10.11.2016 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 199 / Tagesordnungspunkt 14

Angelika GlöcknerSPD - 50 Jahre Europäische Sozialcharta

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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich nehme es gleich vorweg: Ich bin sehr froh, nach einem Tag wie gestern in diesem Hause über die Europäische Sozialcharta zu debattieren; denn wir reden heute hier über ein verbindliches Abkommen, das der Bevölkerung umfassende soziale Rechte garantiert. Das ist sehr wichtig; denn je mehr Menschen sich in einer Gesellschaft aufgenommen, wertgeschätzt und integriert fühlen, desto größer ist ihr Zusammenhalt. Wenn Menschen sich abgehängt fühlen oder perspektivlos sind, dann kann dies dazu führen, dass sie ihr Vertrauen jenen schenken, die mit großen, vollmundigen Sprüchen schnelle Lösungen propagieren. Ich glaube schon, dass dies auch in Amerika ein wesentlicher Punkt dafür war, der letztlich zum Wahlsieg Donald Trumps geführt hat – und das, obwohl er einen sehr aggressiven und populistischen Wahlkampf geführt hat.

Mit Blick auf unser Land ist es mir wichtig, diese Debatte heute zum Anlass zu nehmen, den Menschen hier aufzuzeigen, dass zur Stärkung ihrer sozialen Rechte in dieser Legislatur, in dieser Koalition und unter maßgeblicher Beteiligung meiner Fraktion, der SPD, bereits einiges auf den Weg gebracht wurde. Beispielhaft möchte ich aufführen die Rente mit 63, verbesserte Pflegeleistungen für Betroffene und ihre Angehörigen oder auch die Frauenquote. Es werden weitere Schritte folgen. Ich denke da etwa an das Lohngerechtigkeitsgesetz oder Regelungen zur Stärkung Alleinerziehender.

Jede dieser Maßnahmen unterstützt den wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt in unserem Land. Ich finde schon, dass es angebracht ist, darauf hinzuweisen, dass sich die Ergebnisse sehen lassen können: niedrigste Arbeitslosenquote seit der Wiedervereinigung, die Renten sind kräftig gestiegen, wir haben gute und stabile Wirtschaftszahlen. Mit Blick auf die Zukunft kann das nur bedeuten, dass wir genau diesen Weg der Stärkung der sozialen Menschenrechte konsequent weitergehen müssen.

(Beifall bei der SPD)

Genauso konsequent ist es natürlich auch, die Europäische Sozialcharta als umfassendes Regelwerk an gesellschaftliche Entwicklungen anzupassen. Der Antrag der Linken zielt darauf ab, die Bundesregierung aufzufordern, einen Gesetzentwurf zur Ratifizierung der überarbeiteten Form der Europäischen Sozialcharta vorzulegen. Ich sage ganz deutlich: Die Tatsache, dass die Bundesregierung die erneuerte Fassung – Sie haben das erwähnt – schon 2007 unterschrieben und damit natürlich auch akzeptiert hat, und auch die Tatsache, dass damit eine Stärkung der sozialen Menschenrechte einhergeht, lassen gar nichts anderes als eine Ratifizierung zu.

Ich sage aber auch, dass ich Ihren Antrag für nicht zustimmungsfähig halte, weil er in der Sache nicht schlüssig ist. Beispielsweise wird darauf verwiesen, dass Deutschland seinen Verpflichtungen nicht nachkomme, etwa weil das Streikrecht nach wie vor nur auf das Erreichen eines Tarifabschlusses ausgelegt sei oder, wie Sie es auch angeführt haben, nicht für Beamtinnen und Beamte geöffnet sei.

Kolleginnen und Kollegen, ich kann nur sagen: Ich war an unzähligen Streiks zur Durchsetzung von Arbeitnehmerrechten beteiligt und habe immer wieder die Erfahrung gemacht, dass wir gerade in Deutschland eine sehr gute Streikkultur haben, nämlich Einsatz für Arbeitnehmerrechte, ohne dadurch gleich den ganzen Staat durch Generalstreik – nichts anderes steckt dahinter – lahmzulegen.

