Armin SchusterCDU/CSU - Große Anfrage zur Verbrechensserie des NSU
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! 4. November – nicht lange her –: fünfter Jahrestag des Auffliegens der NSU-Mordserie. Das ist ein guter Termin für diese Debatte, drei Jahre nach dem Abschlussbericht, den der erste NSU-Untersuchungsausschuss erarbeitet hat, und gut drei Jahre nachdem wir uns hier in aller Form persönlich bei den Angehörigen der Opfer entschuldigt haben. Wir haben im September 2013 zwei Versprechen abgegeben, nämlich erstens, alles zu unternehmen, damit sich das nicht wiederholt, und zweitens, alles zu unternehmen, um diese Serie aufzuklären.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Das erste Versprechen mündete in 47 Empfehlungen des NSU-Untersuchungsausschusses für Exekutive, Legislative und Judikative. Alle hatten ihr Päckchen zu tragen. Heute ziehen wir Bilanz.
Das zweite Versprechen, alles zu tun, um aufzuklären: Das sehen Sie in München vor Gericht. Das sehen Sie in zwölf NSU-Untersuchungsausschüssen von Ländern und im Bund. Sie sehen es an der akribischen intensiven Arbeit des Bundeskriminalamts, des Bundesamts für Verfassungsschutz und vieler Ländersicherheitsbehörden.
Meine Damen und Herren, diametral anders als Sie, Frau Pau, halte ich das, was wir seit Ende 2011 in diesem Land tun, um das alles zu klären, für historisch beinahe einmalig. Ich hätte mir gewünscht, dass wir so konsequent auch nach der RAF-Mordserie oder nach dem Oktoberfest-Attentat gehandelt hätten; da wäre das vielleicht auch notwendig gewesen.
Was wir in Sachen NSU-Aufklärung tun, ist ein ganz schlechter Anlass, Frau Pau, um uns selbst zu beschimpfen. Sie haben sich ja gerade eben selbst beschimpft. Das halte ich nicht für angemessen. Es ist über Parteigrenzen hinweg, gerade im Untersuchungsausschuss, in den Untersuchungsausschüssen, alles unternommen worden. Warum? Wir haben alle regiert, Sie auch. Wir waren alle betroffen, nicht nur der Verfassungsschutz. Ich sage es Ihnen ganz offen: Es ist ein Ausdruck von Feigheit, wenn wir hier mit dem Finger auf den Verfassungsschutz zeigen und selbst nie in einem Innenausschuss eines deutschen Parlaments die Mordserie als Tagesordnungspunkt aufgerufen haben. Wer selbst so viel Grund hat, über sich nachzudenken, sollte nicht mit dem Finger andauernd auf andere zeigen.
(Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Zur Sache! Was läuft denn hier?)
Ich habe damals, im September 2013, von einem kompletten Systemversagen gesprochen: der Justiz, der Exekutive, aber auch der Legislative. Deswegen finde ich die Schuldzuweisungen ein bisschen billig, meine Damen und Herren.
(Beifall bei der CDU/CSU – Karin Binder [DIE LINKE]: Es geht nicht um Schuldzuweisung, sondern um das Erkennen von Fehlern!)
Lassen Sie uns mal über die 47 Empfehlungen sprechen! Wir haben in diesem Haus 47 Empfehlungen verabschiedet. Ich kenne keinen anderen Politikbereich, in dem man in einem solchen Fall nach drei Jahren sagen kann: Beinahe alles abgeräumt, meine Damen und Herren. – Ein Mammutreformprogramm haben wir gemacht.
(Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Was denn?)
Wie Frau Pau kann auch ich nicht alles aufzählen. Ich bräuchte 90 Minuten Redezeit, um zu erklären, was wir alles getan haben. Sie haben auch nur 3 Punkte von 47 herauspicken können.
(Zuruf der Abg. Karin Binder [DIE LINKE])
Meine Damen und Herren, das ist auch ein Stück Erfolg: konsequente Umsetzung. Ich nenne es eine staatliche Entschuldigung. Wir haben uns bei den Angehörigen der Opfer persönlich entschuldigt. Es gibt aber auch eine staatliche Entschuldigung, weil wir wahrmachen, was wir versprochen haben: mit der Einrichtung von Abwehrzentren gegen rechts, mit der Rechtsextremismusdatei, mit anderen polizeilichen Informations- und Analysesystemen, mit der Verfassungsschutzreform.
Die Abschaffung von V-Leuten, Frau Pau: Nicht mal Ramelow setzt das um.
(Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Oberlehrer spielen!)
Seien Sie ehrlich: Er ist als großer Tiger gestartet und landet jetzt als Bettvorleger. Ich bin froh darüber, dass Sie das Amt für Verfassungsschutz nicht aufgelöst haben. Ich bin auch froh darüber, dass die Thüringer erkennen, dass es V-Leute braucht. Das war ein Vorschlag zur Unzeit.
(Frank Tempel [DIE LINKE]: V-Leute unter den Rechtsextremen sind in Thüringen abgeschaltet!)
Kein Mensch mit gesundem Menschenverstand draußen versteht, dass Sie das Amt jetzt, zur Hochzeit des Terrorismus, auflösen wollen.
(Frank Tempel [DIE LINKE]: Ein bisschen mehr Sachkenntnis vielleicht!)
