22.11.2016 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 201 / Tagesordnungspunkt I.8

Georg NüßleinCDU/CSU - Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit

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Frau Präsidentin! Meine Damen! Meine Herren! Nach zwei Reden von Vertretern der Opposition muss ich sagen, dass ich mich ernsthaft schwer damit tue, mich überhaupt in die Gedankenwelt zu versetzen, die Sie hier offenbaren.

(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Steffen-Claudio Lemme hat für die Regierung geredet!)

Frau Bluhm sagte, dass sie Wahlgeschenke erwartet hätte, dass der Haushalt nicht so aussähe, wie sie ihn in dieser Phase – letzte Haushaltsdebatte vor den Wahlen – erwartet hätte. Für Sie kann es wohl nicht genug sein. Ich sage Ihnen: Ich bin zufrieden mit der schwarzen Null, mache mir aber, was unseren Haushalt insgesamt angeht, ernsthafte Sorgen. Überall gibt es Aufwüchse, und zwischen den Häusern gibt es einen regelrechten Wettbewerb, immer noch mehr Geld auszugeben. Es werden Zeiten kommen, in denen wir über andere Themen werden diskutieren müssen, nämlich darüber, wie wir wieder Geld sparen können. Wir tun uns da momentan schwer. Wenn ich von Vertretern der Opposition höre, wir müssten noch sehr viel mehr ausgeben, dann, denke ich, sind Sie auf einem komplett falschen Pfad.

(Beifall bei der CDU/CSU – Heidrun Bluhm [DIE LINKE]: Das habe ich nicht gesagt!)

Das Primat der Grünen lautet: Wir stellen den Klimaschutz über alles, koste es, was es wolle. Ich sage Ihnen, Herr Kindler: Gerade in der Klimaschutzpolitik gibt es nichts Wichtigeres, als Augenmaß zu bewahren und Anspruch und Wirklichkeit in ein sinnvolles Verhältnis zu setzen.

(Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und was ist Ihr Anspruch?)

– Ich erkläre es Ihnen. – Schauen Sie: Wenn ich vor Schülern spreche, erlaube ich mir ab und zu den Spaß, sie zu fragen: Was glaubt ihr, wenn Deutschland von heute auf morgen keine CO 2 -Emissionen mehr produzieren würde, wie lange würde es dauern, bis der Zuwachs in China diese Einsparung ausgleicht? – Auf diese Frage erhalte ich ganz unterschiedliche Zahlen als Antwort. Im Regelfall wird ein Zeitraum zwischen 10 und 100 Jahren genannt. Die realistische Zahl – zwischen einem und eineinhalb Jahren – kommt ganz selten.

(Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das heißt?)

– Ich sage Ihnen gleich, was das heißt. – Das liegt daran, dass wir so tun, als wäre der Klimaschutz national zu bewältigen. Das Problem liegt aber ganz woanders: Wir müssen bei diesen ganzen Überlegungen davon ausgehen, dass der deutsche Klimaschutz nur dann einen Sinn macht, wenn uns andere folgen, wenn andere uns das nachmachen.

(Peter Meiwald [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die sind doch schon vor uns!)

Eine Deindustrialisierungsstrategie, die insbesondere die Grünen vorschlagen, wird uns niemand auf dieser Welt nachmachen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Zu meiner großen Freude haben Sie die ausgeprägte Schnapsidee angesprochen – ich sage das so drastisch –, dass wir als Politik den Menschen vorgeben sollen, dass sie nur noch halb so viel Fleisch essen sollen. Meine Damen und Herren, das ist ein deutsches Thema. Das mag unter gesundheitspolitischen Erwägungen durchaus ein richtiger Ansatz sein, aber umweltpolitisch ist das Schwachsinn; denn die Welt hat ein anderes Problem:

(Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das haben Sie klimapolitisch nicht verstanden!)

Die Schwellen- und Entwicklungsländer, die mit ihrem Bevölkerungswachstum momentan einen Beitrag dazu leisten, dass wir ein noch sehr viel größeres Klimaproblem bekommen werden, haben eine ganz andere Problemlage.

Herr Kollege Nüßlein, ehe Sie sich weiter in Fahrt reden: Gestatten Sie Zwischenfragen?

