11.11.2016 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 200 / Tagesordnungspunkt 38 + ZP 11

Thorsten HoffmannCDU/CSU - Große Anfrage zur Verbrechensserie des NSU

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Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Pau, Frau Mihalic, einige Sachen sehe ich wirklich komplett anders als Sie. – Das nur am Anfang.

(Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben ja jetzt neun Minuten!)

Am 4. April 2006 wurde Mehmet Kubasik in der Dortmunder Nordstadt heimtückisch ermordet. Zu dieser Zeit – jetzt werde ich mal persönlich – verrichtete ich als Polizeibeamter meinen Dienst in dieser Stadt. Und wer sich dort ein wenig auskennt, der weiß, dass der Tatort, der Kiosk der Kubasiks, auf der Mallinckrodtstraße liegt und diese Gegend als eher schwierig zu beurteilen ist.

In die Ermittlungen zum Mord an Mehmet Kubasik war ich nicht eingebunden. Aber ich kannte und kenne alle Ermittler aus der damaligen Mordkommission. Jeder von ihnen war mit ganzem Herzen dabei und hat versucht, diese schreckliche Tat aufzuklären, um den oder die Täter zu ermitteln oder dingfest zu machen.

Als am 14. Juni 2000 Michael Berger, ein Neonazi aus Dortmund, auf der Flucht einen Kollegen erschoss, war ich im Dienst. Mit meinem damaligen Partner und vielen anderen Kolleginnen und Kollegen verfolgten wir Berger durch Dortmund, Waltrop und einige andere Städte des Ruhrgebiets. Im Bereich von Waltrop erschoss er zwei weitere Kollegen. Dann nahm er sich in einem Waldstück selbst das Leben.

An dieser Stelle möchte ich an meine Kollegen Thomas Goretzky, Yvonne Hachtkemper und Matthias Larisch von Woitowitz erinnern. Sie haben sich für unsere Sicherheit eingesetzt. Sie verloren im Dienst ihr Leben. Es wurde ihnen von einem Wahnsinnigen genommen.

Ich möchte auch noch einmal an Mehmet Kubasik erinnern, dessen Familie bis heute nicht weiß, warum diese irren Neonazis gerade den Ehemann, Vater und Freund Mehmet Kubasik ermordet haben. In beiden Fällen war das Opfer keine gezielt ausgesuchte Person. Berger kannte die Polizisten nicht. Mundlos und Böhnhardt, von denen wir heute wissen, dass sie Mehmet Kubasik erschossen, kannten ihn nicht.

Meine Damen und Herren, die Arbeit des ersten NSU-Untersuchungsausschusses war unheimlich wichtig. Es waren viele Fragen offen; daran besteht gar kein Zweifel. Das dürfen wir nicht verschweigen, und das machen wir ja auch nicht. Wir sind es den Hinterbliebenen und der Bevölkerung schuldig, die Geschehnisse lückenlos aufzuklären; denn ich und wir alle – davon bin ich überzeugt – möchten, dass die Familien und Angehörigen der Opfer des NSU-Terrors Ruhe finden, endlich Ruhe finden. Ich möchte, dass sie wissen, dass wir als Staat und Gesellschaft alles tun, um diese grausamen Taten aufzuklären. Ich möchte, dass sie wissen, dass in Deutschland jedes Leben gleich viel wert ist, sei es das eines Polizisten oder das eines türkischen Kioskbesitzers.

(Beifall im ganzen Hause)

Meine Damen und Herren, ich sage das hier auch deshalb so deutlich, weil unser Staat und seine Institutionen nicht fremdenfeindlich und nicht rechtsradikal sind. Wenn hier jemand meint, er könne die Taten des NSU missbrauchen, um fragwürdige politische Ansichten zu verbreiten, so erteilen wir ihm hier gemeinsam eine Absage.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer macht denn das?)

Wer dem Staat pauschal und vielleicht auch aus politischen Erwägungen heraus ohne jeden Nachweis abspricht, sich ernsthaft um die Aufklärung bemüht zu haben, spielt den Extremisten in die Karten. – Sie ziehen sich den Schuh ja möglicherweise an; ich weiß es nicht. Das haben Sie gerade gemacht.

(Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann zitieren Sie mal! Wir fragen doch nur, wer das macht!)

Auch der NSU wollte den Staat treffen. Die Taten richten sich nicht nur gegen die Opfer, gegen Ausländer in Deutschland und Mitbürger mit Migrationsgeschichte, sondern auch ausdrücklich gegen unseren Staat. Der Mord an Michèle Kiesewetter, der versuchte Mord an dem Polizisten Martin Arnold, meine drei von Michael Berger ermordeten Kollegen, das waren gezielte Morde und keine Kollateralschäden. Die Terroristen hassen den Staat. Sie hassen, dass unser Staat jedem die gleiche Heimat gibt. Sie hassen, dass unserem Staat Ethnien und Glaubensrichtungen gleich sind. Sie hassen, dass unser Staat und seine Institutionen alle seine Bürger schützt und allen Freiheiten gewährt.

Meine Damen und Herren, es ist wahr, dass unser Staat durch den NSU eine herbe Niederlage erlitten hat. Durch die Ergebnisse des ersten NSU-Untersuchungsausschusses wurden Schwachstellen erkannt, weil wir einvernehmlich und gut zusammengearbeitet haben, und das machen wir jetzt auch im zweiten NSU-Untersuchungsausschuss. Größtenteils wurden diese Schwachstellen behoben. Wenige Lücken müssen wir noch schließen, und da sind wir dran.

Die tatsächlich gemachten Fehler bei den Ermittlungen im NSU-Fall dürfen aber nicht dazu führen, dass wir denken, dass ganze Polizeibehörden, Staatsanwaltschaften, Gerichte, Verfassungsschutzämter und sonstige staatliche Institutionen über Jahrzehnte hinweg schlecht gearbeitet haben. Das ist definitiv nicht richtig. Das stimmt einfach nicht.

Wir haben in Deutschland eine hervorragende Aufklärungsquote, wenn es zum Beispiel um Kapitaldelikte geht. Wir haben einen Verfassungsschutz, der auf rechtlicher Grundlage immer wieder detailliert über die Gefahren von rechts und links und auch aus dem religiös motivierten Extremismus berichtet. Wir sind doch jetzt qualitativ an einer ganz anderen Stelle.

(Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein!)

Gerade auch das Bundesamt für Verfassungsschutz hat in den letzten Wochen und Monaten sehr gute Erfolge vorzuweisen. Denken wir nur an die Zerschlagung des IS-Anwerbernetzes um Abu Walaa. Diese Erfolge sind eben auf diese veränderten Arbeitsweisen, die Verbesserungen in der Informationsstruktur und auf die sensibilisierte Arbeitsweise zurückzuführen.

Um dies leisten zu können – das zeigt doch die Antwort der Bundesregierung ganz klar –, brauchen wir auch und vor allem mehr Personal. Die Maßnahmen, die im Rahmen des personell Möglichen und im Rahmen des Zuständigkeitsbereichs der Bundesregierung vollständig umgesetzt werden, verbessern die Arbeit der Ermittlungsbehörden weiter. Warum ist das wichtig? Zum einen dürfen wir von unseren ausgebildeten Beamten im Einsatz nicht erwarten, dass sie die tägliche Arbeit wie zuvor leisten und zusätzlich noch zahlreiche Lehrgänge und Fortbildungen machen, wenn wir nicht durch zusätzliches Personal Zeit dafür schaffen.

Richtig und wichtig ist, dass dieses Personal ausdrücklich bei Menschen mit Migrationshintergrund gesucht wird. Dass die Bundespolizei in die Zukunft denkt – das macht sie übrigens innovativ –, zeigt sich daran, dass sie bei der Anwerbung von Nachwuchs verstärkt das Potenzial der sozialen Medien nutzen wird.

Zum anderen braucht es allerdings Zeit, bis sich Veränderungen durchsetzen. Wir können nicht erwarten und verlangen, dass sich alles von heute auf morgen ändert. Es braucht Zeit, bis sich Änderungen durchsetzen, bis sie in Fleisch und Blut übergehen. Veränderungen müssen im Übrigen auch verarbeitet werden. Glauben Sie mir, ich weiß, wovon ich rede; schließlich habe ich selbst einmal dort gearbeitet.

