Michael Roth - Bundeswehreinsatz in Afghanistan
Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Hänsel, Ihre Simplifizierung ist beschämend. Wer von „Feldzug“ spricht, der hat an einer ernsthaften Debatte kein wirkliches Interesse.
(Heike Hänsel [DIE LINKE]: Aha! – Michaela Noll [CDU/CSU]: Richtig!)
Ich gehe fest davon aus – da spreche ich sicherlich nicht nur für meine Fraktion –, dass es sich hier keine Fraktion einfach macht. Wir überprüfen jedes Mandat kritisch. Wir sprechen mit den Kolleginnen und Kollegen der internationalen Gemeinschaft im Rahmen der NATO und schauen: Was können wir besser machen? Wo können wir unserer Verantwortung gerecht werden? – Wir wissen doch alle, dass das eine Generationenaufgabe ist. Wir sind seit 15 Jahren in Afghanistan engagiert,
(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Ja, aber es wird nicht besser!)
aber eben nicht nur militärisch. Wir engagieren uns im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit. Wir engagieren uns im Bereich der humanitären Hilfe, im Bereich der Stabilisierung.
(Heike Hänsel [DIE LINKE]: 75 Prozent Analphabetentum!)
Wer ein solch undifferenziertes Bild von Afghanistan zeichnet, der handelt verantwortungslos.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie des Abg. Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Heike Hänsel [DIE LINKE]: Sie handeln verantwortungslos! – Gegenruf des Abg. Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Ihr meckert ja nur rum!)
Wer so redet, der erkennt nicht an, dass inzwischen Schulen gebaut wurden,
(Niema Movassat [DIE LINKE]: Wie viele sind denn schon wieder geschlossen worden?)
dass viele Mädchen wieder eine Schule besuchen können, dass es mehr Studierende gibt als jemals zuvor in der Geschichte, dass die Infrastruktur deutlich verbessert wurde, dass Krankenhäuser errichtet werden konnten, dass die Kindersterblichkeit deutlich gesunken ist, dass Kabul eine Stadt ist, die überhaupt nicht mit den Verhältnissen zu vergleichen ist, die wir noch vor 15 Jahren vorgefunden haben.
(Heike Hänsel [DIE LINKE]: Dann fahren Sie doch hin, und bewegen Sie sich dort! Sie fahren doch nur mit kugelsicherer Weste dahin!)
Das muss man bei objektiver Betrachtung doch zumindest einmal zur Kenntnis nehmen.
Keiner zeichnet hier ein einseitiges Bild von Afghanistan. Gerade weil wir um die Defizite wissen, sind wir bereit, Afghanistan in den kommenden Jahren auf seinem schwierigen Weg weiterhin zu unterstützen.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Am Ende dieses Weges steht für uns ein klares Ziel: Afghanistan muss sicherer und stabiler werden, damit die Menschen in ihrer Heimat endlich wieder Hoffnung schöpfen können, Hoffnung auf ein Leben in Sicherheit, Hoffnung auf einen Job und ein bisschen Freiheit.
Ich finde es mehr als legitim, dass uns Bürgerinnen und Bürger in unseren Sprechstunden fragen: Was tut ihr ganz konkret in Afghanistan? – Die Verlängerung der NATO-Ausbildungs- und Beratungsmission Resolute Support ist eben nur ein Baustein, wenn auch ein wichtiger. Daneben bringt die Bundesregierung in Afghanistan die gesamte Bandbreite des außenpolitischen Instrumentariums zum Einsatz. Insgesamt beläuft sich unsere finanzielle Unterstützung auf 510 Millionen Euro jährlich, davon 80 Millionen Euro für die Ausbildung und für die Unterstützung der afghanischen Armee, 70 Millionen Euro für die Ausbildung und Ertüchtigung der afghanischen Polizei; 250 Millionen Euro werden in die Entwicklungszusammenarbeit investiert und 110 Millionen Euro in weitere Stabilisierungsprojekte. In keinem Land, liebe Kolleginnen und Kollegen, engagieren wir uns stärker.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Im Rahmen dieses Engagements fördert die Bundesregierung unter anderem den Polizeiaufbau in Afghanistan, berät sie die afghanische Regierung im Flüchtlingsrecht und unterstützt Binnenvertriebene in Nordafghanistan, beteiligt sich am Aufbau staatlicher Strukturen und natürlich der Infrastruktur; davon habe ich bereits gesprochen. Wer unser Engagement beim Bau von Schulen, Krankenhäusern und Straßen einfordert, und zwar zu Recht, kann sich der Verlängerung von RSM nicht verschließen.
