23.11.2016 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 202 / Tagesordnungspunkt I.9

Volker KauderCDU/CSU - Bundeskanzlerin und Bundeskanzleramt

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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Ja, was heute mehrfach angesprochen wurde, stimmt: Deutschland steht gut da. – Und was Thomas Oppermann gesagt hat, stimmt auch: Das ist nicht vom Himmel gefallen, sondern Ergebnis einer großen Gemeinschaftsarbeit von fleißigen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, von risikofreudigen Unternehmern, vor allem unseren mittelständischen Familienbetrieben in diesem Land, und einer richtigen Politik der letzten Jahre. Für diese richtige Politik der letzten Jahre steht natürlich Angela Merkel als Bundeskanzlerin.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Deshalb haben wir mit der Erklärung der Bundeskanzlerin, für weitere vier Jahre zur Verfügung zu stehen, alle Chancen, diese gute Position für unser Land auszubauen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, das wird nicht einfach werden; denn wir stehen vor großen Herausforderungen und müssen das den Menschen in unserem Land auch sagen – nicht um sie zu belehren, sondern um ihnen mitzuteilen, welche Herausforderungen wir sehen und was wir glauben tun zu können, um diese Herausforderungen zu meistern.

Die erste große Herausforderung ist die demografische Entwicklung. Wir stehen nicht unmittelbar davor, sondern sind mittendrin in diesem Prozess. Die demografische Entwicklung hat dramatische Konsequenzen – nicht nur für die Frage, wie viele Arbeitskräfte in Zukunft in unserem Land zur Verfügung stehen, sondern auch für die Frage, welche Infrastruktur wir in den nächsten Jahren brauchen, und vor allem für die Frage, welche Infrastruktur wir uns leisten können und uns auch zu leisten bereit sind. Sind wir beispielsweise bereit, den in unseren ländlichen Räumen lebenden Menschen, auch wenn ihre Zahl dort zurückgeht, zu sagen: „Wir werden in den ländlichen Räumen auch dieselbe Qualität wie in den Ballungsgebieten zur Verfügung stellen“?

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn wir dies nicht machen, hat dies Folgen. Das Ergebnis können wir in Frankreich besichtigen. Dort gibt es kilometerweise ländliche Räume, in denen sich nichts mehr bewegt, weil dort genau dieser Weg nicht gegangen wurde. Deswegen brauchen wir nicht nur Geld für Kommunen, denen es schlechter geht, sondern Investitionen in unsere ländlichen Regionen, dass sie nicht den Eindruck haben, sie würden abgehängt, wie es in Amerika der Fall gewesen ist, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Dafür bietet dieser Haushalt auch alles.

Dass die Grünen an dieser Stelle nicht klatschen, hängt damit zusammen, dass sie nicht die Partei der ländlichen Räume, sondern der Universitäts- und Großstädte sind. Das ist natürlich etwas ganz anderes, um das einmal deutlich zu machen

(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Deshalb lässt Herr Dobrindt auch Kupferkabel statt Glasfaser verlegen!)

– Lieber Herr Hofreiter, das ist wahrscheinlich auch der einzige Punkt, an dem ich Sie jetzt attackiere. Ich könnte auch sagen: Sie sind nicht einmal bereit, Ihren einzigen Ministerpräsidenten zu verteidigen. Das ist mir eine schöne Truppe hier, die das nicht tut.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Das kann ich auch nur sagen. Aber damit will es bleiben lassen.

Dafür bietet dieser Haushalt auch eine ganze Menge. Da geht es nicht nur – Sie haben es zu Recht angesprochen – um die Infrastruktur für ein schnelles Internet, also die Leitungen. Im ländlichen Raum sind wir auch darauf angewiesen, Güter, die dort produziert werden, schnell woandershin zu transportieren. Der ländliche Raum lebt natürlich vom schnellen Internet. Er lebt aber auch davon, dass in diesen Regionen nach wie vor Produktion stattfindet. Und von dort, wo Produktion stattfindet, müssen die Güter, wenn sie nicht am Verwendungsort aus dem 3D-Drucker fallen, irgendwohin gefahren werden. Deswegen ist eine gute Straßen- und Eisenbahnverbindung etwas Zentrales.

