Jürgen TrittinDIE GRÜNEN - Verantwortung der kerntechnischen Entsorgung
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Seit 2001 heißt das Atomgesetz „Gesetz zur geordneten Beendigung der Kernenergienutzung … “, und seit 2011 haben wir hierüber einen Konsens. Seit 2009 – übrigens, Kollege Fuchs, da sollten Sie noch einmal in das von Ihnen mit verabschiedete Standortauswahlgesetz schauen – haben wir auch einen Konsens in diesem Hause darüber, wie man ein entsprechendes Endlager für den Müll findet; denn mit der Beendigung des atomaren Leistungsbetriebs ist das Atomzeitalter nicht vorbei. Heute sprechen wir über die Chance zu einem dritten Konsens, nämlich dem Konsens darüber, wie man die Mittel für die Kosten, die dafür anfallen – das sind bis zu 170 Milliarden Euro bis 2099 –, entsprechend sichert.
Ich sage Ihnen deutlich: Dieses Gesetz kommt mit 15 Jahren Verspätung. Ich erinnere mich noch gut, wie zum Zeitpunkt des Ausstiegs die Unternehmen sich mit Händen und Füßen dagegen gewehrt haben, dass sie diese Mittel in einen Zweckverband übertragen. Der Grund war einfach: Sie wollten mit hohen Rückstellungen Steuern sparen. Sie wollten diese als eine Kriegskasse im Konkurrenzkampf nutzen. Das ist ihnen nicht gut bekommen, und das ist übrigens der Gesellschaft nicht gut bekommen. Nach zehn Jahren Blockade sieht es so aus, dass Eon, RWE, Vattenfall und EnBW keine EEG-Anlagen haben und mit ihren Kohle- und Atomkraftwerken kein nennenswertes Geld mehr verdienen. Erst jüngst musste Eon 9,3 Milliarden Euro abschreiben. Ihre Börsenkurse haben sich halbiert. Aus dieser schönen Kriegskasse, die man einmal hatte in Form der Rückstellungen, ist eine Belastung ihrer Kreditwürdigkeit geworden. Sie haben dann versucht, sich dessen zu entledigen: durch Umbau, Umstrukturierung und Enthaftung. Plötzlich haftete der schwedische Staat nicht mehr für Vattenfall. Genau diesem Versuch, sich der Verantwortung zu entziehen, schieben wir heute gemeinschaftlich einen Riegel vor.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)
Wir haben als Grüne immer dafür plädiert, dass man das über einen öffentlich-rechtlichen Fonds macht. Die Bundesregierung hat lange geleugnet, dass das überhaupt nötig sei. Nun hat Ihnen Ihr eigener Gutachter von Warth & Klein ins Stammbuch geschrieben, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass, wenn die Beträge fällig werden, die Erlöse der Unternehmen diese noch decken: 50 Prozent. 50 Prozent, das ist, als würden Sie eine Münze werfen, nur dass das in diesem Falle eine 170-Milliarden-Euro-Münze ist. Ich finde, mit diesem Risiko sollten wir alle nicht mehr leben wollen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)
Es drohte nämlich, dass die Unternehmen sich aus ihrer Verantwortung stehlen und dass die Steuerzahler das bezahlen, was sie als Stromkunden schon einmal bezahlt haben. Es drohte die Aushebelung des Verursacherprinzips, und dem beugen wir mit diesem Gesetzentwurf vor.
Wir haben das sehr gründlich in dieser Kommission geprüft. Wir haben Bürgerinitiativen, Sachverständige, Wirtschaftsprüfer und Ratingagenturen, also alle, die irgendetwas dazu sagen konnten, zu öffentlichen Anhörungen eingeladen. Das Ergebnis ist: Die Höhe der heutigen Rückstellungen ist international vergleichbar, eher am oberen Rand, und sie ist – so das Ergebnis der Kommission – angemessen, um die Kosten von insgesamt 170 Milliarden Euro am Ende zu sichern. Das Problem ist nicht die Höhe. Das Problem, vor dem wir stehen, ist, dass diese Mittel nicht mehr sicher sind. Darum geht es. Deswegen schlagen wir vor, CDU/CSU, BDI, DGB, WWF, alle diejenigen, die dort vertreten waren, dass künftig wie folgt verfahren wird: Die Unternehmen müssen bis 2040 60 Milliarden Euro aufbringen, um rückzubauen und zu verpacken. Dafür müssen sie künftig ihre Rückstellungen mit Aktiva unterlegen. Das wird von der Bundesregierung unter Kontrolle des Bundestages kontrolliert. Sie müssen unverzüglich mit dem Rückbau anfangen. Das andere ist: Sie müssen die Mittel für die Zwischen- und Endlagerung in einen öffentlich-rechtlichen Fonds überführen – das sind die 17 Milliarden Euro –, und sie müssen, wenn sie sich enthaften wollen, noch einmal über 6 Milliarden Euro als Risikozuschlag obendrauf legen, den sie bisher nicht hatten. Ein schönes Weihnachtsgeschenk übrigens, wenn ich eben einmal 23 Milliarden Euro, die ich bisher nur in den Büchern stehen hatte, ausreiche. Ich habe mir ein Geschenk bisher anders vorgestellt, liebe Kollegen von der Linken.
Wir haben erwartet, dass die Unternehmen alle Klagen, die sich auf die Entsorgung beziehen, fallen lassen. Ich finde, dass damit das Verursacherprinzip sehr viel besser gesichert ist. Wir schaffen mehr Sicherheit. Wir müssen nicht mehr bangen oder – wie die Linkspartei – hoffen, dass die Konzerne bis 2099 nicht pleitegehen und nicht an irgendwelche Hedgefonds verkauft werden, und wir hätten dann tatsächlich so etwas wie einen neuen Konsens.
Ich will aber eines zum Abschluss in aller Deutlichkeit sagen: Zu einem solchen Konsens passt es nicht, wenn die Unternehmen weiterhin gegen den ersten Konsens, gegen den Ausstieg, Schadensersatzklagen erheben, sei es vor Oberlandesgerichten, sei es vor Schiedsgerichten in Washington. Konsens bedarf des Rechtsfriedens. Deswegen erwarten wir, dass auch solche Klagen zurückgenommen werden. Dann wird aus dem Ausstiegskonsens ein Entsorgungskonsens.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)
Als nächste Rednerin spricht Dr. Nina Scheer für die SPD-Fraktion.
(Beifall bei der SPD)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7038622 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 206 |
Tagesordnungspunkt | Verantwortung der kerntechnischen Entsorgung |