01.12.2016 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 206 / Tagesordnungspunkt 32

Ursula von der Leyen - Bundeswehreinsatz in Afghanistan

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Vielen Dank, Herr Präsident. – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am Abend des 10. November hat uns die Nachricht von einem schweren Anschlag auf das Konsulat in Masar-i-Scharif ereilt. Wir haben stundenlang gebangt, gehofft, dass nicht das Schlimmste eintritt. Gott sei Dank konnte verhindert werden, dass es Opfer unter dem Personal des Konsulates gibt, aber wir betrauern gemeinsam mit den Afghanen sechs afghanische Sicherheitskräfte, die ihr Leben lassen mussten. Unsere Gedanken sind heute Abend bei ihren Familien. Wir wünschen den vielen Verwundeten, die es durch diesen Anschlag gegeben hat, Genesung und gute Besserung auch von dieser Stelle.

(Beifall im ganzen Hause)

Dass der schwere Anschlag im Endeffekt so glimpflich ausgegangen ist, haben wir vor allen Dingen zu verdanken – dafür möchte ich unseren hohen Respekt und Dank aussprechen – den Beamtinnen und Beamten der Bundespolizei vor Ort, den afghanischen Sicherheitskräften, den Soldatinnen und Soldaten, die aus Camp Marmal zu Hilfe geeilt sind, Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr, aber ganz voran auch ihren Kameradinnen und Kameraden aus Georgien, aus Lettland und aus Estland. Ohne sie wäre es nicht so glimpflich ausgegangen. Sie verdienen unseren Dank dafür.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dieser Anschlag, der sehr gezielt war, der sehr geplant war, zeigt aber auch, wie fragil und volatil die Sicherheitslage in Afghanistan nach wie vor ist.

Das zu Ende gehende Jahr, das Jahr 2016, ist ein schwieriges Jahr für die Regierung gewesen. Es war ein sehr schwieriges Jahr für die afghanischen Sicherheitskräfte. Man muss in der Bilanz sagen: Die afghanischen Sicherheitskräfte haben aus den Ereignissen des Jahres 2015 ihre Lehren gezogen. Sie sind besser geworden. Sie haben nach wie vor sehr hohe Verluste – das muss man an dieser Stelle auch erwähnen –, doch sie kämpfen, sie agieren aktiver, erfolgreicher, als das im vergangenen Jahr der Fall gewesen ist.

Es ist den Taliban zum Beispiel nicht gelungen, ihr Ziel zu erreichen, eine der Provinzhauptstädte zu erobern. Den afghanischen Sicherheitskräften ist es gelungen, diese Angriffe abzuwehren, so auch den erneuten Angriff auf Kunduz-Stadt im Oktober 2016, und so sind die afghanischen Sicherheitskräfte zumindest in der Lage, eine strategische Pattsituation mehr oder minder zu halten. Aber es gibt noch viel zu tun, insbesondere mit Blick auf das Thema Ausbildung. Wir haben deshalb im Frühjahr dieses Jahres unseren Ansatz für Ausbildung, Beratung und Unterstützung weiter angepasst.

In allererster Linie allerdings bedarf es politischer Reformen seitens der afghanischen Regierung. Wir erwarten mehr Aktivität. Die Regierung muss politisch enger zusammenstehen. Insbesondere müssen Staatspräsident Ghani und der CEO Abdullah Abdullah gemeinsam in dieselbe Richtung arbeiten. Wir erwarten, dass die Regierung echte Reformen anstößt und sie auch gegen Widerstände durchsetzt. Wir haben Erwartungen an die afghanische Regierung, und diese finden zurzeit zu wenig Widerhall. Hier muss sich in erster Linie etwas ändern;

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

denn eines ist uns allen in diesem Hohen Hause klar: Keine noch so gute militärische Ausbildung, kein noch so fundierter Rat, keine noch so umsichtige Unterstützung können die unverzichtbare Rolle einer Regierung ersetzen. Die Regierung muss aktiver werden, zum Beispiel mit Blick auf die Besetzung vakanter Ministerposten. Sie muss Motor für Reformen sein; damit lenke ich den Blick auf die längst überfällige Parlamentswahl. Nur wenn die Regierung aktiv ist, kann das geschehen, was unverzichtbar notwendig ist, damit die militärischen Erfolge auf Dauer stabilisiert werden: der wirtschaftliche Aufbau des Landes und damit die Schaffung einer Perspektive für die Menschen, die in diesem Land leben.

Die Staats- und Regierungschefs der NATO-Länder haben sich im Juli dieses Jahres in Warschau darauf geeinigt, den Aufbau Afghanistans weiterhin zu unterstützen. Die NATO hat ihre Einsatzrahmenbedingungen und Abläufe angepasst. Es ging darum, wie man die afghanischen Partner im Einzelfall durch Aufklärung, durch Lufttransport, durch Verwundetentransport besser unterstützen kann. Das jetzt vorliegende Mandat nimmt diese Konkretisierungen der NATO durch textliche Klarstellungen auf, wird aber ansonsten vollständig inhaltsgleich fortgeschrieben. Das heißt, Niveau und Aufgaben der Bundeswehr bleiben ebenso unverändert wie die Obergrenze von 980 Soldatinnen und Soldaten.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es gibt nach wie vor viel Schatten, viele Probleme in Afghanistan. Es gibt aber auch Fortschritte, die wir unter dem Berg der Probleme oft nicht sehen. Ich will ein kleines Beispiel nennen: Es wurden gerade in etwa der Hälfte des Landes Wahlen zu den Provincial Councils – gewissermaßen Kommunalwahlen – durchgeführt. Immerhin ist die Hälfte der Gewählten Frauen. Das wäre unter den Taliban niemals möglich gewesen. Wenn wir auf unsere eigenen Wahlen schauen, dann wissen wir, wie schwer es ist, eine Quote von 50 Prozent für Frauen zu erreichen.

(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir haben die Quote übererfüllt! – Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

– Sehr gut! Sie haben fast das afghanische Niveau erreicht.

(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Die meisten Frauen hat die Fraktion Die Linke! Das wollen wir nur erwähnen!)

Deshalb ist es auch richtig, dass wir unser Engagement ein weiteres Jahr fortsetzen. Aber wir werden – das muss uns auch klar sein – durch unser Engagement den Afghanen nur Zeit verschaffen, Zeit, die Probleme anzupacken, Zeit, die erforderlichen Reformen auf allen Ebenen konsequent zu verfolgen. Sie müssen die hart errungenen Fortschritte und Erfolge, die es im Land unzweifelhaft gibt, auf die Dauer selbst sichern können. Genau in diesem Sinne ist das Mandat angelegt, für das wir um wohlwollende Beratung und dann Zustimmung werben.

Danke schön.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Als Nächste spricht die Kollegin Heike Hänsel für die Fraktion Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7038749
Wahlperiode 18
Sitzung 206
Tagesordnungspunkt Bundeswehreinsatz in Afghanistan
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