Dafür schafft dieser Haushalt die geeigneten Voraussetzungen. Ich bin jetzt über 20 Jahre Mitglied des Deutschen Bundestages und kann mich nicht erinnern, dass jemals so viel Geld für Verkehrsinfrastruktur zur Verfügung gestellt worden wäre wie in dieser Legislaturperiode, liebe Kollegen. Das ist eine gute Botschaft für das Land.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Die Demografie ist also eine der ganz großen Herausforderungen. Hier sind jetzt schnell Antworten fällig. Zur Demografie gehört auch: Ein älter werdendes Land birgt immer die Gefahr, dass Innovationen nicht mehr so ernst genommen werden. Aber auch ein älter werdendes Land kann dann ein modernes Land sein und bleiben, wenn es sich die Freude am Neuen erhält, am Entdecken, liebe Kolleginnen und Kollegen. Damit dieses auch in Zukunft möglich ist und vor allem in einer immer schneller werdenden Zeit möglich ist, müssen wir uns einmal ernsthaft darüber unterhalten – „ernsthaft“ sage ich und nicht im schnellen Vorbeireden –: Welche Veränderungen müssen wir vornehmen, dass das Entdecken und dass die Freude am Neuen möglich werden? Ich erkenne manche bürokratische Hürde, die es den Leuten erschwert, das Neue zu entdecken und Freude am Neuen zu haben, liebe Kolleginnen und Kollegen. Darüber müssen wir einmal reden.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Dann geht es natürlich auch darum, Start-up-Unternehmen zu unterstützen. Es geht nicht nur darum, dass Geld zur Verfügung gestellt wird, sondern auch darum, dass Möglichkeiten geschaffen werden, ohne dass Bürokratie alles gleich mit Mehltau belegt und die jungen Leute die Freude daran verlieren.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir sagen: „Die Demografie ist eine der großen Herausforderungen“, dann müssen wir klar und deutlich sagen, dass wir in unserer politischen Arbeit einen Schwerpunkt auf die junge Generation legen müssen. Ich weiß natürlich, dass wir das, was an Ansprüchen erworben wurde, auch schützen und sichern werden. Aber wenn wir in diesen Tagen über die Zukunft unserer Sozialversicherungssysteme und über die Rente diskutieren, dann ist der Hinweis von Thomas Oppermann richtig, dass wir sowohl auf das Rentenniveau achten müssen als auch auf die Belastbarkeit der jungen Generation. Ich finde sogar, dass wir noch deutlicher machen müssen: Eine alternde Gesellschaft braucht fitte junge Menschen, und zwar nicht nur körperlich fitte, sondern mental fitte junge Menschen, Menschen, die den Eindruck haben, dass man sie unterstützt und nicht belastet, wenn sie in diesem Land bereit sind, Verantwortung zu übernehmen. Das gehört bei der Rentendiskussion in den Vordergrund. Darauf werden wir auch achten.

(Beifall bei der CDU/CSU)

So richtig es ist, was wir gemacht haben, dass wir für die Pflege einiges getan haben – nicht nur einiges, sondern eine ganze Menge –, so richtig war es auch – darüber ist schon gar nicht mehr gesprochen worden –, dass wir auch für Kinder und junge Familien mit unseren Betreuungsmöglichkeiten, die wir geschaffen haben, eine Menge getan haben. Das Traurige an der ganzen Geschichte ist nur, dass sowohl bei der Ganztagesbetreuung wie auch in der Schule die Länder in vielen Bereichen nicht in der Lage waren, das anzustoßen, sondern immer nur der Bund eingreifen muss, obwohl er dafür eigentlich gar nicht zuständig ist. Ich muss sagen: Ich bin leidenschaftlicher Verfechter des Föderalismus. Aber dann muss der Föderalismus auch seine Aufgaben erfüllen, liebe Kolleginnen und Kollegen,

(Beifall bei der CDU/CSU)

und darf nicht immer nur im Deutschen Bundestag nach Geld rufen.

