Heiko Maas - Justiz und Verbraucherschutz, Bundesverfassungsgericht
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In den vergangenen Monaten und Wochen ist auf beiden Seiten des Atlantiks viel über das sogenannte postfaktische Zeitalter gesprochen worden. Es ist ein Zeitalter der falschen Propheten und der politischen Wunderheiler, und für die Demokratie sind das oftmals gefährliche Zeiten.
(Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!)
Wenn Gefühle wichtiger werden als Fakten, dann wird die Realität irgendwann etwas sehr Subjektives. Und wie können wir eigentlich um die besten Lösungen streiten, wenn wir uns nicht einmal mehr über die Probleme einig sind? In einer solchen Zeit braucht demokratische Politik vor allem Mut zum eigenen Urteil. Die Populisten haben nämlich nicht recht; Deutschland schafft sich nicht ab, Deutschland ist kein sicherer Hafen für Terroristen, und uns droht auch keine Islamisierung des Abendlandes. Politik wird auch nicht dadurch besonders demokratisch, dass man gerade einer lautstarken Minderheit ganz besonders aufs Maul schaut.
Was sind denn zurzeit die wirklichen, die häufigsten Fragen der Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger? Ist mein Arbeitsplatz sicher, und kann ich von dem Lohn, den ich dort erhalte, meine Familie finanzieren? Bin ich vor Kriminalität und Terrorismus gut geschützt? Bleibt meine Wohnung bezahlbar? Auf diese Fragen Antworten zu geben, ist die beste Agenda gegen jegliche Form von Populismus, und auch die Rechts- und Verbraucherpolitik ist hier gefordert.
Das haben wir auch getan, zum Beispiel im sozialen Mietrecht. In einem ersten Schritt haben wir Menschen geholfen, die sich eine neue Wohnung suchen. Wir haben sie mit Einführung des Bestellerprinzips von Maklerkosten entlastet und mit der Mietpreisbremse den Anstieg der Mieten begrenzt; Niedersachsen ist gerade das zwölfte Land, das die Mietpreisbremse eingeführt hat. Dass sie in einigen Ländern oder Städten nicht die Wirkung hat, die wir uns davon versprochen haben – in anderen allerdings sehr wohl –, ist kein Grund, das Instrument insgesamt infrage zu stellen.
Wir wollen in einem zweiten Schritt Menschen, die schon eine Wohnung haben, besser vor Mieterhöhungen schützen, vor allen Dingen im Zusammenhang mit Modernisierungen. Auch die Mieter haben etwas von energetischer Sanierung und altersgerechtem Umbau; aber wenn nur modernisiert wird, um die Miete exorbitant zu erhöhen, die Mieter zu vertreiben und anschließend die Mietwohnung als teure Eigentumswohnung zu verkaufen, dann muss das soziale Mietrecht Instrumente dagegen vorhalten.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Insofern wird das, in welcher Form auch immer, ein Thema sein, mit dem wir uns weiter beschäftigen müssen, weil es eine der großen Fragen vieler Bürgerinnen und Bürger ist.
Meine Damen und Herren, wir haben uns in der Koalition auch darauf verständigt – Herr Fechner hat es bereits angesprochen –, Menschen besser vor Wohnungseinbrüchen zu schützen. Dazu muss die Aufklärungsquote verbessert werden.
(Michaela Noll [CDU/CSU]: In NRW!)
Dafür brauchen wir vor allen Dingen auch eine Polizei, die personell und organisatorisch so ausgestattet ist, dass sie entsprechende Straftaten verfolgen und auch verhindern kann. Wir werden außerdem die Zuschüsse für den Einbruchsschutz ausweiten, und das vor allen Dingen auch für Mietwohnungen. Und wir wollen, wie bereits angesprochen, im Strafgesetzbuch den minder schweren Fall bei Wohnungseinbrüchen streichen, auch um zu zeigen, dass ein Einbruch in die Intimsphäre – mit vielen traumatischen Folgen für die Opfer – eben kein minder schweres Unrecht darstellt.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Meine Damen und Herren, nach dem Zusammenbruch des Kommunismus hat ein amerikanischer Historiker bekanntlich das „Ende der Geschichte“ ausgerufen, also den ultimativen Sieg von Demokratie, Rechtsstaat und Markwirtschaft. Ich finde, nicht erst die Wahl von Donald Trump hat deutlich gemacht, dass dies vielleicht doch etwas voreilig gewesen ist. In den USA, aber vor allen Dingen auch in der Türkei, in Polen, in Ungarn, bei Pegida und der AfD – überall attackieren Populisten vor allen Dingen eines, nämlich den Rechtsstaat: die Rechte von Minderheiten, die Freiheit der Presse, die Unabhängigkeit der Justiz und auch eine starke Verfassungsgerichtsbarkeit.
Vielleicht haben wir diese Werte und Institutionen zu lange für selbstverständlich gehalten. Und vielleicht haben wir auch in Deutschland Wertschätzung und Achtung für unseren Rechtsstaat manchmal vermissen lassen, wenn etwa beim Personal oder auch bei der Besoldung und Ausstattung der Justiz über Gebühr gespart wurde oder wenn die Justiz nur noch als ein lästiger Bremser und Bedenkenträger dargestellt worden ist.
