Karl SchiewerlingCDU/CSU - Bundesteilhabegesetz
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten heute in zweiter und dritter Lesung das Bundesteilhabegesetz. Um es deutlich zu sagen: Damit setzt die Große Koalition ein weiteres wichtiges sozialpolitisches Versprechen aus ihrem Koalitionsvertrag um. Wir modernisieren im Sinne der Betroffenen die Behindertenpolitik, ermöglichen gesellschaftliche Teilhabe und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderung und setzen die UN-Behindertenrechtskonvention weiter um.
Bevor ich im Detail auf den Gesetzentwurf und die Änderungen eingehe, die sich im parlamentarischen Verfahren ergeben haben, möchte ich die Möglichkeit nutzen, um auf einige grundsätzliche Dinge in der Behindertenpolitik hinzuweisen. Es ist guter parlamentarischer Brauch über alle Parteigrenzen hinweg, dass die Debatten über die Behindertenpolitik nicht dazu genutzt werden, Lebenssituationen zu skandalisieren.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
Vielmehr sollten die Gemeinsamkeiten betont werden: Alle in diesem Haus – alle – wollen, dass Menschen mit Behinderung gleichberechtigter Teil unserer Gesellschaft sind.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
Seit 2009 bin ich Sprecher der Union für Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik. Selten habe ich erlebt, dass ein Gesetzgebungsverfahren derart intensiv durch Zuschriften, Anrufe, Stellungnahmen und kritische Äußerungen begleitet wurde. Ich halte dies für ein gutes Zeichen, zeigt es doch, mit welchem Selbstverständnis sich Menschen mit Behinderung für ihre Interessen einsetzen und sie gegenüber der Politik vertreten.
(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das zeigt auch, wie schlecht das Gesetz gemacht ist!)
Im parlamentarischen Verfahren konnten viele, aber nicht alle Forderungen voll umgesetzt werden. Es war unsere Aufgabe als Politik, die divergierenden Interessen zum Ausgleich zu bringen und sie zu einem Gesetz zusammenzuführen. Dies war mühsam; ich bin aber sicher, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Das Bundesteilhabegesetz wird nicht das letzte Gesetz sein. Wir werden auch in Zukunft weiter Stück für Stück wie bei den anderen Solzialgesetzbüchern auch an Verbesserungen für die Menschen arbeiten.
Mein Dank gilt ausdrücklich der Parlamentarischen Staatssekretärin Frau Lösekrug-Möller für die von der Ministerin bereits gewürdigte moderierende, ausgleichende und auf eine gemeinsame Zielrichtung hin ausgerichtete Arbeit.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
Mein Dank gilt auch allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Bundesarbeitsministeriums, ausdrücklich auch den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Fraktionen sowie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den Abgeordnetenbüros.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
Meine Damen und Herren, wer ist eigentlich von den zu beschließenden Neuregelungen betroffen? In Deutschland leben etwa 7,5 Millionen Menschen mit Behinderungen; 700 000 beziehen Eingliederungshilfe. Die Lebenssituation der Menschen ist höchst unterschiedlich; es ist keine homogene Gruppe. Die Menschen sind unterschiedlich betroffen, und sie alle hatten ihre Erwartungen an dieses Gesetz.
Mit dem Bundesteilhabegesetz führen wir die Eingliederungshilfe aus dem Fürsorgesystem der Sozialhilfe heraus und integrieren sie in das Neunte Buch Sozialgesetzbuch. Damit gehen Verbesserungen für die knapp 700 000 Leistungsberechtigten einher. Entgegen vielen Befürchtungen wird der Zugang zur Eingliederungshilfe nicht eingeschränkt. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass er nicht ausgeweitet werden soll. Es bleibt daher zunächst bei der geltenden Rechtslage.
Bis 2023 werden neue Zugangskriterien konkretisiert. Hierauf haben wir uns in der Koalition verständigt. Zudem wird es deutliche Verbesserungen bei der Anrechnung von Einkommen und Vermögen für diejenigen geben, die arbeiten. Ab 2020 wird das Einkommen bis 30 000 Euro frei sein. Wer mehr verdient, leistet einen Eigenbeitrag zu seinen Fachleistungen. Das Vermögen wird bis zu 50 000 Euro anrechnungsfrei bleiben. Damit ist ein wichtiges Anliegen der Union umgesetzt:
(Kerstin Tack [SPD]: Und auch der SPD!)