Ja.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Bulling-Schröter von der Linken?

Ja.

Kollege Nüßlein, ich habe Ihnen gerade genau zugehört, –

Das ist gut.

– auch bei Ihren Schimpfkanonaden. Ich möchte Sie fragen: Wie beurteilen Sie denn das Ergebnis von Marrakesch? Sie waren ja nicht dabei. Wir waren dort und haben auch mit Klimazeugen gesprochen. Denen steht das Wasser bis zum Hals. Wir wissen, dass mittlerweile 37 der am meisten betroffenen Staaten überlegen, aus der Kohle auszusteigen. Natürlich brauchen sie Unterstützung. Würden wir dem, was Sie hier erzählen, folgen, würden wir die Klimaschutzziele bis 2020 nicht erreichen. Wenn wir davon ausgehen, dass wir den CO 2 -Ausstoß bis 2050 um 95 Prozent reduzieren müssen, dann frage ich Sie: Wie sollen wir das schaffen, wenn wir dem, was Sie sagen, folgen?

Eine weitere Frage: Haben Sie vielleicht verfolgt, dass gerade China in Marrakesch gesagt hat, sie würden jetzt Klimaschutzziele definieren, sie würden in Richtung Kohleausstieg und CO 2 -Einsparung gehen, und sie wollten mit Vorreiter sein?

Danke, Frau Bulling-Schröter. – Bitte schön, Herr Kollege.

Frau Bulling-Schröter, ich habe, auch wenn Sie mich an der falschen Stelle unterbrochen haben, in keiner Weise gesagt, dass wir unsere Klimaziele nicht weiter verfolgen sollten. Ich bin, was die Einschätzung des Gipfels von Marrakesch angeht, eng bei der Bundesumweltministerin, die deutlich gemacht hat, dass die Welt sehr wohl sieht, wie ambitioniert Deutschland diese Ziele verfolgen wird. Nur, ich sage Ihnen: Es kann und wird nicht helfen, wenn wir in Deutschland das für uns alleine machen,

(Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch gerade der Fehler!)

sondern wir müssen einen Beitrag dazu leisten, dass uns andere Länder folgen. Wenn Sie abgewartet hätten, hätten Sie gehört, dass ich Ihnen noch präzise beschrieben hätte, unter welchen Umständen das Sinn macht. Eine Deindustrialisierung Deutschlands macht überhaupt keinen Sinn. Das ist aus meiner Sicht der falsche Ansatz.

Ich verstehe natürlich Ihre Ambitionen: Sie wollen uns anhängen, wir hätten uns von diesen Themen und Zielen verabschiedet. Das ist aber nicht der Fall. Ich will eine Klimaschutzpolitik, die am Ende wirkt. Das wird nur gehen, meine Damen und Herren, wenn andere dem Vorreiter etwas nachmachen bzw. bereit sind, dies zu tun. Das ist ganz entscheidend.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Jetzt will ich auf das Thema, das Herr Kindler angesprochen hat, zurückkommen. Ich hätte dieses Thema gar nicht angesprochen, weil ich es, ehrlich gesagt, kindisch finde. Wenn es heißt, wir in Deutschland sollten nur halb so viel Fleisch essen und die Politik solle das verordnen, muss ich sagen: Ich halte das für eine kindische Nummer; denn die Welt hat ein anderes Problem. In den Schwellenländern, etwa in China, oder in den Entwicklungsländern hat man doch eher die Sorge, überhaupt ein bisschen Fleisch in die Schüssel Reis zu bekommen. Es geht doch darum, meine Damen und Herren, wie wir die Menschen in diesen Ländern in Zukunft ernähren und trotzdem das Klima schützen können. Das ist das Thema, auf das wir unser Gehirnschmalz verwenden sollten,

(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Erst mal das Gehirn anschalten!)

statt die Bürgerinnen und Bürger hier in Deutschland mit irgendwelchen Schnapsideen zu gängeln.

(Beifall bei der CDU/CSU – Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ihre Agrarpolitik zerstört die Existenz der kleinen Bauern!)