Wir können aber nicht beim Thema Personal stehenbleiben, das dürfen wir auch nicht. Zur Verbesserung der Struktur haben wir mit dem Gemeinsamen Extremismus- und Terrorismusabwehrzentrum gegen Rechtsextremismus und Rechtsterrorismus ein hervorragendes Instrument zur Früherkennung von politisch motivierten Straftaten geschaffen. Mit dieser Einrichtung sind wir am Puls der Zeit; denn es ist nicht einfach nur eine neue Behörde, sondern es ist eine dauerhafte Kooperationsplattform von Bund und Ländern. Sie vereinfacht die oft schwierigen und länderübergreifenden Ermittlungen. Denn wie in anderen Kriminalitätsbereichen gilt auch hier: Der Rechtsextremismus macht nicht vor Ländergrenzen halt.

Die Einrichtung des Polizeilichen Informations- und Analyseverbundes PIAV war deshalb notwendig. Es ist gut, dass bis 2020 ein ambitionierter Ausbau von PIAV angedacht ist. Zugleich wird dadurch in den kommenden Jahren auch der Informationsfluss weiter verbessert. Zeiten und Ressourcen werden dadurch deutlich eingespart.

Mit all diesen Maßnahmen wollen wir die Zusammenarbeit der Polizeien der Länder, der Bundespolizei, des BKA und der Geheimdienste noch weiter verbessern. Dies ist der einzig richtige Weg, den größtmöglichen Schutz vor Verbrechen und insbesondere vor Hasskriminalität zu gewähren.

Ich komme zum Gesetzentwurf der Linken. Ich sage es von vornherein: Wir können ihm nicht zustimmen.

(Frank Tempel [DIE LINKE]: Das ist ja eine Überraschung!)

– Das haben Sie sich gedacht; das habe ich mir wiederum gedacht. – Wir können ihm nicht zustimmen, weil wir Opfer von Gewalttaten nicht belohnen wollen, sondern wir wollen die Straftaten im Vorfeld verhindern. Das ist für uns der richtige Ansatz. Dazu haben wir die richtigen Maßnahmen eingeleitet. Deswegen haben wir im Bundeskriminalamt die „Task Force Gewaltdelikte“ und die Clearingstelle „Straftaten gegen Asylunterkünfte“ eingerichtet. Das ist der richtige Weg. Man braucht nicht einmal böse von Menschen zu denken, wenn man erwartet, dass diese versuchen würden, das von Ihnen angedachte Gesetz zu missbrauchen. Deshalb müssen wir Ihren Gesetzentwurf ablehnen.

Ich bin der Überzeugung, dass wir in der Umsetzung der Empfehlungen des ersten Untersuchungsausschusses wirklich weit gekommen sind. Die Bundesregierung hat hier ihre Aufgaben gemacht. Deshalb möchte ich an dieser Stelle – das ging fast unter – herzlichen Dank sagen an alle ermittelnden Behörden, die uns tatkräftig bei der Verbrechensaufklärung unterstützen. Herzlichen Dank dafür an dieser Stelle.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Ich möchte noch kurz auf die Länder zu sprechen kommen. Auch diese sind auf dem richtigen Weg. Ich bin zuversichtlich, dass auch hier zeitnah alle möglichen Verbesserungen umgesetzt werden. Wir sind nämlich nur im Verbund stark. Und wir leben – das darf man an dieser Stelle ruhig einmal sagen – in einem der sichersten Länder der Welt. Wenn man bedenkt, dass in Cali in Kolumbien rund 1 600 Morde passieren und in ganz Deutschland mit knapp 81 Millionen Einwohnern – in Anführungszeichen; jeder ist zu viel – nur 282 Morde passieren, dann zeigt das die Dimension. Wir wohnen in einem der sichersten Länder der Welt. Darauf können wir stolz sein, und das dürfen wir ruhig auch mal sagen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Der Kollege Frank Tempel spricht jetzt für die Fraktion Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7030455
Wahlperiode 18
Sitzung 200
Tagesordnungspunkt Große Anfrage zur Verbrechensserie des NSU
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