Mit dem Rechtsstaat ist es so ähnlich wie mit der Luft zum Atmen: Erst wenn sie fehlen, fällt es manchem auf, wie wichtig sie sind. Deshalb ist das ein Thema, mit dem wir uns auseinandersetzen müssen. Daher passen solche Projekte, wie Sie sie angesprochen haben, Herr Gröhler, durchaus gut in die Zeit: Auch junge Menschen müssen sich mit dem Wert des Rechtsstaats vielleicht etwas intensiver auseinandersetzen.
Es ist deshalb gut, dass wir bei der Ausstattung der Justiz in vielen Ländern – das können wir überall wahrnehmen – längst eine Trendwende haben. Mit diesem Haushalt, Herr Claus, schaffen wir neue Stellen beim Bundesgerichtshof und beim Generalbundesanwalt, weil wir das, was die Sicherheitsbehörden aufdecken und ermitteln, in rechtsstaatlichen Verfahren zu einem Ergebnis führen wollen.
Wir wollen künftig diejenigen besser schützen – und auch das ist ein wichtiger Punkt –, die unseren Rechtsstaat repräsentieren und ihn täglich durchsetzen. In der vergangenen Woche hat wieder ein sogenannter „Reichsbürger“ sechs Polizisten angegriffen und diese zum Teil schwer verletzt. Hier wollen wir das Strafrecht so ändern, dass Straftaten, die unter Verwendung von gefährlichen Werkzeugen begangen werden, oder Gruppenstraftaten besser erfasst werden können; denn es sind nicht nur „Reichsbürger“, die unseren Rechtsstaat herausfordern, sondern es sind auch gewalttätige Hooligans und Fremdenfeinde. Wir wollen diejenigen, die den Rechtsstaat, unsere Sicherheit und Freiheit verteidigen, besser schützen, und das sollen in Zukunft auch die Täter zu spüren bekommen.
Meine Damen und Herren, die Stärke eines Rechtsstaats zeigt sich auch daran, dass er die Kraft hat, eigene Fehler zu korrigieren. Die Strafurteile nach § 175 des Strafgesetzbuches waren ein solcher Fehler. Deshalb werden wir diese Urteile aufheben und die Betroffenen endlich von ihrem Strafmakel befreien.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN)
Mit dem vorliegenden Haushalt schaffen wir – dafür bin ich besonders dankbar – die Voraussetzung für eine individuelle Entschädigung der Opfer, und wir sorgen – sozusagen als kollektive Entschädigung – auch für eine weitere Förderung der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld, die sich gerade mit diesem Projekt intensiv beschäftigt.
Meine Damen und Herren, danken möchte ich auch dem Haushaltsausschuss und seinen Berichterstattern für die finanziellen Mittel, mit denen wir den Verbraucherschutz weiter stärken können. Wir werden mit diesem und dem laufenden Haushalt das Kapital der Stiftung Warentest um 100 Millionen Euro erhöhen. Sehr geehrter Herr Gröhler, darüber zu entscheiden, ob der Stiftung Warentest 10 Millionen Euro zugegeben werden, steht nicht im Belieben eines Ministers, wohl aber ist der Bundesrechnungshof beteiligt; aber ich bin zuversichtlich, dass wir auch das zeitnah hinbekommen.
(Klaus-Dieter Gröhler [CDU/CSU]: Sehr gut!)
Wir schaffen eine Anschubfinanzierung für den neuen Marktwächter Energie, und wir verstetigen die Arbeit beim Bundesverband der Verbraucherzentralen durch 32 neue Stellen, die es dort geben wird.
Ein anderes Projekt, an dem man ablesen kann, dass das Geld, das wir zur Verfügung gestellt bekommen, gut investiert wird, ist das Rosenburg-Projekt in unserem Haus. Die Untersuchung, wie das Bundesjustizministerium in den 50er- und 60er‑Jahren mit der NS‑Vergangenheit umgegangen ist, ist abgeschlossen. Die Akte Rosenburg liegt auf dem Tisch. Das Ergebnis ist wahrlich kein Ruhmesblatt für unser Ressort, aber deshalb war es notwendig und überfällig, die Geschichte des Ministeriums, gerade auch in dieser Zeit, zu erforschen. Das haben Sie als Haushaltsgesetzgeber möglich gemacht, und dafür danke ich Ihnen sehr.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Angesichts des gegenwärtigen Populismus, der uns allen Sorgen bereitet, täte ein Blick in die Geschichte vielleicht auch jenen ganz gut, die heute überall Verfall und Niedergang ausmachen, die fest davon überzeugt sind, dass alles immer schlimmer wird. Wenn wir frei wählen könnten, zu welchem Zeitpunkt der deutschen Geschichte wir geboren sein möchten – und wir wüssten vorher nicht, ob wir als Mann oder Frau, in einer armen oder in einer reichen Familie, in Ost oder West auf die Welt kommen würden –: Die meisten von uns würden die Gegenwart wählen; denn nie zuvor – zumindest aufs Ganze besehen – waren Freiheit und Frieden höher, waren Wohlstand und Chancen fairer verteilt, als das heute der Fall ist. Auch das gilt es zu verteidigen, und das wollen wir mit den Mitteln, die uns zur Verfügung gestellt werden, gerne tun.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Vielen Dank, Heiko Maas. – Der Nächste auf der Redeliste ist Harald Petzold für die Linke.
(Beifall bei der LINKEN)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7034606 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 201 |
Tagesordnungspunkt | Justiz und Verbraucherschutz, Bundesverfassungsgericht |