30.11.2016 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 205 / Zusatzpunkt 1

Thorsten FreiCDU/CSU - Aktuelle Stunde zur Lage in Aleppo und Syrien

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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In dieser Aktuellen Stunde haben zahlreiche meiner Vorredner auf das hingewiesen, was in Aleppo, was in Syrien passiert. Wir erleben einen totalen Zivilisationsbruch, den ich kein weiteres Mal beschreiben muss.

Es ist auch darauf hingewiesen worden – das scheint mir wichtig zu sein, weil es nach vorne gerichtet ist –, dass das, was wir in Aleppo erleben, als Pars pro toto letztlich für das ganze Land steht. Nach UN-Angaben haben fast 1 Million Menschen in Syrien in den unterschiedlichsten Städten und Regionen unter nahezu den gleichen Bedingungen zu leben. Sie sind abgeschnitten von humanitären und medizinischen Hilfsleistungen. Sie sind deshalb genauso ins Licht zu rücken wie die Menschen im Ostteil Aleppos.

Natürlich ist es richtig, zu überlegen: Was können wir tun, und was tun wir? Auch die Frage, Frau Göring-Eckardt: „Tun wir genug?“, ist natürlich berechtigt. Aber wir müssen aus den Antworten letztlich auch Konsequenzen ziehen. Das heißt für mich, dass wir die bescheidenen Möglichkeiten, die wir in Syrien haben, auch tatsächlich nutzen sollten. Es ist weiter an den diplomatischen Initiativen zu arbeiten. Es ist weiter daran zu arbeiten, dass humanitäre Hilfe auch ankommt. Denn wir leisten dort in der Tat genug. Deutschland war Mit­initiator der Londoner Geberkonferenz im Februar. Dort wurde mehr Geld als je zuvor eingesammelt: 10 Milliarden Euro. Deutschland allein hat mit 2,3 Milliarden Euro mehr als jeder andere gegeben. Jetzt kommt es darauf an, dass man die Hilfe auch dorthin bringt, wo man sie benötigt.

Das bedeutet, neue Wege zu gehen. Das bedeutet, riskantere Wege zu gehen. Das bedeutet auch, dass, wenn die beste Lösung nicht realisierbar ist, die zweitbeste in Angriff genommen werden muss. Deswegen muss man die Vorbereitungen für mögliche Airdrops treffen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Es bedeutet auch – mein Kollege Röttgen hat es angesprochen –, dass wir uns zumindest ernsthaft darüber Gedanken machen, ob das Verhängen von Sanktionen ein probates Mittel sein kann. Wir sollten es jedenfalls nicht pauschal ausschließen und sagen: Sanktionen und Verhandlungen gehen nicht zusammen. Denn dies ist durch die Geschichte widerlegt. Ich erinnere hier an die Ukraine. Deshalb meine ich: Wir sollten sehr wohl überlegen, ob wir mehr tun können, als wir derzeit tun.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Wir haben in dieser Debatte die vielen verschiedenen Facetten aufgedröselt. Wir haben auch Verantwortlichkeiten benannt und über Russland und seine Verantwortung gesprochen. Daher ist es, glaube ich, wichtig, darauf hinzuweisen, dass Russland und namentlich Präsident Putin hier nicht nur Kriegsverbrechen begeht, sondern letztlich angesichts seiner Politik die Verantwortung dafür zu übernehmen hat, wenn das Morden in Syrien weitergeht. Es könnte sein, dass es am Ende in eine Reihe mit den Kriegsverbrechen im ehemaligen Jugoslawien zu stellen ist.

Es könnte etwas entstehen, das man als das neue Somalia bezeichnen muss. Denn über Jahre oder vielleicht auch Jahrzehnte hinweg ist der Staat dort gescheitert und nicht in der Lage, Sicherheit und Wohlfahrt für seine Menschen zu gewährleisten. Das muss man klar und deutlich benennen. Genauso deutlich zu nennen ist die Verantwortlichkeit des Iran, der seine eigene Agenda verfolgt und letztlich einen Zugang für Militärbasen am Mittelmeer möchte. Der Iran betreibt dort seine eigene schiitische Politik, führt Allianzen und sorgt dafür, dass in Syrien in der Tat auch ein Stellvertreterkrieg geführt wird. Das muss man alles klar benennen; das ist vollkommen richtig.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Aber es ist ja immer so, dass Finger auf einen zurückzeigen, wenn man auf andere zeigt. Ich möchte gerne einen Schritt weitergehen, als es die Vorredner getan haben. Es ist doch in der Tat so, dass die Rolle, die wir in Syrien spielen – damit meine ich Deutschland, die Europäische Union und die Gemeinschaft der europäischen Staaten –, eine jämmerliche ist. Ich will das in dieser Deutlichkeit formulieren. Das ist jetzt nicht nur ein Verweis nach Brüssel, sondern es ist auch ein Verweis an uns selbst. Wir sitzen bei Verhandlungen über Syrien nicht einmal am Katzentisch.

(Dr. Rolf Mützenich [SPD]: Stimmt doch gar nicht!)

Es sind Russland und die USA, die verhandeln. Wir sind es definitiv nicht.

(Dr. Rolf Mützenich [SPD]: Wir waren von Anfang an in Genf dabei!)

Trotz aller Bemühungen, die es in der Vergangenheit gegeben hat, sind wir letztlich nicht in der Lage, machtvoller Spieler in diesem Bereich zu sein.

(Niels Annen [SPD]: Nein! Das stimmt überhaupt nicht!)

Wir müssen daraus Konsequenzen ziehen. In Europa brauchen wir eine stärkere Zusammenarbeit in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Auch wir Deutschen müssen unsere Hausaufgaben machen. Die USA wenden zehnmal mehr für Sicherheit und Verteidigung auf als wir.

(Heike Hänsel [DIE LINKE]: Aber sonst fällt Ihnen nichts ein?)

Die 500 Millionen Menschen in den 28 Staaten Europas kommen zusammen nicht einmal auf die Hälfte der Aufwendungen der USA. Die Aufwendungen sind doppelt so hoch wie die der Russen. Trotzdem schaffen wir nicht einmal die Hälfte der Effektivität. Das ist für mich eine Lehre.

Hier müssen wir etwas ändern. Es gab Ruanda, und nichts ist passiert. Es gab Srebrenica, und nichts ist passiert. Jetzt stehen wir vor Aleppo und Syrien. Wir sollten endlich aufwachen und eine Politik betreiben, die auf europäische Zusammenarbeit setzt! Wir sollten unsere Hausaufgaben machen! Das ist, glaube ich, die Botschaft, die mit diesem Thema für uns verbunden ist.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU – Heike Hänsel [DIE LINKE]: Da hat Ihnen wohl die Rüstungslobby die Rede geschrieben!)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7038318
Wahlperiode 18
Sitzung 205
Tagesordnungspunkt Aktuelle Stunde zur Lage in Aleppo und Syrien
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