22.11.2016 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 201 / Tagesordnungspunkt I.7

Ekin DeligözDIE GRÜNEN - Gesundheit

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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Kollege Heiderich, ja, Sie haben schon recht: Das Gesundheitssystem in Deutschland ist schon eines der besten der Welt. Es sind alleine in den GKVs 71 Millionen Menschen versichert, 85 Prozent davon in den 20 größten Einrichtungen. Damit haben wir eine gewisse Verlässlichkeit. Aber die Frage ist ja nicht, ob es gut ist, sondern die Frage ist: Wie können wir so vorausschauend handeln, dass es auch morgen noch so gut ist. Dafür müssen wir doch arbeiten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wenn uns das gelingen soll, dürfen auch wir Haushälter unseren Blick nicht nur auf den Etat des Ministers richten, sondern müssen ihn auch auf die Sozialkassen richten. Auch da schaut es im Moment noch sehr gut aus: Die Krankenkassen schreiben schwarze Zahlen, die Rücklagen betragen – Sie haben es erwähnt – 15 Milliarden Euro. Aber, tut mir leid, das ist nicht Ihr Verdienst. Das liegt auch daran, dass wir eine hohe Beschäftigungsquote haben, dass wir eine gute Konjunktur haben, dass wir eine geringe Arbeitslosigkeit haben. Und all das wirkt sich dann auf die Sozialversicherungen entsprechend aus.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zurufe von der CDU/CSU: Alles schön! Alles wunderbar!)

Das ist doch das, was dahinter liegt.

(Reiner Meier [CDU/CSU]: Danke für das Lob!)

Aber was Sie machen, ist, dass Sie die Kosten für die gesetzlichen Krankenkassen steigern. Im Moment liegen sie noch bei 220 Milliarden Euro. Sie werden aber unabdingbar steigen. Das hat drei Gründe: erstens die technischen Entwicklungen und der medizinisch-technische Fortschritt, zweitens der demografische Wandel – wir werden älter; damit werden entsprechende Kosten auf uns zukommen – und drittens die Gesetze und sogenannten Reformen, die Sie in diesem Land beschlossen haben.

Diese Kosten müssen ausschließlich von den Krankenkassen geschultert werden – und dann auch noch allein von den Beitragszahlern. Das sind die Konsequenzen. Diese Kosten spiegeln sich auch nicht in diesem Haushalt wider, sondern da lassen Sie die Versicherten alleine und im Stich.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das ist besonders bedauerlich; denn weil es uns gerade gut geht, hätten wir jetzt auch die Chance, die Krankenversicherung fit für die Zukunft zu machen, sie zu erneuern, sie besser aufzubauen und sie stabil zu machen.

(Hubert Hüppe [CDU/CSU]: Fordern Sie weniger Leistungen?)

Aber das machen Sie nicht. Eine verpasste Chance für die Versicherung!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Minister, Ihre Gesetze sind teuer. Die Kaufmännische Krankenkasse hat erklärt – es gibt auch andere Krankenkassen, die das genauso vorrechnen –, dass den Krankenkassen schon im nächsten Jahr Mehrausgaben von 3 Milliarden Euro drohen. Diese Mehrausgaben werden sukzessive zunehmen. Bis zum Jahre 2020 belaufen sich die Mehrkosten aufgrund der Gesetze, die in dieser Wahlperiode verabschiedet werden, wahrscheinlich auf 14 Milliarden Euro.

Wer zahlt diese Mehrkosten? Alleine die Versicherten. Und warum? Weil Sie nicht den Mumm haben, zu einem echten paritätischen System zurückzukehren und die Arbeitgeber mit daran zu beteiligen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Wenn Ihnen wirklich an Solidarität gelegen wäre, dann würden Sie hier etwas verändern und nicht an überholten Strukturen festhalten; denn zu echter Solidarität gehört nun einmal, dass sich auch die Arbeitgeber daran beteiligen.

Sie haben zwar zehn Gesetze verabschiedet, dennoch bleibe ich bei meiner Aussage: Kernbereiche müssen wir immer noch angehen. Und vor allem: Verwechseln Sie nicht Quantität mit Qualität.

