24.11.2016 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 203 / Tagesordnungspunkt I.14

Thomas Rachel - Bildung und Forschung

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Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Wir befinden uns inmitten großer Veränderungsprozesse: Globalisierung, Digitalisierung, großes Bevölkerungswachstum, Flüchtlingsbewegungen, Klimawandel. – Dies sind einige der Stichworte, die für Unsicherheiten in unserer Bevölkerung sorgen.

Brauchen wir in diesem Zusammenhang Wissen? Ist es vielleicht ein menschliches Grundbedürfnis, den Dingen auf den Grund zu gehen?

Gestern hat Bundeskanzlerin Angela Merkel den großen Universalgelehrten Gottfried Wilhelm Leibniz zitiert, der damals formulierte:

Wir sind umso freier, je mehr wir der Vernunft gemäß handeln, und umso mehr geknechtet, je mehr wir uns von der Leidenschaft regieren lassen.

(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Das muss man sagen!)

Vielleicht hat dieses Zitat eine größere Aktualität, als man auf den ersten Blick erkennt;

(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da haben Sie recht!)

denn gerade in diesen Monaten erleben wir auch in unserem Lande eine stark emotionalisierte und selektive Wahrnehmung. Erleben wir hier den Übergang von der lange gepriesenen Wissensgesellschaft zur emotionalisierten Gesellschaft, die vornehmlich selektiv Fakten zur Kenntnis nimmt? Es gibt zwar das „Recht auf eine eigene Meinung“, aber eben nicht das „Recht auf eigene Tatsachen“, wie es vor einiger Zeit in einem klugen Kommentar formuliert wurde.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Ralph Lenkert [DIE LINKE])

Nicht der emotionale Reflex, sondern die Wahrnehmung der Realität, der Dinge, wie sie sind, und die faktenbasierte Analyse sind geeignete Basis, um Veränderungen nicht einfach hinzunehmen, sondern zu gestalten. Offenheit für Sichtweisen, Erfahrungen und Erkenntnisse, die sachorientiert in unserer Gesellschaft diskutiert werden: Das zeichnet eine Wissenschaftsgesellschaft und eine Wissensgesellschaft aus. Ob diese Offenheit unser Land auch künftig prägen wird, haben wir alle gemeinsam in der Hand.

Die Wissenschaft liefert Antworten und Innovationen, damit wir die beschriebenen Veränderungsprozesse faktenbasiert und mit Vernunft gestalten können. Wissenschaft zum Wohle von Menschen und um Fortschritt zu ermöglichen, ist für unser Land hochrelevant; denn in Deutschland lebt zwar nur rund 1 Prozent der Weltbevölkerung, aber wenn es um die global wettbewerbsfähigsten Staaten geht, liegen wir in der Spitzengruppe, nämlich auf Platz vier.

Die Fähigkeit, Wohlstand zu generieren, hängt immer stärker von Innovationen ab. Im globalen Wettbewerb wird in absehbarer Zeit nicht mehr zwischen Industriestaaten auf der einen Seite und weniger entwickelten Ländern auf der anderen Seite unterschieden, sondern stattdessen zwischen den innovationsreichen und den innovationsärmeren Ländern.

Wettbewerbsfähigkeit lässt sich auch an Investitionen in Forschung und Entwicklung und das Bildungswesen ermessen. Hier stehen wir gut da. Bildung und Forschung sind Prioritäten dieser Bundesregierung.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Seit 2005, seitdem Angela Merkel Bundeskanzlerin ist, ist der Etat für Bildung und Forschung mehr als verdoppelt worden. Auch im nächsten Jahr wird er um sage und schreibe 1,2 Milliarden Euro steigen. Deswegen fand ich die Bewertung dieses Haushalts durch die grüne Fraktion, ehrlich gesagt, ein Stück vermessen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Bernhard Kaster [CDU/CSU]: Vorsichtig ausgedrückt!)

Die Forschungsförderung des BMBF steht auch für Verlässlichkeit. Mit dem Pakt für Forschung und Innovation steigen die Mittel für die beteiligten Wissenschaftsorganisationen Jahr für Jahr um 3 Prozent. Wir übernehmen als Bund den Aufwuchs der finanziellen Mittel allein, um die Länder zu entlasten.

Die Hightech-Strategie haben wir zu einer ressort­übergreifenden Innovationsstrategie ausgearbeitet. Allein aus dem Forschungsetat stehen dafür 2,7 Milliarden Euro bereit. Im Rahmen dieser Strategie werden technologische Innovationsfreude und Themen von besonderer gesellschaftlicher Bedeutung gebündelt. Beispielhaft nenne ich nur die Kopernikus-Projekte für die Energiewende, das Förderkonzept Medizininformatik oder das neue Rahmenprogramm zur Mikroelektronik für die Digitalisierung von Wirtschaft und Gesellschaft.