Wir haben jetzt noch einmal ein Programm für finanziell notleidende Kommunen aufgelegt, mit dem auch in der Schulpolitik einiges getan wird. Das machen wir. Aber ich habe grundsätzlich Verständnis für den baden-württembergischen Ministerpräsidenten, der sagt: Wir müssen aufpassen, dass die Kompetenzen, die zwischen Bund und Ländern föderal getrennt worden sind, auch in Zukunft so erhalten bleiben. – Hier kommt der entscheidende Punkt, Kollege Oppermann: Wir haben keinen Umverteilungsföderalismus, sondern wir haben einen Wettbewerbsföderalismus, und bei dem muss auch deutlich werden, wer seine Aufgaben besser macht und wer sie weniger gut macht. Ich erkenne relativ wenig Freude an einer solchen Diskussion.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wenn wir sagen: „Wir müssen gerade für die junge Generation mehr tun“, dann betrifft das natürlich die Bildung. Da ist natürlich klar, dass wir entsprechende Bildungseinrichtungen haben müssen. Das können wir vom Bund unterstützen. Aber ich sehe mit großer Sorge, wie in einigen Bundesländern die Qualität in der Schulausbildung dramatisch zurückgeht. Da kann ich nur sagen: Die Bildungspolitik darf von ihren Ergebnissen her nicht Teil einer Sozialpolitik sein. Wenn wir nicht bereit sind, den Leistungsgedanken in der Bildung zu fördern, werden wir unser blaues Wunder erleben, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich kann mich darüber nur wundern: Wenn hier in Berlin die Frage gestellt wird: „Frau Schulsenatorin, sagen Sie uns doch mal, wie es denn möglich war, dass die Ergebnisse beim Abitur wieder wesentlich besser waren als im letzten Jahr“, dann sagt die Dame mit einem Lächeln auf den Lippen, das sei ganz einfach, man habe die Anforderungen nach unten genommen. – Da kann ich nur sagen: So werden wir den immer schwerer werdenden Wettbewerb in unserer Welt nicht gewinnen. Wenn wir die Besten sein wollen, mit den besten Löhnen, mit den besten Ergebnissen, dann brauchen wir in unserem Land auch die beste Ausbildung, liebe Kolleginnen und Kollegen, und die sehe ich in manchem Bundesland nicht mehr.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wenn wir unsere jungen Menschen qualifiziert ausbilden, dann brauchen sie auch, damit sie in unserem Land bleiben und zu unserem Wohlstand beitragen, qualifizierte Arbeitsplätze. Es ist schon bemerkenswert, wie da in den einzelnen Reden über das Soziale gesprochen wurde, aber so wenig darüber, dass zunächst einmal in der Wirtschaft das erwirtschaftet werden muss, was wir nachher im sozialen Bereich einsetzen können.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Da würde ich mir schon ein bisschen mehr Verständnis auch für die Fragen und die Sorgen in der Wirtschaft wünschen. Es ist nicht nur richtig, dass wir auf das hören, was die Menschen bewegt, sondern es ist auch richtig, dass wir auf die hören, die in der Wirtschaft Arbeitsplätze zur Verfügung stellen.

Wir haben in dieser Legislaturperiode ein Gesetz für weniger Bürokratie gemacht, mit dem schönen deutschen Grundsatz „One in, one out“: Wenn durch eine Maßnahme mehr Bürokratie beschlossen wird, muss sie woanders zurückgenommen werden. – Wir haben jetzt noch ein paar Gesetzgebungsvorhaben vor uns, die für die Wirtschaft nicht ganz einfach sind. Da erwarte ich dann aber auch – darauf werden wir großen Wert legen –, dass jede zusätzliche bürokratische Belastung woanders zurückgenommen wird. Wir sind nicht glaubwürdig, wenn wir ein solches Gesetz machen und dann sagen: Das bisschen Bürokratie nehmen wir auch noch mit. – Nein, da muss nun konsequent gehandelt werden. Ich bitte auch die Bundesregierung, uns dabei zu helfen und es nicht einfach zu verniedlichen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Die Bundeskanzlerin hat darauf hingewiesen, Kollege Hofreiter auch – mit unterschiedlichem Akzent, was bemerkenswert ist, aber nicht verwundert –, dass es natürlich große Herausforderungen in unserer Wirtschaft gibt. Da spielt die Automobilindustrie eine große Rolle. Auch da dürfen wir die Dinge nicht verniedlichen. Es ist völlig unstreitig, dass die notwendige Entwicklung hin zum Elektroauto dazu führen wird, dass die Wertschöpfung in den großen Automobilwerken auf 40 Prozent dessen zurückgehen wird, was wir bisher haben; das ist von Daimler-Benz, von VW und auch von anderen so gekommen.

