für die SPD das Wort.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7030223 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 199 |
Tagesordnungspunkt | Absicherung von Selbständigen |