Rainer ArnoldSPD - Verteidigung
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Fast auf den Tag genau ist es zwei Jahre her, dass sozialdemokratische Verteidigungspolitiker ein Positionspapier zur Europäisierung der Streitkräfte vorgelegt haben. Das wurde damals medial als Utopie bezeichnet. Von manchen Kollegen im Parlament wurde es mit Häme begleitet. Auch die Bundeskanzlerin hat in der Diskussion im Verteidigungsausschuss keinerlei Interesse an der Europäisierung der Sicherheitspolitik gezeigt.
Heute, zwei Jahre später, sind es teilweise dieselben Politiker, die von einer europäischen Armee reden. Damit Sie mich nicht falsch verstehen, Frau Ministerin: Sie sind nicht gemeint. Wir wissen, dass Sie dieses Thema sehr früh aufgegriffen haben und dass Sie auch Ihren Kolleginnen und Kollegen von der CSU weit voraus waren.
Manchmal klingt es, als ob Sie aus unserem Papier zitierten.
(Beifall der Abg. Gabi Weber [SPD])
Das macht uns überhaupt nicht traurig, sondern wir sind darüber froh, weil es in diesem Bereich gut und richtig ist. Natürlich ist eine europäische Armee nicht das, worüber wir jetzt als Erstes eine Debatte zu führen haben; aber sie als Fernziel immer im Blick zu haben, damit die Schritte in die richtige Richtung gehen, ist notwendig.
Der Wind hat sich hier in Europa und auch in Deutschland insgesamt gedreht, und dafür gibt es gute Gründe. Vielleicht liegt ja sogar im Schlechten manchmal auch etwas Gutes. Dieser schlechte Brexit kann ja mithelfen, dass die Briten nicht mehr im Bremserhäuschen der europäischen Sicherheitspolitik sitzen und alles ablehnen können, sobald das Wort „gemeinsam“ auf dem Etikett steht. Vielleicht hilft auch die Wahl von Herrn Trump, dass zumindest manche osteuropäischen Partner jetzt nochmals darüber nachdenken, ob es klug ist, sich so stark auf die NATO und die USA zu verlassen, ob es nicht vielmehr noch besser wäre, wenn Europa auch eigenständige Fähigkeiten in das NATO-Bündnis einbringt.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Dieses Misstrauen, Europäisierung sei etwas gegen die NATO Gerichtetes, ist lange tot. Auch unter Obama mussten wir schon darüber diskutieren, dass wir Europäer bereit sein müssen, mehr für unsere eigene Sicherheit im europäischen Haus zu tun. Natürlich ist es nicht gut, was die 28 Staaten in Europa leisten. Die Hälfte der 1,5 Millionen Soldaten in Europa ist nicht auf Divisionsebene für Einsätze vorgesehen – das muss man sich einmal vorstellen; so kopflastig ist Europa –, sondern sitzt in Ämtern, führt, managt und organisiert. Das zeigt das ganze Dilemma, dass wir Europäer das Geld einfach nicht klug und effizient ausgeben.
Ich finde, zehn Jahre nach dem Vertrag von Lissabon ist die Zeit reif und überfällig. Das Instrument der Ständigen Strukturierten Zusammenarbeit ist im Vertrag von Lissabon definiert und organisatorisch und politisch vorgegeben. Es kann auch dazu führen, dass es durchaus zwei unterschiedliche Geschwindigkeiten in der Europäisierung der Sicherheitspolitik gibt. Wir Sozialdemokraten wollen diesen Weg schon lange und werden ihn auch sehr stark unterstützen.
(Beifall bei der SPD)
Dazu müssen allerdings auch bei uns in Deutschland Voraussetzungen erfüllt sein. Natürlich gibt es auch bei der Bundeswehr – bei allen Stärken, die da sind – offensichtliche Defizite, die wir nicht übersehen können. Es gab und gibt hohle Strukturen. Sie führen auch dazu, dass osteuropäische Partner nicht von vornherein das notwendige Vertrauen in die deutsche Bereitschaft, Europa gemeinsam zu verteidigen, haben. Deshalb ist es wichtig, dass wir die Bundeswehr so strukturieren, dass die Fähigkeiten, die wir in der NATO angemeldet haben, auch tatsächlich und nicht nur in Papierform vorhanden sind.
Dazu gehört natürlich auch, dass das Geld, das wir brauchen, fließt. Hier wurde heute schon viel gesagt; von 37 Milliarden Euro für Rüstungsausgaben war die Rede. Das ist eine Trendwende. Sie ist richtig und notwendig. Ich sage ausdrücklich auch unserer Haushälterin Frau Evers-Meyer Danke für ihr Engagement in diesem Bereich.
(Heike Hänsel [DIE LINKE]: Und darauf auch noch stolz sein!)
Zu dieser Trendwende gehört allerdings aus sozialdemokratischer Sicht nicht, dass wir die Hürde ständig, jedes Jahr aufs Neue so hoch legen – 2 Prozent vom Bruttoinlandsprodukt – und Jahr für Jahr bequem darunter durchlaufen. Ich würde es besser finden, wenn wir uns ehrlich machen und sagen: Unsere Ambition muss das schon sein. Das, was Großbritannien und Frankreich in die Bündnisse einbringen, entspricht in etwa auch unseren Fähigkeiten. Da reden wir nicht nur über Geld, sondern auch über Fähigkeiten. Um dies zu erreichen, muss in Deutschland noch einiges geleistet werden.
