Lothar BindingSPD - Steuerliche Verlustrechnung bei Körperschaften
Frau Präsidentin! Sehr verehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja, es ist ein kompliziertes Gesetz. Normalerweise ist es ja so: Sie bekommen Lohn und zahlen Lohnsteuer. Jemand macht Gewinn mit einem Unternehmen, dann zahlt er Gewinnsteuer. Hat er im letzten Jahr Verlust gemacht, dann kann er die Verluste in diesem Jahr mit dem Gewinn verrechnen.
(Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Genau! So ist das!)
Das ist auch fair; denn so kann man den Gewinn über die Jahre korrekt versteuern. Bis dahin ist alles in Ordnung.
Nun gab es in der Vergangenheit Menschen, die angefangen haben, Verluste zu sammeln und so zu sortieren, dass sie, wann immer ein Gewinn eingefahren wurde, diesen Gewinn aus steuerlichen Gründen vernichtet haben, um Steuern zu sparen. Das nannten wir Mantelkauf. Die Leute haben „Mäntel“ gekauft, die alte Verluste enthalten haben, um sie über junge Gewinne zu legen, sodass man keine Steuern mehr bezahlt. Das wollen wir verhindern. Das hat bei uns einen kurzen Namen: Es heißt Körperschaftsteuergesetz § 8c. Er hat auch richtig gut funktioniert.
Natürlich hatte das alte Gesetz Schwachstellen. Kollege Pitterle hat jetzt gesagt: Das neue Gesetz hat auch Schwachstellen. Ich muss ihm in allen drei Punkten, die er aufgeführt hat, recht geben.
Es ist gestaltungsanfällig, wie im Übrigen jedes Gesetz. Wir kennen kein Gesetz, das nicht gestaltungsanfällig ist; denn kaum gibt es ein Hindernis auf der Straße, suchen wir einen kleinen Umweg. Es wird auch Steuermindereinnahmen geben, allerdings gezielt; denn wenn ich die Hilfe von jemandem benötige, dann kann es sein, dass die Hilfe etwas kostet; das kann auch hier der Fall sein. Das regeln wir ganz bewusst so. Wir sagen: Vielleicht erwischt es die Kommunen eiskalt, vielleicht hilft es aber auch den Kommunen sehr viel weiter, wenn neue Unternehmen bei ihnen eine wirtschaftliche Dynamik entfalten und dann Gewinne erzeugen, die fair versteuert werden. Insofern ist die neue Regelung etwas sehr Gutes.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Eine absolute Zielgenauigkeit hat das Gesetz auch nicht, weil es auch für Unternehmen gilt, die keine Start-ups sind. Es stimmt, dass die Zielgenauigkeit dadurch ein bisschen leidet. Allerdings müssen wir uns über den Unterschied zwischen Behauptung und Beweis unterhalten. Wenn ein Professor in einer Anhörung etwas behauptet, könnte es klug sein, dies auch zu beweisen. Leider hat Professor Jarass vergessen, das zu tun; aber es wäre klug gewesen.
Wir suchen schon lange nach Möglichkeiten, innovative Unternehmen zu fördern. Aber was ist eigentlich ein innovatives Unternehmen? Sie machen etwas Neues, sie suchen nach neuen Produkten, sie wollen am Markt etwas Neues entwickeln. Gerade aus den Erfahrungen der letzten 20 Jahre wissen wir, dass viel Neues entstanden ist, oft zu unserem Besten; manchmal auch nicht immer nur zu unserem Besten. Jedenfalls hat das uns und unsere Wirtschaft vorangebracht.
Wir sagen zu diesen Unternehmen auch Start-ups. Start-up, das heißt ja eigentlich „anspringen“. Ich hatte einen VW-Bus, der damit einige Probleme hatte, und deswegen mussten immer Leute kommen und helfen. Das kann auch hier sein: Ein neues Unternehmen hat Probleme, „anzuspringen“, und dann braucht man fremde Menschen, die helfen. Genau das soll dieses Gesetz leisten.
Warum haben wir diesen Bereich in den Blick genommen? Eigentlich fühlen wir uns doch ganz wohl in unserer unternehmerischen Landschaft. Wir haben aber gesehen, dass in den USA – gut, die USA sind größer als Deutschland – ungefähr 60 Milliarden Dollar über eine entsprechende Förderung in die Start-up-Unternehmen fließen. Jetzt haben wir gedacht: In Deutschland werden das vielleicht 15 oder 20 Milliarden Euro sein, es sind aber nur 1,3 Milliarden Euro. Das hat uns doch zu denken gegeben. Wir haben gesagt: Das ist im Vergleich irgendwie zu wenig.
Ich will hinzufügen, dass durch den von mir eben genannten Paragrafen schon sehr viel möglich war, nur eben kein Mantelkauf. Wenn zum Beispiel ein Business Angel Geld in ein Start-up, in ein neues Unternehmen gibt, dann ist es bisher so, dass er oft sehr viel mehr bezahlt hat, als die Buchwerte in diesem Unternehmen ausmachen. Er hat also eigentlich mehr bezahlt, als er dafür bekommt. Warum? Weil er hofft, dass das Unternehmen eines Tages Gewinn macht und er an diesem Gewinn teilhat. Er hat sozusagen die Hoffnung auf Patente. Er glaubt an die Idee.