Bundesjustizminister Maas hat ein umfangreiches Justizreformpaket verabschiedet. Wir haben hier letzte Sitzungswoche die Reform des Parlamentarischen Kontrollgremiums verabschiedet. Das Parlamentarische Kontrollgremium schon wieder zu reformieren, war nicht leicht. Aber es war eine Kernforderung des Empfehlungskatalogs des NSU-Untersuchungsausschusses aus der letzten Legislaturperiode. Meine Damen und Herren, so schlimm all das, was passiert ist, war – wir sind in der Lage, zu sagen: Wir haben enorm viel geleistet. Deswegen ist mein Befund ein völlig anderer als der der Linken.
(Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Keine Sachkenntnis, aber irgendwas erzählen!)
Jetzt gehe ich auf die Frage ein: Was bringt eigentlich der NSU-Untersuchungsausschuss dieser Legislaturperiode? Meine Damen und Herren, es geht um die Ehre der Opfer. Es geht um Schmerz, Wut und Trauer von Angehörigen, und es geht um die Frage der Haltung unseres Staates. Solange wir nicht wissen, warum diese Menschen zu Opfern wurden, solange wir nicht genau wissen, ob es genau diese drei Täter waren, solange wir nicht genau wissen, wer wirklich geholfen hat, ist es eine Frage der Haltung, niemals aufzugeben, diese Fragen beantworten zu wollen.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Mit einem kleinen Augenzwinkern richte ich mich jetzt an die Mitarbeiter vom Bundeskriminalamt, vom Generalbundesanwalt, vom Bundesamt für Verfassungsschutz und vieler Länderbehörden. Ja, wir Untersuchungsausschussmitglieder sind manchmal verdammt müde. Es ist hart, vor allen Dingen donnerstagabends; das gebe ich zu. Auch ich habe dann Selbstzweifel. Aber ich glaube, wir tun das Richtige. Wir werden uns nicht wie bei der RAF in 10 oder 15 Jahren davon überraschen lassen, dass plötzlich noch drei dieser Täter in der Gegend herumlaufen und ein paar Raubüberfälle begangen werden. Das wird uns nicht passieren.
Der Auftrag, den wir uns gegeben haben, ist nicht, das x-te Behördenversagen zu identifizieren. Nein, wir wollen jede Chance nutzen, dass eine der spektakulärsten und schlimmsten Mordserien der deutschen Nachkriegsgeschichte nicht unaufgeklärt bleibt.
Noch ein Augenzwinkern. Wir wissen nicht, wie viele Nachermittlungen wir durch unsere Arbeit im Untersuchungsausschuss auslösen. Aber wir ahnen es. Allein die Tatsache, dass es Nachermittlungen gibt, ist ein Erfolg, ebenso die Tatsache, dass wir mit etlichen Theorien, teilweise auch Verschwörungstheorien, aufräumen können. Auch ich hatte Theorien, die sich zerbröselt haben. Und es ist wichtig, dass sie sich zerbröseln. Es ist wichtig, dass wir auf den Kern der Sache kommen.
Meine Damen und Herren, Wolfgang Wieland, der Fraktionssprecher der Grünen in der letzten Legislaturperiode, sagte – ich gebe ihn sinngemäß wieder –: Wir haben uns alle Mühe gegeben, herauszufinden, ob die Sicherheitsbehörden auf dem rechten Auge blind sind. – Sein Befund war: Sie sind nicht auf dem rechten Auge blind, aber in einem gehörigen Maße betriebsblind, ja. Frau Dr. Högl, die hier sitzt, sagte damals, es sei ein Versagen mit strukturellen Ursachen gewesen; Rechtsextremismus sei als Gefahr nicht gesehen worden. Aber die SPD-Fraktion und auch wir, die Union, haben nicht den Befund erhoben: Hier gibt es institutionellen Rassismus.
(Dr. Eva Högl [SPD]: Doch, das haben wir immer gesagt!)
Das ist ein ganz schlimmer Vorwurf, der von den Grünen und Linken leider immer wieder erhoben wird.
Meine Damen und Herren, in diesen Zeiten braucht es Politiker in Regierungen und Parlamenten, die Verantwortung vor Gesinnung stellen. Verantwortung vor Gesinnung heißt, Frau Pau, dass Sie sich hier am Rednerpult genauso verhalten wie im Ausschuss. Warum Sie hier teilweise anders sprechen, weiß ich nicht.
(Frank Tempel [DIE LINKE]: Macht sie nicht! Macht sie definitiv nicht!)
Ich weiß auch nicht, welche Kundschaft Sie bedienen müssen. Aber die kooperative und konstruktive Zusammenarbeit im Ausschuss gefällt mir sehr gut. Es passt aber nicht zu dem, wie Sie hier reden.
(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie kann reden, wie sie will!)
Zum Abschluss. Meine Damen und Herren, ein wahrscheinlich in diesem Haus einmaliger Reform- und Aufklärungsmarathon im Bereich Rechtsextremismus und Rechtsterrorismus erfordert Ausdauer und Geduld. Diese sollten wir bewahren. Ich glaube, dass das angesichts des Leids, das die Menschen, die Opfer wurden, erfahren haben, nicht zu viel verlangt ist.
Ich danke Ihnen.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt die Kollegin Irene Mihalic.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
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Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 200 |
Tagesordnungspunkt | Große Anfrage zur Verbrechensserie des NSU |