Unser derzeitiger Eindruck ist: Es ist manchmal fast einfacher, mehr Geld zu bekommen, als die strukturellen Anpassungen bei der Bundeswehr zügig durchzusetzen, die notwendig sind, um das zusätzliche Geld sachgerecht so einzusetzen, dass es bei den Soldaten ankommt. Da dauert manches – wir wissen das gemeinsam – einfach immer noch zu lange.
Um es an dieser Stelle loszuwerden: An besseren Strukturen arbeiten – das ist schon ein bisschen eine Kritik; ich bitte Sie, Frau Ministerin, das nochmals zu überdenken – ist etwas anderes, als Kraft für einen pseudomodernistischen Verhaltenskodex einzusetzen, der im Grunde genommen formuliert, dass Soldaten nicht mehr informelle Kontakte zum Parlament und zu anderen pflegen sollen. Das ist eigentlich unnötig. Die Kraft ist vertan. Es sind Staatsbürger in Uniform, und die Prinzipien der Inneren Führung sagen eindeutig: Wir können unseren Soldaten vertrauen. Sie sind klug genug, mit ihrer Verantwortung eigenverantwortlich umzugehen, und brauchen keinen vorgegebenen Verhaltenskodex.
(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Bernd Siebert [CDU/CSU])
Wir müssen die Kraft besonders in zwei Bereichen einsetzen: natürlich bei der Trendwende beim Material. Wir brauchen einen Investitionsanteil von 20 Prozent; im Augenblick sind es 16 Prozent. Aber wir haben ja auch die Versorgungsleistungen im Etat. Die 37 Milliarden Euro fließen nicht nur aktuell in die Bundeswehr, sondern auch in die Versorgung ehemaliger Soldaten.
Die Ministerin hat eines schon geschafft: Die Transparenz im Beschaffungswesen ist dramatisch besser geworden. Das ist in der Tat ihr Verdienst. Es ist allerdings nicht erreicht worden, dass die Prozesse schneller gehen. Es ist nicht so, dass die notwendigen Ausrüstungsgegenstände, manchmal auch nur die Dinge, die die Soldaten im Alltag brauchen, also auch die kleinen Dinge, zur Verfügung stehen. Das ist beschwerlich. Das funktioniert nicht verlässlich. Frau Ministerin, wir sind skeptisch, ob die Heerscharen von Beratern für viele Millionen Euro strukturell die richtige Antwort auf diese Herausforderung sind.
(Dr. Tobias Lindner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir finden das auch!)
Ich habe schon den Eindruck, dass es richtig ist, die Fehler der Vergangenheit auszumerzen und zu gewährleisten, dass die Wirtschaft, wenn sie nicht korrekt liefert, Verantwortung übernimmt und regresspflichtig ist. Aber eines kann nicht sein: dass die Prozesse jetzt so lange dauern, weil von der Wirtschaft verlangt wird, dass sie mit ihrer Unterschrift Risiken übernimmt, die man bei der Unterschrift vielleicht noch gar nicht kennt. Wer das verlangt, wird Monate und Jahre verhandeln.
Unsere Erwartung ist, dass das große Amt in Koblenz mit 9 700 Mitarbeitern in die Lage versetzt wird, die Geräte für die Soldatinnen und Soldaten in qualitativ hochwertiger Form und zeitnah zu beschaffen. Dies ist die eigentliche Herausforderung.
(Beifall bei der SPD)
Es ist nicht einfach; ich weiß das.
Wir brauchen dazu den Dreiklang von Amt in Koblenz, Ministerium, das vorgibt, und leistungsfähiger Rüstungswirtschaft, zu der wir Sozialdemokraten uns ausdrücklich bekennen. Sie ist kein Selbstzweck. Dabei geht es auch nicht um Volkswirtschaft, wie manche von den Linken meinen. Eine Rüstungswirtschaft ist eine Voraussetzung dafür, dass wir als Land unsere Beiträge verlässlich in die internationalen Bündnisse einbringen können.
Lassen Sie mich zum Schluss noch sagen: Noch wichtiger als das Gerät ist das Personal. Wir wünschen uns, dass der Aufwuchs, der angedacht ist, schnell erfolgt. Er muss in den Bereichen erfolgen, wo Fähigkeitslücken sind, wo hohle Strukturen sind. Insbesondere muss er das Ziel haben, die Belastung vieler Soldaten, insbesondere in Mangelverwendungsreihen, zu senken. Diese Belastungen können wir auf Dauer nicht verantworten.
Wir stehen sieben, acht Monate vor einer Wahl und sagen hier ausdrücklich: Die Herausforderung bei der Bundeswehr ist zu wichtig und zu groß, als dass wir im Verteidigungsausschuss jetzt sieben, acht Monate Wahlkampf machen können. Wir wollen bis nächsten Sommer daran arbeiten, dass die Bundeswehr weiterhin auf dem Weg der Verbesserung ist.
Herr Kollege Arnold.
Unsere Unterstützung haben Sie dabei.
Jetzt nicht noch sieben, acht Monate weiterreden.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Jetzt hat der Kollege Omid Nouripour, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7035398 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 202 |
Tagesordnungspunkt | Verteidigung |