Bisher war es so, dass dieser Mehrpreis, den er bezahlt hat, stille Reserve war. Jetzt kommt das Besondere: Das war für ganz viele Unternehmen, auch für Start-ups, eine gute Lösung, weil der Verlust, der möglicherweise entstand, genutzt werden konnte, solange er diese stillen Reserven nicht überstieg. Also: Wenn jemand große stille Reserven erzeugt hat, hatte er die Möglichkeit, auch große Verluste zu nutzen, selbst bei, wie wir sagen, schädlichem Beteiligungserwerb. Das war eine sehr gute Möglichkeit in § 8c Körperschaftsteuergesetz. Bei einem Gesellschafterwechsel passierte bei einem Übertrag von bis zu 25 Prozent gar nichts, bei einem Übertrag von 25 bis 50 Prozent waren die Verluste ratierlich oder quotal zu verwerten, und erst ab einem Übertrag von mehr als 50 Prozent der Anteile konnten die Verluste komplett nicht mehr genutzt werden. § 8c war also, wie gesagt, eine gute Lösung für viele, aber nicht für alle. Um diejenigen, für die es in § 8c Körperschaftsteuergesetz keine gute Lösung gab, kümmern wir uns heute.
In einem jungen Unternehmen – Kollege Murmann hat das schon angedeutet – besteht eine hohe Dynamik. Es gibt oft Eigentümerwechsel, die Leute kommen und gehen, sie wollen Geld geben oder es zurückhaben. Das ist kein ganz gerader Pfad; das ist ja auch klar, weil eine unbekannte Strecke begangen wird. Deshalb muss man besondere Hilfen bereitstellen.
Die zweite Besonderheit ist, dass die Finanzierung solcher Unternehmen oft nicht über einen normalen Bankkredit läuft, sondern häufig über Beteiligungskapital. Das ist eine etwas andere Landschaft als die, mit der wir uns üblicherweise beschäftigen. Deshalb waren wir froh, dass das BMWi und die AG Wirtschaft ihre Gedanken dazu eingebracht haben. – Deshalb spricht heute auch Matthias Ilgen zu diesem Thema. Wir danken dir übrigens für deinen Brief, der eine Initialzündung war. Es gibt ja immer mehrere Väter für gute Ideen. – Das BMWi und die AG Wirtschaft haben eine Lösung entwickelt, die wir in § 8d Körperschaftsteuergesetz gießen. Gewundert hat uns nicht, was das BMF und das BMWi uns aufgeschrieben haben, sondern, dass trotz wissenschaftlicher Betreuung – wir haben ja mit den Wissenschaftlern gesprochen – in dem Gesetzentwurf ein riesiges Schlupfloch formuliert war, durch das Altverluste hätten aktiviert werden können. Und dabei reden wir über einen richtig hohen dreistelligen Milliardenbetrag; er liegt sogar über 150 Milliarden Euro, und das ist sogar bewiesen. Damit hätte man das gesamte Gesetz zunichtemachen können. Dank der Expertise von BMF und der Kollegen aus Nordrhein-Westfalen konnten wir dieses Schlupfloch im Gesetzentwurf schließen. Davon versprechen wir uns sehr viel.
(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Das war gewollt!)
– Das Schlupfloch war nicht gewollt, sondern das Schließen der Schlupflöcher ist gewollt. Es ist ja unsere Aufgabe als Finanzpolitiker, solche Schlupflöcher zu schließen. Wir kennen aber die Kreativität auf dem Markt. Es gibt immer wieder neue Schlupflöcher.
Es ist gut, jetzt ein Regime mit starken Restriktionen zu schaffen, in das man auf Antrag kommt. Kollege Murmann hat schon vorgetragen, was alles erfüllt sein muss, damit man überhaupt in den Genuss von § 8d Körperschaftsteuergesetz kommt.
Insofern denken wir: § 8d Körperschaftsteuergesetz ist ein Erfolg. Er hat aber einen kleinen Nachteil, und das ist seine Zielgenauigkeit. Er gilt für alle Unternehmen, auch für diejenigen, die wir gar nicht gemeint haben. Das ist ein Wermutstropfen, den wir in Kauf nehmen müssen, weil die Regelung ansonsten nicht europarechtskonform wäre.
Ich fasse zusammen: § 8c Körperschaftsteuergesetz hemmt die Start-up-Unternehmen, und § 8d begünstigt gelegentlich die Falschen. Angesichts dieses ewigen Zielkonflikts ist die Evaluierung eine gute Lösung. So wissen wir in drei Jahren, ob wir entspannt Weihnachten feiern können oder nicht. Ich glaube, auf dieser Basis sollten wir den Gesetzentwurf heute beschließen und in drei oder vier Jahren noch einmal nachschauen.
Schönen Dank.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Vielen Dank. – Nächster Redner für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ist Dr. Thomas Gambke.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7038645 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 206 |
Tagesordnungspunkt | Steuerliche Verlustrechnung bei Körperschaften |