Kordula Schulz-AscheDIE GRÜNEN - Arzneimittelrechtliche Vorschriften (3. Lesung)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich hoffe, dass Sie heute Morgen beim Frühstück den Kommentar von Jan Heidtmann in der Süddeutschen Zeitung gelesen haben, der sich noch einmal mit dem Thema befasst, über das wir hier am Mittwoch namentlich abgestimmt haben, nämlich mit der Frage, inwieweit die Forschung mit Menschen, mit Erwachsenen, die nicht mehr einwilligungsfähig sind, erleichtert werden soll, wenn sie keinen individuellen Nutzen mehr davon haben. Die Mehrheit dieses Hauses hat am Mittwoch ein Gesetz gebrochen: Wenn man bewährte Gesetze hat, sollte man diese nicht ändern. Das ist hier leider geschehen. Ich fordere Sie weiterhin auf, dafür zu sorgen, dass das derzeitige hohe Schutzniveau, das wir in Deutschland haben, erhalten bleibt. Ich bitte Sie, mit Nein zu stimmen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)
Nun werden einige von Ihnen sagen: Wir haben bei uns in den Bundesländern Ethikkommissionen, die sich ohnehin damit befassen. Sie begutachten diese ganzen Arzneimittelstudien. Sie machen eine super Arbeit. Ihre Kompetenzen werden durch das Gesetz noch ausgeweitet. – Aber wenn Sie das Gesetz richtig gelesen haben, dann wissen Sie, dass die Ethikkommissionen, so wie wir sie kennen – sie leisten vorbildliche Arbeit in allen Bundesländern –, durch dieses Gesetz entmachtet werden.
(Volker Kauder [CDU/CSU]: Aha!)
– Dann lesen Sie einmal das Gesetz. – Künftig soll das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte mit einer entsprechenden Begründung vom Votum einer Ethikkommission abweichen
(Maria Michalk [CDU/CSU]: Das ist die absolute Ausnahme! Stimmt doch nicht!)
und eine Studie unabhängig von der Stellungnahme und Entscheidung einer Ethikkommission zulassen können. Ich fordere Sie auf: Stimmen Sie heute mit Nein, damit die Genehmigung einer klinischen Studie weiterhin von der positiven bindenden Stellungnahme der zuständigen interdisziplinären und unabhängigen Ethikkommission abhängig bleibt.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)
Wir brauchen klinische Studien, damit der medizinische Fortschritt bei den Menschen ankommt. Aber wir brauchen auch Vertrauen in Forschung. Das bindende Votum von Ethikkommissionen trägt hierzu bei. Die Ethikkommissionen haben für dieses Vertrauen gesorgt.
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)
Mit diesem Gesetz zerstören Sie in mehrfacher Hinsicht das Vertrauen in die Forschungslandschaft in Deutschland.
(Volker Kauder [CDU/CSU]: Ha! Ha!)
Zum Verbot von Fernbehandlungen und Fernverschreibungen hat Frau Stamm-Fibich alles gesagt.
(Volker Kauder [CDU/CSU]: Genau!)
Die Tatsache, dass die SPD an der Stelle geklatscht hat, führt vielleicht dazu, dass Sie das Gesetz ablehnen werden.
Ich möchte noch auf ein Thema eingehen, das Sie nicht angehen, und zwar die sogenannten Anwendungsbeobachtungen. Die Bundesregierung versäumt zum wiederholten Male – sie lässt die Chance erneut verstreichen –, die Korruptionsanfälligkeit solcher Studien zu beheben. Solche Studien sind intransparent in Bezug auf die beteiligten Ärztinnen und Ärzte und auf die mögliche Beeinflussung von Verschreibungsverhalten. Zuletzt hat eine gemeinsame Recherche von Correctiv, NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung gezeigt, in welchem Ausmaß Pharmaunternehmen mithilfe von Anwendungsbeobachtungen Einfluss auf Ärztinnen und Ärzte nehmen. Was ist mit der Aufklärungspflicht gegenüber den Patientinnen und Patienten? Die Bundesregierung ist bisher nicht gewillt, diese Lücke zu schließen und Transparenz bei Anwendungsbeobachtungen zu schaffen sowie zur Gewährleistung von Patientensicherheit beizutragen.
Herr Lauterbach hat kürzlich ein Interview – es umfasst zwei Seiten – zu den Anwendungsbeobachtungen gegeben. Es trägt die Überschrift: Das ist eine Form der legalen Korruption.
(Tino Sorge [CDU/CSU]: Herzlichen Glückwunsch! Wieder alle unter Generalverdacht gestellt!)
Ich frage Sie, wie Sie hier als mitregierende Fraktion heute einen Gesetzentwurf verabschieden wollen, in dem Sie genau dieses Thema nicht aufgreifen, in dem Sie die Korruptionsanfälligkeit dieser Anwendungsbeobachtungen nicht angehen. Das ist meine Frage. Auch deswegen werden wir mit Nein stimmen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Meine Damen und Herren, der Arzneimittelbereich ist in großer Bewegung. Wir haben es mit vielen Innovationen zu tun und stehen vor großen Herausforderungen. Umso wichtiger ist es, dass wir die Unabhängigkeit von Forschung und die Patientenrechte in den Mittelpunkt stellen.
(Abg. Dr. Karl Lauterbach [SPD] meldet sich zu einer Zwischenfrage)
Wir sind uns der hohen Bedeutung klinischer Prüfungen bewusst. Das Gesetz zerstört aber Vertrauen, wo wir Vertrauen brauchen.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Jetzt Kurzintervention!)
Zu einer Kurzintervention erhält Herr Lauterbach das Wort. Machen Sie es aber bitte wirklich kurz, Herr Lauterbach.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7030406 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 200 |
Tagesordnungspunkt | Arzneimittelrechtliche Vorschriften (3. Lesung) |