Deutschland ist damit nach den Vereinigten Staaten der zweitgrößte bilaterale Geldgeber in Afghanistan. Aber – das ist schon von der Kollegin von der Leyen zum Ausdruck gebracht worden; ich habe das auch Gesprächen mit vielen Kolleginnen und Kollegen entnommen – wir stellen Afghanistan mitnichten Blankoschecks aus. Die Bundesregierung hat die finanzielle Unterstützung ausdrücklich an ganz strenge Bedingungen geknüpft. Wir erwarten, dass die afghanische Regierung ihren Teil der Abmachung einhält, etwa bei der Beachtung von Menschenrechten oder bei der Bekämpfung von Korruption.
(Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, freilich!)
Auch in Migrationsfragen erwarten wir eine bessere Zusammenarbeit. Das geschieht bisher noch unzureichend. Wir werden das in Kabul mit Nachdruck weiter einfordern.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Afghanistan bedarf weiterhin unserer Unterstützung, damit die in den vergangenen Jahren erreichten Fortschritte nicht zurückgedreht werden. Wir befinden uns an dem Punkt, an dem noch nicht einmal klar ist, ob das, was wir mühselig haben aufbauen und unterstützen können, gesichert werden kann. Die Menschen in Afghanistan müssen endlich wieder eine Perspektive für ein Leben in Frieden, Freiheit und wirtschaftlicher Sicherheit haben. Diese Perspektive müssen sie in ihrem eigenen Land sehen.
Dass diese Perspektive derzeit leider nicht überall in Afghanistan gegeben ist, belegen auch die aktuellen Zahlen aus Deutschland: Seit Beginn des Jahres 2016 haben allein in Deutschland mehr als 120 000 Afghaninnen und Afghanen einen Asylantrag gestellt. Deutschland reagiert mit großer Hilfsbereitschaft. Die Hälfte der Antragsteller aus Afghanistan hat Anspruch auf internationalen Schutz. Fakt ist aber auch, dass viele Afghaninnen und Afghanen ihr Land aus wirtschaftlichen Motiven, aus Perspektivlosigkeit verlassen. Ich will das Dilemma offen ansprechen: Einerseits versuchen wir seit 15 Jahren, in Afghanistan Stabilität zu schaffen und das Vertrauen in die staatlichen Strukturen zu erhöhen. Andererseits kann aber kein Vertrauen entstehen, wenn immer mehr junge Menschen das Land verlassen. Diesen Teufelskreis müssen wir durchbrechen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Wir können nur in die Zukunft Afghanistans investieren, wenn auch das afghanische Volk an diese Zukunft glaubt. Auch hier engagieren wir uns mit vielen konkreten Projekten vor Ort. Wir lassen doch niemanden allein.
Bisweilen sind es die kleinen Dinge des Alltags, die Hoffnung machen. So ist es bewegend, zu sehen, wie mit der Eröffnung einer einzigen Schule Hunderten von Kindern und Jugendlichen wieder eine Perspektive geschenkt wird oder wie mit Mikrokrediten Hunderte von neuen Start-ups entstehen, die den Menschen vor Ort wieder Arbeit geben. Jede dieser kleinen Erfolgsgeschichten bringt das Land und die Menschen unserem gemeinsamen Ziel ein Stück näher: ein Land, das auf eigenen Füßen steht und das endlich zur Normalität zurückkehren kann.
Ja, es geht um die Stabilisierung und um die Befriedung Afghanistans. Ich gebe zu: Das ist eine Generationenaufgabe. Aber das ist keine Einbahnstraße. Wir haben auch die klare Erwartungshaltung, dass die afghanische Regierung Schritt für Schritt wieder die Verantwortung für Stabilität und Sicherheit im eigenen Land übernimmt. Die Bundesverteidigungsministerin hat eben dargestellt, wo die Defizite liegen. Es gibt durchaus auch Erfolge, aber viel viel zu wenig. Wir können damit nicht zufrieden sein.
Seit dem Ende der ISAF-Mission 2014 tragen die afghanischen Sicherheitskräfte die alleinige Verantwortung für die Sicherheit in ihrem Land. Die afghanischen Streitkräfte hatten es vor allem durch den Wegfall der Luftnahunterstützung schwer und mussten hohe Verluste beklagen. Militante Gruppen, insbesondere die Taliban, liefern sich an vielen Orten immer wieder Gefechte mit den staatlichen Sicherheitskräften oder begehen Anschläge. Aber wir sollten auch anerkennen: Insgesamt hat die afghanische Armee bisher besser als erwartet standgehalten. Den Taliban ist es trotz mehrfacher erbitterter Versuche nicht gelungen, auch nur eine einzige Provinzhauptstadt dauerhaft einzunehmen.