Das heißt, dass wir uns, lieber Kollege Oppermann, jetzt in erster Linie nicht darüber Gedanken machen müssen, von wo Fachkräfte hierherkommen könnten, sondern darüber, wo diejenigen, die ihren Arbeitsplatz in diesem Bereich in Zukunft nicht mehr haben werden, Arbeitsplätze finden. Das wird das zentrale Thema sein.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Thomas Jurk [SPD])

Das erwarten die Menschen als Antwort – nicht, dass wir pauschal auf Zuwanderung setzen.

Im Übrigen haben wir in Europa als einzige große Wirtschaftsregion in der Welt ein unglaubliches Potenzial. Es wird schon einiges getan. Aber ich würde mir wünschen, dass wir noch viel mehr Wert darauf legen, dass junge Menschen aus dem gesamten europäischen Raum, wo sie keine Arbeit haben, zu uns kommen und hier Arbeit finden können. Ich muss nicht nach Asien oder sonst wohin schauen, um Arbeitskräfte für unsere Wirtschaft zu erhalten.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich wünsche mir, dass sich vor allem die großen Aktiengesellschaften ein bisschen sensibler in der Öffentlichkeit bewegen; denn sie sind es, die erheblich zur Irritation in unserer Gesellschaft beitragen, und es sind nicht die Familienbetriebe. Das, was wir in diesen Tagen bei VW erlebt haben – 23 000 Stellen streichen und den Bonus für Leute zu erhöhen, die sich wirklich nicht verdient gemacht haben, und das mit Zustimmung des Aufsichtsrates, in dem die Landesregierung von Niedersachsen sitzt –, ist kein gutes Beispiel für Kultur in unserem Land, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Oder wenn ich an die Diskussion über die Deutsche Bank denke. Heute Morgen war zu lesen, was Wolfgang Schäuble dazu in einem Satz gesagt hat. Wenn dort Leute sagen, sie können den Bonus nicht zurückbezahlen – obwohl sie wirklich nicht erfolgreich waren –, weil das schlecht für andere wäre, dann kann ich nur den Satz von Wolfgang Schäuble wiederholen: Das hat etwas mit Fastnacht und Karneval, aber nicht mit ernsthafter Wirtschaft in unserem Land zu tun, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Lassen Sie mich zum Schluss noch einen Hinweis geben. Wir wollen nicht nur auf andere schauen, sondern auch auf uns. Auch wir, der Deutsche Bundestag, hat noch eine Aufgabe vor sich, die Norbert Lammert völlig zu Recht angemahnt hat. Es geht darum, ein Wahlrecht vielleicht doch noch hinzubekommen, das den 19. und 20. Deutschen Bundestag arbeitsfähig hält. Wir müssen diese Frage klären, und zwar nicht nur, weil Populisten dann fragen: Warum sitzen hier 750 Abgeordnete? – Das Problem ist doch vielmehr, dass in Ausschüssen in der Größenordnung von 50 oder noch mehr Kolleginnen und Kollegen eine sinnvolle politische und parlamentarische Arbeit nicht mehr möglich ist. Deswegen unterstütze ich, dass wir zu einem Ergebnis kommen müssen. Wir sind uns alle einig, dass da etwas geschehen soll. Und wenn wir uns alle einig sind, dann sollten wir doch auch etwas hinbekommen. Es ist immer schlecht, wenn man selber ein Problem hat und es nicht lösen kann, aber mit dem Finger auf andere zeigt, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Deswegen ermuntere ich alle, hier mitzumachen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Der Kollege Thomas Jurk hat für die SPD-Fraktion das Wort.

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Andreas Mattfeldt [CDU/CSU])


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7035269
Wahlperiode 18
Sitzung 202
Tagesordnungspunkt Bundeskanzlerin und Bundeskanzleramt
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