Peter MeiwaldDIE GRÜNEN - Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit
Frau Präsidentin! Frau Ministerin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Geschätzte Bürgerinnen und Bürger! Nach dem, was Kollege Kindler und Frau Baerbock schon an Gutem und Richtigem und Wichtigem zum Klimaschutz, zum Kohleausstieg und zu dem gescheiterten Plan gesagt haben, wollte ich dazu jetzt nichts mehr sagen. Aber nach dem, was wir eben gehört haben, komme ich nicht umhin, doch noch etwas dazu zu sagen.
Zunächst einmal zur Deindustrialisierung. Kollege Nüßlein, fragen Sie doch mal die Menschen in Sachsen, die ihre Jobs in der Solarindustrie verloren haben, fragen Sie die vielen Menschen im Osten, wer eigentlich für die Deindustrialisierung verantwortlich ist! Das droht jetzt auch in der Windbranche.
(Heidrun Bluhm [DIE LINKE]: Der ist schon weg!)
– In der Tat, Herr Nüßlein ist gar nicht mehr da; schade. – Aber vielleicht erzählen Sie es ihm. Er soll doch bitte mal nach Sachsen gehen und sich da erkundigen, wer eigentlich für die Deindustrialisierung verantwortlich ist.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Manfred Grund [CDU/CSU]: Verraten Sie es uns! – Gegenrufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Die Union!)
– Das war die Koalition von CDU, CSU und FDP.
(Manfred Grund [CDU/CSU]: Wo sind denn die preiswerten Solarmodule hergekommen? Von der Regierung hier? Geht es Ihnen noch gut? – Gegenruf der Abg. Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
– Wollen wir das als Zwischenfrage machen, Frau Präsidentin?
Das machen wir als Zwischenfrage. Das entscheide ich jetzt so.
Es ist als Zwischenfrage gewertet worden. Ich will Ihnen das gern beantworten, wenn Sie mich schon so freundlich fragen.
Ich gehe einmal davon aus, Herr Grund, dass Sie eine Antwort wollen. Deshalb sollten wir es als Zwischenfrage werten. Dann kann man korrekt antworten. Sie können die Frage noch ergänzen, wenn Sie möchten.
Dann will ich das gern tun. – Sie haben „Deindustrialisierung“ gesagt und auf uns gezeigt. Ich habe Sie gefragt, wer die billigen Solarmodule nach Deutschland geliefert hat, die nach wie vor eingebaut werden. Es ist kein Mangel an Flächen, an Freiflächen, an Hausflächen, sondern es besteht offensichtlich ein anderes Problem, das nach meinem Dafürhalten mit der Regierung herzlich wenig zu tun hat.
(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Steilvorlage, Peter!)
Es war sehr eindeutig, vor allen Dingen noch zu der Zeit, als die CDU, die CSU und die FDP die Koalition hier gebildet haben, dass man einfach gesagt hat: Wir wollen die Solarbranche hier nicht. Wir wollen das nicht übersubventionieren.
(Lachen des Abg. Manfred Grund [CDU/CSU])
Wir wollen nicht, dass ein Markt sich hier entwickelt, den wir hinterher nicht mehr regulieren können. Wir wollen alles dem freien Wettbewerb überlassen.
(Manfred Grund [CDU/CSU]: Entsetzen bei den eigenen Leuten!)
Wenn man Innovations- und Technologieoffenheit ausschaltet und alles nur dem Preis überlässt, dann braucht man sich nicht zu wundern, wenn die Arbeitsplätze abwandern, nämlich in Billiglohnländer wandern. Die Technologieführerschaft haben wir schon lange verloren. Wir verlieren Innovation. Wir verlieren wertvolle Arbeitsplätze. Das ist das Ergebnis der Politik, die die von Ihnen geführte Regierung betrieben hat.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Ralph Lenkert [DIE LINKE])
Ich möchte noch etwas sagen, weil uns das Thema Deindustrialisierung immer wieder beschäftigt. Wir als Grüne haben ein Interesse daran, dass es hier auch 2030 noch eine Automobilindustrie gibt. Wenn Sie sich weigern, dafür zu sorgen, dass die Automobilindustrie endlich den Schalter umlegt, nämlich auf Elektromobilität, dann werden 2030 nur noch Google, Tesla, Apple und vielleicht ein paar innovative chinesische Unternehmen Autos produzieren. Wir als Grüne wollen das nicht. Wir wollen nicht für eine solche Deindustrialisierung verantwortlich sein. Das müssen Sie sich als Große Koalition anziehen, wenn Sie nicht bereit sind, in einem Klimaschutzplan endlich verlässliche Vorgaben zu machen, mit denen die Unternehmen dann auch planen können.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Das kann ich auch Ihnen, Frau Ministerin, nicht durchgehen lassen.