Wir wollten nämlich, dass dieses Mitanrechnen des Einkommens des Partners beendet wird; denn es war faktisch ein Heiratsverbot.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)
Mit dem Gesetz eröffnen wir den Leistungsberechtigten mehr Chancen auf dem ersten Arbeitsmarkt. Wer aus der Werkstatt auf den ersten Arbeitsmarkt wechseln möchte, kann zukünftig bundesweit vom Budget für Arbeit profitieren. Dabei erhalten Arbeitgeber unbefristet einen Lohnkostenzuschuss von bis zu 75 Prozent. Für die rund 300 000 Beschäftigten in den Werkstätten verdoppeln wir das Arbeitsförderungsgeld auf zukünftig 52 Euro. Zudem wird der Vermögensfreibetrag für Menschen, die nicht erwerbsfähig sind und Leistungen der Sozialhilfe beziehen, von derzeit 2 600 Euro auf 5 000 Euro angehoben. Hiervon profitieren zum Beispiel Bezieher der Blindenhilfe, aber auch alle anderen Bezieher von Sozialhilfe. Mein Dank gilt an dieser Stelle ausdrücklich dem Bundesfinanzminister und den Haushaltspolitikern, die uns in diesem Anliegen mit zusätzlichem Geld unterstützt haben; sonst wäre das nicht möglich gewesen.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Meine Damen und Herren, wir haben auch die Situation von Schwerbehinderten in Betrieben im Blick. Wir werden die Anhörungsrechte und damit auch die Rolle der Schwerbehindertenvertreter insgesamt stärken.
Neben der Teilhabe am Arbeitsleben hat das selbstbestimmte Wohnen von Menschen mit Behinderungen im parlamentarischen Verfahren eine wichtige Rolle gespielt. Wir haben die vorgetragenen Sorgen und die Wünsche mit Blick auf ihre Rechte sehr ernst genommen. Im Rahmen der Angemessenheit und Zumutbarkeit soll jeder entscheiden können, wie bzw. mit wem er leben möchte. Die entsprechenden Regelungen haben wir deutlich geschärft. Es war der Union wichtig, dass außerhalb stationärer Einrichtungen den Wünschen der Betroffenen bei der gemeinsamen Inanspruchnahme von Assistenzleistungen besondere Bedeutung beigemessen wird.
(Zuruf der Abg. Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Gemeint sind solche Assistenzleistungen, die die unmittelbare Privatsphäre der Berechtigten betreffen.
Meine Damen und Herren, ich danke an dieser Stelle auch dem Bundesgesundheitsminister sehr herzlich. Er hat bei der sehr komplizierten Frage der Verbindung von Eingliederungshilfe und neuem Pflegestärkungsgesetz mit dem neuen Pflegebegriff sehr konstruktiv mitgewirkt. Ohne ihn wäre dieses Gesetz nicht möglich gewesen.
In einem Artikel in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung hat der Autor das Bundesteilhabegesetz mit der Elbphilharmonie in Hamburg verglichen. Beide Projekte seien wesentlich teurer als zunächst geplant.
(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Unverschämtheit!)
Ich empfinde dies – anders, als es der Autor gemeint hat – als Kompliment. Ja, die zusätzlichen Leistungen kosten Geld – keine Frage. Aber wir tun das für die Menschen mit Behinderungen und für die Betroffenen. Die Elbphilharmonie ist bereits jetzt, kurz nach der Fertigstellung, zu einem Wahrzeichen Hamburgs mit Strahlkraft über Deutschland hinaus geworden. Im Sinne der Betroffenen wäre ich froh, wenn sie in ein paar Jahren, wenn das Gesetz richtig greift, ähnlich positiv über das Gesetz sprechen würden. Am Ende zählt das Ergebnis, und da können wir sehr zufrieden sein.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
Vielen Dank. – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt Katrin Göring-Eckardt.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7038459 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 206 |
Tagesordnungspunkt | Bundesteilhabegesetz |