Von Ihnen ist sofort ein Diffamierungsversuch gestartet worden, als unsere Fraktion zum Klimaschutzplan gesagt hat: Da gibt es viele Dinge, die man überdenken und überarbeiten muss. – Wir haben doch nicht gesagt: „Wir wollen ihn nicht“, sondern wir haben uns die Mühe gemacht, auf 57 Seiten Punkt für Punkt zu beschreiben, was wir anders und besser machen wollen.

(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was Sie alles nicht wollen!)

Es ist beispielsweise unglaublich, beim Thema Mobilität einseitig zu sagen – so geben Sie es ja auch hier wieder vor –: Nur die Elektromobilität ist die Zukunft. – Als ob wir, die Politik, das entscheiden könnten! Es gibt noch eine ganze Menge anderer Themen – dazu gehören die Leichtbauweise und die Biokraftstoffe der nächsten Generation – und eine ganze Menge Ansätze, wie man da etwas bewegen kann.

(Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Machen Sie doch da mal etwas! – Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Reden Sie doch mal über den Plan von Frau Hendricks! – Gegenruf des Abg. Manfred Grund [CDU/CSU]: Es ist gut jetzt!)

Sie aber wollen einseitig vorgeben, wo die Reise hingehen soll, weil es die Grünen natürlich, wie immer, schon im Voraus wissen. Das glaube ich Ihnen ganz einfach nicht.

Wir haben gesagt: Lasst uns innovationsorientiert und technologiebasiert vorgehen. Wir wollen lieber Markt und Anreiz statt Zwang und Gängelung. – Ich weiß, dass Ihnen das nicht in den Kram passt, weil sich das nicht mit Ihrer Politik deckt; das ist der Punkt.

(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ist das eine ideologische Rede?)

Ich glaube, am Ende werden wir einen Klimaschutzplan vorliegen haben – unsere Fraktion wird ihn sich natürlich nicht Punkt für Punkt und Komma für Komma zu eigen machen –,

(Lachen bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) – Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da steht doch gar nichts mehr drin!)

der sehr deutlich zeigen wird, dass man Klimaschutz auch mit mehr Offenheit und mehr Bürgerbeteiligung erreichen kann.

(Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh! Mehr Bürgerbeteiligung?)

Beim Thema Kohle – Sie haben es angesprochen – geht es doch nicht nur darum, einen Ausstiegszeitpunkt festzulegen, sondern es geht auch um einen Strukturwandel. Wir haben genau formuliert, wie dieser Strukturwandel stattzufinden hat und wie das am Ende laufen soll. Wir wollen nicht eben nur einfach wieder eine neue Wende nach der x-ten Wende. Vielmehr sollte man sich ganz intelligent überlegen, wie man diesen Strukturwandel tatsächlich voranbringen kann. Ich glaube, dass das wichtig ist; denn, meine Damen und Herren, die Zeche für die Strukturbrüche, die Sie gerne hätten, würden die Bürgerinnen und Bürger im Land zahlen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es dann am Ende tatsächlich gut gehen würde.

Ich will Ihnen auch noch einmal deutlich ins Stammbuch schreiben, dass jeder Renationalisierungsansatz im Zusammenhang mit dem Klimawandel in die Irre führt. Ich halte das für falsch.

(Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist denn ein „Renationalisierungsansatz“?)

Sie haben auch die Veränderungen in den USA angesprochen.

(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wollen Sie jetzt Trump folgen?)