Hier nenne ich zum Beispiel das Pflegestärkungsgesetz II. Sie haben da zwar sehr vieles verändert. Wenn ich vor Ort Gespräche führe, höre ich aber, dass das Problem des Personalmangels in der Pflege immer noch besteht. Daran wird – es tut mir leid – mehr Werbung für Pflege allein nichts ändern. Vielmehr müssen wir an die Strukturen herangehen und für bessere Bezahlung dieser Dienstleistung eintreten. Wenn wir diesem Personalmangel abhelfen wollen, müssen wir im Grundsatz viel mehr für Pflege und auch für diesen Berufsstand tun, als nur Hochglanzbroschüren herauszugeben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Deshalb fordern wir als Grüne auch, etwas gegen den Personalmangel in medizinischen Berufen zu tun. Übrigens fordern wir auch deshalb eine Pflegebürgerversicherung, weil wir mit der Ausweitung der Solidarität auf mehr Schultern auch eine Stabilität im System bekommen würden.

Den Pflegevorsorgefonds könnten Sie übrigens, wenn Sie ehrlich sind, genauso gut streichen. Er ist schon total zaghaft angelaufen. Jetzt haben wir ein Zwischenhoch, weil die Zinsen niedrig sind und die Leute diese Möglichkeit gerne mitnehmen. Aber obwohl die Bedingungen dafür bestens sind, erreichen Sie bei weitem nicht das, was angedacht war und was Sie eigentlich von vornherein hätten erreichen müssen. Das heißt, dass die Menschen diese Form von Pflegevorsorge nicht annehmen. Wenn etwas nicht funktioniert, muss man auch einmal den Mumm haben, zu sagen: Wir streichen das und denken neu nach. – Das haben Sie aber nicht getan. Verpasste Chance!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE])

Wir haben zuletzt auch noch einmal den Antrag eingebracht, 50 Millionen Euro zusätzlich für die Psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer bereitzustellen. Warum wollen wir das? Flüchtlinge kommen nach einer langen schwierigen Reise mit vielen Torturen hierher. Sie haben etwas Schreckliches erlebt und sind traumatisiert. Wir verlangen von ihnen, dass sie Deutsch lernen, dass sie erwerbstätig werden und dass sie für ihre eigene Existenz sorgen. Solange es uns aber nicht gelingt, diese durch die Traumata entstandenen Blockaden aufzulösen, wird uns oftmals auch die Integration nicht gelingen.

Deshalb müssen wir diese Strukturen, bei denen es nicht nur um Behandlung, sondern auch um Präventivmaßnahmen geht, stärken. Dazu gehört übrigens auch der Einsatz von Dolmetscherinnen und Dolmetschern im Rahmen einer Behandlung.

Die von uns hierfür beantragten 50 Millionen Euro bereitzustellen, hätten wir bei diesem Haushaltsplan wahrhaftig auch noch hinkriegen können. Verglichen mit dem großen Haushalt ist das eine relativ kleine Summe. Es hätte aber große Auswirkungen auf die Zukunft der Menschen, die neu in diesem Land ankommen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE])

Ich möchte mich an dieser Stelle aber noch für drei Dinge bedanken:

Erstens. Herr Minister, vielen Dank dafür, dass Sie die WHO-Mittel gestärkt haben. Das ist gut für ein internationales Gesundheitssystem, für unabhängige Strukturen und vor allem für verlässliche Strukturen.

Zweitens. Danke, dass Sie unseren Antrag zur Suizidprävention übernommen haben. 11 000 bis 12 000 Menschen begehen Suizid in diesem Land. In diesem Bereich sensibler zu sein, steht uns gut zu Gesicht.

Drittens. An dieser Stelle bedanke ich mich ganz herzlich bei meinen Mitberichterstatterinnen und Mitberichterstattern, insbesondere aber bei Herrn Blienert. Am Ende ist uns gemeinsam ein Maßgabenbeschluss gelungen, in dem wir sagen, zu Verlässlichkeit und Vertrauen gehört eine gute Kontrolle und damit eine Stärkung des Bundesrechnungshofes. Es ist unser Hauptauftrag als Haushälter, Missbrauch zu verhindern und dafür zu sorgen, dass sich die Menschen auf uns verlassen können.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE])

Vielen Dank. – Nächster Redner für die SPD ist der Kollege Burkhard Blienert.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7034715
Wahlperiode 18
Sitzung 201
Tagesordnungspunkt Gesundheit
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