Das gilt auch für das Beamtenrecht bzw. für das Streikrecht für Beamtinnen und Beamte. Hier sind unterschiedliche Maßstäbe anzulegen; denn was würden Sie den Leuten auf der Straße erzählen, wenn bei einem Amoklauf, einem Anschlag oder auch bei einem Verkehrsunfall nicht ganz schnell genügend Einsatzpersonal verfügbar wäre, weil ein Teil der Beamtenschaft gerade im Streik ist?

Genauso wichtig finde ich auch, dass beitragsfinanzierte Sozialsysteme breit aufgestellt und abgesichert sind, bevor man aus einem generellen Gleichbehandlungsgebot heraus einem nicht abschätzbaren Personenkreis uneingeschränkt Zugriffe gewährt, die zur Überlastung unserer Beitragssysteme führen würden. Das, verehrte Kolleginnen und Kollegen der Linken, kann doch nicht in Ihrem Sinne sein, und schon gar nicht kann es im Interesse unserer Bevölkerung sein.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ich finde es daher auch sehr wichtig und richtig, dass die Bundesregierung an solch wichtigen Punkten noch einmal genauer hinschaut.

In Ihrem Antrag wird auch der Umstand nicht deutlich, dass wir trotz des noch andauernden Prüfungsprozesses fortwährend überall da, wo soziale Rechte umgesetzt werden können, bereits vieles tun. Ich denke etwa an den Mindestlohn, das Elterngeld Plus oder das Bundesteilhabegesetz, das die Rechte vieler behinderter Menschen stärken wird. Wenn Sie heute Ratifizierung einfordern, dann frage ich mich schon: Wer oder was hindert Sie daran, all diese Gesetzentwürfe ganz selbstverständlich zu unterstützen, die doch die sozialen Rechte von Menschen in unserem Land sehr deutlich stärken?

Ebenso halte ich es für sehr schwierig, dass Sie in Ihrem Antrag Deutschland und Länder wie die Türkei, Russland, Ungarn oder Aserbaidschan in einem Atemzug nennen. Sie verweisen darauf, dass all diese Länder die überarbeitete Sozialcharta bereits ratifiziert haben, Deutschland hingegen nicht. So weit, so richtig. Was Sie aber nicht sagen, ist, dass bei all diesen Ländern die Listen der Rechtsverletzungen immer länger werden.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Das zeigt doch, dass allein eine Ratifikation nichts nützt, wenn es am Ende bei bloßen Lippenbekenntnissen bleibt. Gute Sozialpolitik äußert sich darin, dass bei der Bevölkerung etwas ankommt, und nicht, dass auf einem Stück Papier etwas steht, was am Ende nicht umgesetzt werden kann. Bloße Versprechungen, die am Ende unerfüllt bleiben – das wissen Sie genauso gut –, erzeugen nur Frust. Das ist mit der SPD nicht zu machen.

(Beifall bei der SPD)

Auch wenn ich heute empfehle, den Antrag der Linken abzulehnen, so freut es mich dennoch, dass Sie mit Ihrem Antrag heute die Gelegenheit eröffnet haben, in diesem Hohen Haus über den hohen Wert der sozialen Menschenrechte zu debattieren. Ich verbinde es, wie beim letzten Mal, einmal mehr mit der Empfehlung an die Bundesregierung, dem Bundestag zeitnah einen Gesetzentwurf zur Ratifizierung vorzulegen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Andrej Hunko [DIE LINKE]: Also doch!)

Vielen Dank. – Nächster Redner für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ist der Kollege Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn. Bitte schön.


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7030262
Wahlperiode 18
Sitzung 199
Tagesordnungspunkt 50 Jahre Europäische Sozialcharta
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