Gerade deshalb muss uns, meine Damen und Herren, doch klar sein, dass beim Thema Klimaschutz am Schluss nur ein gemeinsamer europäischer Anspruch und ein gemeinsames europäisches Vorgehen zum Ziel führen werden.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich könnte das durchdeklinieren. Es wird natürlich schwierig sein, die EnEV und das EEWärmeG zusammenzulegen und gleichzeitig eine Baukostenbegrenzung zu haben. Ich sage nicht, dass das nicht machbar ist. Ihr Weg aber ist, Folgendes zu sagen: Klimaschutz geht über alles, koste es, was es wolle. Wirtschaftlichkeit spielt keine Rolle. Und immer dann, wenn es unwirtschaftlich wird, soll der Staat durch Zuschüsse ausgleichen. – Damit wird doch am Schluss jedes Wirtschaftlichkeitsgebot ad absurdum geführt. Es hat mit Wirtschaftlichkeit nichts mehr zu tun, wenn der Staat das alles ausgleicht. Diesen Ansatz halte ich für falsch.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich habe zum Thema sozialer Wohnungsbau einiges gehört. Die Linken – das kann man von ihnen nicht anders erwarten – sind der Meinung: Der Staat wird es am Schluss schon richten. Hier haben wir doch ein typisches Beispiel dafür, dass es der Staat am Ende nicht richten wird. Wir haben die entsprechenden Gelder jetzt auf immerhin stattliche 1,5 Milliarden Euro aufgestockt. Ich bin ja gespannt, ob es der Staat am Schluss machen wird. Bisher gab es die Erfahrung, dass die Länder das nicht getan haben, dass das also nicht die Lösung aller Probleme bringt. Deswegen sagen wir als Union natürlich: Wir müssen daneben selbstverständlich auch auf private Initiativen setzen.

Ich sage Ihnen auch ganze offen, dass ich mir die steuerliche Wohnraumförderung sehr gewünscht hätte. Ich hätte mir sehr gewünscht, dass sie wenigstens im Kleinen eingeführt worden wäre, dass man nämlich von 2 Prozent Abschreibung auf 3 Prozent gegangen wäre. Denn das ist immerhin das, meine Damen und Herren, was dem tatsächlichen Wertverschleiß von Immobilien – bei denen es halt mehr Technik als früher gibt – entspricht. Es spricht doch nichts dagegen, dass man denen, die investieren sollen, sagt: Ihr dürft wenigstens die Kosten, die ihr tatsächlich habt, am Schluss steuerlich geltend machen. – Aus meiner Sicht hätte nichts dagegen gesprochen.

Ich sage Ihnen auch ganz offen, dass ich von den großen Steuerprogrammen nicht immer nur begeistert war. Denn durch sie gibt es eine enge Beschränkung auf eine bestimmte Gebietskulisse, nämlich die Metropolen. Das bedeutet, dass man dort, wo es eh schon lichterloh brennt, noch ein bisschen Öl hineingießt und sagt: Da nehmen wir noch eine Sonderabschreibung vor. – Das führt dazu, dass es dort noch stärker brennt. – Davon bin ich nicht überzeugt.

Ich freue mich darüber, dass die Bundesbauministerin das Thema Baukindergeld der Union faktisch aufgegriffen hat und dazu einen Vorschlag gemacht hat. Das, was da vorgeschlagen wird, halte ich für absolut richtig und wegweisend. Aber auch da gilt wieder, meine Damen und Herren: Das sollte nicht nur im Rahmen einer engen Gebietskulisse bzw. in den Metropolen geschehen, zum Beispiel im Speckgürtel um München herum, wo die jungen Familien am Schluss sowieso keine Chance haben, Eigentum zu erwerben. Es gibt eine ganze Menge prosperierender ländlicher Räume. Auch mittlere Städte gehören dazu. Dort haben junge Familien immer noch eine Chance, tatsächlich zu bauen, wenn man ihnen, meine Damen und Herren, einen Teil des Eigenkapitals dazugäbe. Das wäre ein guter Ansatz. Aus meiner Sicht macht es Sinn, dem noch einmal in ganz starkem Maße nachzugehen. Es wäre sinnvoller, darüber zu diskutieren, als, Frau Bluhm, mit falschen Zahlen bei der Förderung von altersgerechten Wohnungen zu operieren. Es handelt sich um 75 Millionen Euro – und nicht, wie Sie gesagt haben, um 29 Millionen Euro.

Lassen Sie uns darüber diskutieren, wie wir dieses Thema voranbringen können. Das bekommen wir nur hin, wenn Staat und Private das gemeinsam machen. Wir wollen das. Im Übrigen ist es so: Jedes neu errichtete Eigenheim sorgt dafür, dass eine Mietwohnung frei wird. Das sollten diejenigen, die da auf einer anderen Fährte sind, noch einmal bedenken.

Vielen herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Vielen Dank. – Für die Bundesregierung hat jetzt Bundesministerin Barbara Hendricks das Wort.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7034773
Wahlperiode 18
Sitzung 201
Tagesordnungspunkt Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit
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