Wir wollen die Hochschulen in ihrer wichtigen Rolle als Treiber technologischer und sozialer Innovationen stärken. Wir nutzen die neuen Kooperationsmöglichkeiten des Artikels 91b Grundgesetz gemeinsam mit den Ländern. Auf Initiative von Forschungsministerin Frau Professor Wanka haben wir gemeinsam mit den Ländern eine neue Exzellenzstrategie vorgelegt. Auf Initiative von Frau Professor Wanka legen wir die Förderinitiative „Innovative Hochschule“ vor und das Programm zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses. Mit diesem Tenure-Track-Programm eröffnen wir endlich verlässliche Karrierechancen und steigern damit auch die Attraktivität des Standorts Bundesrepublik Deutschland.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Neben Spitzenforschung und Spitzenuniversitäten haben wir natürlich auch die kleineren Hochschulen und Fachhochschulen im Blick; denn wir wollen flächendeckend für gute Bildungs- und auch Karrierechancen sorgen. All das dient dazu, die internationale Spitzenstellung des deutschen Wissenschaftssystems weiter auszubauen. Ja, Deutschland gehört zu den leistungsstärksten und innovativsten Ländern dieser Welt. Aber damit das so bleibt, gilt es, weiter am Forschungsfortschritt zu arbeiten, und zwar nicht zuletzt mit Blick auf die Chancen, die sich aus der weltweiten Digitalisierung ergeben. Schließlich beeinflusst der digitale Wandel sämtliche unserer Lebensbereiche: wie wir arbeiten, wie wir Freizeit genießen, wie wir forschen, wie wir reisen, wie wir Gesundheit organisieren, wie wir uns miteinander austauschen.

Beim IT-Gipfel in Saarbrücken hat Bildungsministerin Frau Professor Wanka den Startschuss für eine Smart School gegeben. Diese setzt verstärkt auf digitale Technologien im Schulalltag und kann Beispiel für andere sein. Das Programmieren wird Schülern künftig eine ganz neue Welt eröffnen.

Nun ist Schulbildung Ländersache, aber mit dem Digitalpakt bieten wir als Bundesregierung den Ländern an, sie bei der digitalen Ausstattung der Schulen zu unterstützen.

(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Wann soll der denn starten? – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist eine krasse Kehrtwende des BMBF! Jetzt doch in Schulen! Es geht also doch!)

Im Mittelpunkt des digitalen Wandels muss weiterhin der Mensch stehen: der Lernende und der Lehrende. Sie stehen im Mittelpunkt des staatlichen Bildungsauftrags. Das bedeutet, dass das Primat der Pädagogik vor der digitalen Technik gilt. Ausstattung ist nach unserem Verständnis im Bildungs- und Forschungsministerium zwar wichtig, aber kein Selbstzweck. Ohne passende Inhalte und Konzepte wird die digitale Technik nicht leisten können, was wir zu Recht erhoffen.

(Beifall bei der CDU/CSU – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und was wollen Sie für die Pädagogik tun?)

Souverän und selbstbestimmt mit digitalen Medien umgehen zu können, gehört heute einfach dazu, meine Damen und Herren, das ist eine Basiskompetenz wie Schreiben, Lesen und Rechnen. Diese Basiskompetenz entscheidet künftig auch über berufliche und gesellschaftliche Teilhabe.

Digitalisierung heißt eigentlich, einzugestehen, dass wir alle hinzulernen müssen. Schulen und Bildungseinrichtungen werden sich darauf einstellen müssen. Sie müssen jüngeren wie auch älteren Menschen den Schlüssel zur digitalen Welt in die Hand geben, damit sie dort ihren Platz finden können.

Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, Bildungschancen für alle zu erschließen, und zwar auch Integration durch Bildung zu ermöglichen – und zwar heute –, ist sehr wichtig. Wenn die Integration der nach Deutschland Geflüchteten nicht ernst genug genommen oder auf morgen verschoben wird, dann ist das ein großes Problem für die betroffenen Menschen. Im Übrigen wird das dann für unsere Gesellschaft teurer.

Wir müssen heute in die Integration durch Bildung investieren und haben deshalb ein umfassendes Maßnahmenpaket aufgelegt, mit dem wir zweierlei unterstützen: den Erwerb der deutschen Sprache und die Integration in Ausbildung, in Studium und Beruf, indem wir auf den vorhandenen Potenzialen und Kompetenzen der betroffenen Menschen aufbauen und sie fördern.

Über ein Jahrzehnt sind die Ausgaben für Bildung und Forschung kontinuierlich gestiegen, ein Aufwuchs, wie wir ihn in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland noch nie erlebt haben, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Deutschland steht auch dank dieser Prioritätensetzung hervorragend da. Diese doch positive Erfahrung sollten wir auch für die Zukunft nutzen. Wissenschaft darf eben nicht abseitsstehen und nur beobachten, was in der Gesellschaft, gerade auch in diesen Wochen, passiert. Nein, nach meinem Verständnis muss Wissenschaft ein aktiver Teil dieses diskursiven Prozesses in der Gesellschaft sein.

Statt Vorgaben oder geistigen Fesseln von Autokraten in anderen Staaten wollen wir hier in der Bundesrepublik Deutschland auch künftig Freiheit der Forschung ermöglichen. Statt Abschottung wollen wir auch die Sichtweise und die Neugier anderer in unserem Land willkommen heißen.

(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gibt es ein Einwanderungsgesetz? Machen Sie ein Einwanderungsgesetz? Das wäre toll! – Gegenruf der Abg. Dr. Simone Raatz [SPD]: Das ist eine gute Idee!)

Hier gilt die Feststellung von Bundeskanzlerin Angela Merkel: „Gelebte Vielfalt ist die logische Konsequenz von Freiheit.“ – Recht hat sie.

Faktenbasierter Diskurs und Respekt vor Erfahrungen und Kenntnissen anderer: Das formt eine demokratische und eine offene Gesellschaft. Für diese lohnt es sich einzustehen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war wohl eine Predigt in Richtung Bayern! Er muss wohl die CSU überzeugen! – Gegenruf des Abg. Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Keine Plattitüden!)

Der Kollege Ralph Lenkert spricht als Nächster für die Fraktion Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN – Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Jetzt kommt das postfaktische Zeitalter!)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
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Wahlperiode 18
Sitzung 203
Tagesordnungspunkt Bildung und Forschung
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