Dennoch: Wie angespannt die Sicherheitslage in Afghanistan nach wie vor ist, hat uns auch der Anschlag auf das deutsche Generalkonsulat in Masar-i-Scharif vor wenigen Tagen gezeigt. Dies hat alle erschüttert. Alle haben sich die Frage gestellt: Können wir einfach so weitermachen? Müssen wir das Mandat im Lichte dieses Anschlags noch einmal kritisch überprüfen? – Ich finde, wir haben das verantwortungsvoll getan. Ich rate jedem von Ihnen, wenn einmal die Gelegenheit besteht, mit unseren Kolleginnen und Kollegen im Generalkonsulat zu sprechen. Da kann einem nur himmelangst werden, wenn man sich einmal vor Augen führt, was die Menschen dort erlebt haben, nicht zu sprechen auch von den vielen unschuldigen afghanischen Opfern.
Die Gewalt, die auch noch heute von den Taliban in Afghanistan ausgeht, und das Leid der Bevölkerung können rein militärisch nicht beendet werden. Frau Hänsel, das behauptet doch auch überhaupt niemand. Der Weg zu einem friedlichen Afghanistan kann letztlich nur über einen innerafghanischen Friedensprozess führen,
(Heike Hänsel [DIE LINKE]: Aber da passiert doch nichts!)
an dem alle gesellschaftlichen Gruppen teilhaben, die für eine politische Lösung bereit sind.
Der Abschluss eines Friedensabkommens mit der Hisb-i-Islami von Gulbuddin Hekmatjar zeigt, dass ein Friedensabschluss möglich ist. Die Regierung wird nun beweisen müssen, dass sie in der Lage ist, die ehemaligen Kämpfer der Hisb-i-Islami einzubinden und so ein positives Beispiel für weitere Abkommen zu setzen. Die internationale Gemeinschaft unterstützt diesen Prozess. Auch aufseiten der Taliban mehren sich Stimmen, die diesen Weg befürworten. Wie umstritten war das noch vor Jahren, als es die Forderung gab, mit den Taliban zu sprechen! Man tut das nun. Jeder versucht im Rahmen seiner Verantwortlichkeit, etwas Konkretes zu leisten, sodass wir hier zu dauerhaften Friedensschlüssen kommen. Am Ende eines solchen Prozesses müssen sich die Afghanen auf ein Ende der Gewalt einigen, alle Verbindungen zum internationalen Terrorismus kappen und sich zur Einhaltung der afghanischen Verfassung verpflichten. Ein solcher Friedensprozess wird im besten Fall noch Jahre dauern. Entscheidend wird sein, dass die Staaten der gesamten Region an einem Strang ziehen. Auch hierfür setzen wir uns ein. Deutschland hat beispielsweise den Vorsitz der Internationalen Afghanistan-Kontaktgruppe inne. Auch hier übernehmen wir ganz konkret Verantwortung.
Der Mandatsantrag regelt die weitere Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an Resolute Support, und zwar gemeinsam mit unseren Partnern. Das Mandat bleibt im Grundsatz unverändert. Resolute Support wird auch 2017 kein Kampfeinsatz sein. An dieser Stelle möchte ich nicht nur den Soldatinnen und Soldaten, sondern auch den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern unserer Auslandsvertretungen sowie den Polizistinnen und Polizisten in Afghanistan danken. Ihr Einsatz unter schwierigsten Bedingungen verdient unseren größten Respekt. Jeder von uns, der sich nach schwieriger innerer Abwägung dazu entscheiden kann, dieser Mission zuzustimmen, stärkt das Vertrauen in unsere Sicherheit und in unsere Sicherheitskräfte, die in Afghanistan verantwortlich zeichnen und sich nach Kräften im Interesse von Sicherheit und Stabilität bemühen. Wir sollten sie dabei nicht alleine lassen. Deshalb freue ich mich über jeden Einzelnen und jede Einzelne von Ihnen, der bzw. die dieser Mission und diesem Mandat zuzustimmen vermag.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Nächste Rednerin ist die Kollegin Agnieszka Brugger, Bündnis 90/Die Grünen.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7038761 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 206 |
Tagesordnungspunkt | Bundeswehreinsatz in Afghanistan |