Zum Kohleausstieg. Ich bin ziemlich eng an Energieunternehmen dran. Ich weiß schon, dass die vor allen Dingen eines fürchten, nämlich Planungsunsicherheit. Wenn die Regierung nicht einen klaren Zeitplan aufstellt, in dem sie sagt, wann und in welcher Form aus der Kohle ausgestiegen werden soll, dann schafft das Planungsunsicherheit. Investitionen werden verhindert, und wir haben 2030 einen Strukturwandel, der als Bruch stattfindet und nicht als planbarer Prozess. Das kann nicht der Sinn sein, und so geht auch keine vernünftige Wirtschafts- und Umweltpolitik vor.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Sie haben ja gesagt, Sie lassen die schwierigen Themen nicht aus. Es gibt ein paar schwierige Themen, zu denen finde ich nicht sehr viel. Dazu steht im Haushalt ein bisschen was geschrieben, aber es passiert nichts. Das lässt sich auch – Sven-Christian Kindler hat es angesprochen – an der Bilanz der letzten Jahre erkennen.
Ein Thema ist das Artensterben. Es gibt nach wie vor eine ungebremste Abnahme der biologischen Vielfalt bei uns in Deutschland. Wir wissen, dass die Lage bei Insekten, aber auch bei vielen anderen Tieren und Pflanzen bedrohlich ist. Das ökologische Gleichgewicht haben wir längst nicht mehr im Griff. Und das wird auch richtig teuer. Wir haben einmal durch Umweltverbrechen Schäden. Laut UNEP haben allein die Schäden durch Umweltverbrechen die Weltwirtschaft im vergangenen Jahr 258 Milliarden Euro gekostet. Schäden durch von Menschen in Kauf genommene Artenverluste und zusätzliche Schäden, die wir durch Nichtstun verursachen, betragen ein Vielfaches von dem. Das heißt, eine Naturschutzoffensive 2020, die im Haushalt eigentlich keine Rolle spielt, die sich nicht kongruent in der Landwirtschaftspolitik abbildet, die keine Maßnahmen vorsieht, wie man die Pestizidverseuchung unserer Ländereien beseitigen kann, die reicht nicht aus, um die Biodiversität in unserem Lande zu erhalten.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Zweites Thema – das tut auch weh, weil wir da nicht vorankommen – ist das Thema Flächenverbrauch, Versiegelung der Natur. Wir haben ein deutsches Nachhaltigkeitsziel, das eine Reduzierung des täglichen Flächenverbrauchs auf 30 Hektar im Jahr 2020 vorsieht. Ich habe in den vergangenen drei Jahren keine Aktivität wahrgenommen, die uns dabei geholfen hätte, uns diesem Ziel zu nähern. Im Gegenteil: Wir haben bei den SDGs eigentlich vereinbart, 2030 bei 0 Hektar zu sein. Wir machen aber einen Bundesverkehrswegeplan – der in der nächsten Woche im Ausschuss weiterberaten werden soll –, der das absolute Gegenteil davon macht: Durch diesen werden weitere Flächen verbraucht und durch Betonbänder versiegelt. Das kann nicht im Sinne der Umwelt sein.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Drittes Thema: die Verseuchung unserer Gewässer mit Medikamentenrückständen, mit Pestizidrückständen, mit Hormongiften, mit Mikroplastik. All diese Dinge sind adressiert, sie werden diskutiert. Bezüglich Mikroplastik heißt es jetzt: Wir machen einen Kosmetikdialog bis 2020. So sieht doch keine Politik aus, die zielgerichtet ist und die die Umwelt, die Menschen und die Gesundheit der Menschen schützen will. Wir wissen, dass die Kosmetikindustrie 2014 gesagt hat, sie könne bis 2016 aus Mikroplastik in Kosmetika und Reinigungsmitteln aussteigen. Wir haben jetzt Ende 2016, und Sie reden davon, dass wir einen Dialog bis Ende 2020 machen. Das ist nicht angemessen, und das hat mit Gesundheitsschutz nichts zu tun.