Anette Kramme - Grundsicherung für ausländische Personen
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir leben in besorgniserregenden Zeiten. Politiker mit nationalistischen Parolen erhalten Zulauf, und Institutionen wie die Europäische Union, die für Völkerverständigung und für internationale Kooperation stehen, sind schwer unter Beschuss geraten. Deshalb gilt jetzt mehr als jemals zuvor: Wir dürfen uns nicht aus Europa zurückziehen. Wir dürfen nicht zurückfallen in Abschottung und Kleinstaaterei; denn der Rückzug auf das Nationale befördert Europa- und Ausländerfeindlichkeit.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nehmen Sie jetzt Ihren Gesetzentwurf zurück? Das finde ich aber gut!)
Genau das wird uns fälschlicherweise vorgeworfen im Zusammenhang mit den Regelungen zu Sozialleistungen für Bürgerinnen und Bürger aus anderen EU-Staaten, die wir heute debattieren. Aber gerade das tun wir nicht, liebe Kollegen und Kolleginnen. Im Gegenteil: Wir setzen auf Europa. Wir wollen, dass wir gemeinsam in Europa zu Problemlösungen kommen, die für alle tragen. Es geht uns um die Stärkung der europäischen Idee. Dieses Ziel erreichen wir aber nur, indem wir die Akzeptanz der Arbeitnehmerfreizügigkeit als eine der fundamentalen Grundlagen der Europäischen Union schützen, und dazu dient die Klarstellung des Zusammenhangs von Arbeitnehmerfreizügigkeit einerseits und Ansprüchen auf Sozialleistungen andererseits.
Ich will hier noch einmal betonen: Durch das geplante Gesetz bekräftigen wir die Intention des europäischen Gesetzgebers. Er stellt nämlich einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen Arbeitnehmerfreizügigkeit und Sozialleistungsansprüchen her. Die Kehrseite ist – darum geht es hier –, dass klar sein muss, dass Personen, die kein Freizügigkeitsrecht und kein Aufenthaltsrecht aufgrund der Freizügigkeitsrichtlinie haben, diese Ansprüche gegenüber dem deutschen Sozialstaat nicht haben. Gleichzeitig verlieren wir aber nicht aus dem Blick, warum Menschen aus anderen EU-Staaten nach Deutschland kommen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Frieden und Wohlstand sollte Europa bringen. Vor allen Dingen im Süden des Kontinents, aber nicht nur dort sehen wir, dass das Wohlstandsversprechen Europas brüchig geworden ist. Dieses Problem müssen wir angehen, gemeinsam in Europa. Dafür brauchen wir Handlungsfähigkeit, und zwar dort, wo die Bürgerinnen und Bürger in ihrem Alltag betroffen sind.
Wir müssen zum einen glaubhaft und erfahrbar machen, dass sich die Gemeinschaft als soziale Wertegemeinschaft versteht und nicht als bloße Wirtschaftsgemeinschaft.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Von der Politik der vergangenen Jahre haben eben nicht alle Menschen in Europa profitiert. Die Verbesserung sozialer Standards stand ebenfalls nicht oben auf der Prioritätenliste. Die schwierige soziale Lage in einigen Mitgliedstaaten verschärft die Armutsmigration innerhalb Europas, und diese greift die Solidaritätsbereitschaft der Zielländer an. Dem steuern wir mit unserem Gesetzentwurf entgegen, indem wir klarstellen: Wer kommt, um hier zu arbeiten, genießt selbstverständlich die Arbeitnehmerfreizügigkeit in Europa, mit den daraus folgenden Ansprüchen an Sozialversicherung und Sozialstaat. Wer dagegen nur kommt, um hier höhere Sozialleistungen als in einem anderen Staat zu erhalten, der hat keinen Anspruch darauf; denn die Antwort auf soziale Probleme in Europa kann nicht mehr Armutsmigration sein. Dafür dürfen wir keine Anreize setzen. Das Ziel muss doch eine Anpassung der sozialen Mindeststandards nach oben sein. Für den Aufbau einer europäischen Säule sozialer Rechte, die ihren Namen verdient, lohnt es sich, zu streiten. Ich lade alle Kritiker ein, ihre Energie in den aktuellen Diskussionsprozess einzubringen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Ich bin überzeugt: Unsere Regelung dient dem sozialen Fortschritt in Europa. Zugleich gibt sie den Kommunen Klarheit und Rechtssicherheit, und sie stärkt die Akzeptanz für die Arbeitnehmerfreizügigkeit in Europa.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Nächste Rednerin ist die Kollegin Sabine Zimmermann, Fraktion Die Linke.
(Beifall bei der LINKEN)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7030480 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 200 |
Tagesordnungspunkt | Grundsicherung für ausländische Personen |