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Auch in Brüssel fällt immer mehr auf, dass diese Regierung der ehemaligen Umweltministerin Merkel in der Umweltpolitik zum Seriensünder wird. Ich lese das nur einfach mal vor: Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz, Flugrouten, Luftreinhaltung/Feinstaub, Luftqualität/Stickstoffdioxid, Umgebungslärm, Naturschutz/Moorburg, Naturschutz/Besondere Schutzgebiete, Naturschutz/Sylter Außenriff, Wasserwirtschaft, Weser/Werra, Nitrat, Abfall. – Es geht dann weiter: Benzindampfrückgewinnung, Seveso III, Gewässerschutz/prioritäre Stoffe, Gewässerschutz/Anhangsänderung. – 16 Verfahren der EU-Kommission allein im Umweltbereich laufen gegen unser Land. Das hat auch mit Strafzahlungen zu tun; das wird auch teuer für den Bürger, wenn diese Regierung ihre umweltpolitische Arbeit nicht macht.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der SPD)
Wir haben das Thema Feinstaub. Wir wissen selbst: Nach mehr als einem Jahr ist der Abgasskandal in keiner Weise auch nur ansatzweise im Griff. Aber wen wundert das bei diesem Verkehrsminister? Man fragt sich bei ihm ja, ob er noch an der Tankstelle steht, weil der Sprit wieder teurer geworden ist, weil wir zu viel verbrauchen, viel mehr, als die Autos eigentlich, wie wir hörten, verbrauchen sollten, oder ob er noch im Stau der Verkehrspolitik der 60er-Jahre steckt.
Aber Sie, Frau Ministerin Hendricks, haben ein Umweltbundesamt, das das erkannt hat. Und? Die Kraft reicht nicht aus. Es gibt keine Kohärenz, keine Zusammenarbeit in der Regierung, um das im Bundesverkehrswegeplan abzubilden, was Sie und wir längst wissen: Ein Bundesverkehrswegeplan, der weiterhin auf Individualverkehr setzt, ist nicht zukunftsfähig.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Ich könnte jetzt noch etwas zur europäischen Woche der Abfallvermeidung sagen, die gerade aktuell ist. Ich könnte noch etwas zur Umweltproblematik in CETA sagen. Aber ich glaube, meine Zeit geht jetzt doch langsam dem Ende entgegen; deswegen will ich mich da kurz fassen.
(Birgit Menz [DIE LINKE]: Die Redezeit!)
– Ja, das ist in der Tat schade, dass wir als Opposition so wenig Redezeit haben; aber es nützt ja nichts.
(Manfred Grund [CDU/CSU]: Jetzt nicht noch den Wähler beschimpfen! – Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Alles ist relativ!)
Aus Umweltsicht muss man eindeutig sagen, dass die Lähmung des notwendigen Regierungshandelns durch die Eitelkeiten insbesondere der CSU-geführten Ministerien Agrar und Verkehr, aber auch des Wirtschaftsministeriums – das kann man der SPD nicht ersparen – in den letzten drei Jahren zu einem Rollback im Umwelt- und Naturschutz geführt haben. Dabei ließe der Haushalt ja gestaltendes Regierungshandeln zu.
Herr Kollege, ich muss Sie jetzt aber wirklich auffordern, zum Schluss zu kommen. Ihre Redezeit war nämlich vorhin schon abgelaufen.
Ja. – Diese Regierung hat die Chance vertan. Ob man eine Null, die man am Ende als Ergebnis im Haushalt hat, als rote oder als schwarze Null bezeichnet, ist egal; der Natur nützt es nichts.
Vielen Dank.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Als nächster Redner hat Carsten Träger für die SPD-Fraktion das Wort.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
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Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 201 |
Tagesordnungspunkt | Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit |