Florian HahnCDU/CSU - Bundeswehreinsatz in Afghanistan
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mehr als 15 Jahre sind wir mittlerweile in Afghanistan. Diese 15 Jahre, die für uns wie eine Ewigkeit wirken, sind für ein Land, das seit der sowjetischen Invasion 1979 in einem zermürbenden Zustand aus Krieg und Gewalt versinkt, nicht genug.
Klar ist: Afghanistan braucht noch mehr Zeit. Für uns heißt das: Wir brauchen einen langen Atem, die sogenannte strategische Geduld, um das Land weiter zu stabilisieren, erreichte Fortschritte zu sichern und zu verhindern, dass Afghanistan noch einmal zu einem sicheren Hafen für islamistischen Terror wird.
Dazu ist es entscheidend, der Situation im Land am Hindukusch mit genügend Pragmatismus zu begegnen. Wir dürfen bei der Analyse der Gefährdungslage keine Augenwischerei betreiben, sondern müssen gerade auch gegenüber den Soldatinnen und Soldaten klar und ehrlich die Realität beschreiben. Das Glas ist weder halb voll noch halb leer.
Was heißt das? Der Angriff auf das deutsche Konsulat in Masar stellt für uns natürlich ein dickes Ausrufezeichen dar. Eines wird damit deutlich: Die Taliban werden auch weiterhin versuchen, mit gezielten Anschlägen den Einsatzwillen der afghanischen Sicherheitskräfte und der internationalen Gemeinschaft zu brechen. Diese Strategie darf nicht aufgehen.
2015 war für die Taliban das erfolgreichste Jahr seit der westlichen Militärintervention 2001. Trotz interner Machtkämpfe stellen sie auch in diesem Jahr für mehr als die Hälfte der rund 34 Provinzen des Landes eine ernsthafte Bedrohung dar. Trotzdem: Über 68 Prozent der Bevölkerung stehen unter dem Schutz der Regierung. Keine Stadt ist in diesem Jahr an die Taliban gefallen. Die afghanischen Sicherheitskräfte haben mit den rund 320 000 Männern 90 Prozent ihrer Sollstärke erreicht. Ein Großteil ist weiterhin mangelhaft ausgebildet. Es fehlt an Führungsfähigkeiten. 2015 haben sie fast ein Drittel ihrer Stärke durch Tod, durch Verwundung, durch Desertion verloren. Ein solcher Verlust bewegt sich in einer Größenordnung, die eine Armee kaum verkraften kann.
Und doch: Der Ausbau der afghanischen Luftwaffe geht voran. Eine eigene Luftnahunterstützung kann häufiger selbstständig geleistet werden. Auch haben die afghanischen Spezialkräfte mittlerweile ein professionelles Niveau erreicht. Aber Vetternwirtschaft, ethnische Aufsplitterung in Fraktionen und Korruption sind im Militär und in der Polizei weiterhin verbreitet. Aber auch hier gibt es einige positive Zeichen: Präsident Ghani hat gemeinsam mit Abdullah Abdullah mehr als 70 ineffiziente Militäroffiziere entlassen. Diese Strukturreformen müssen weitergehen und dürfen nicht, wie in diesem Jahr, wieder nachlassen.
Sicher ist: Militärisch allein ist der Konflikt nicht lösbar. Es muss daher auch eines offen ausgesprochen werden: Unser Engagement ist noch lange notwendig. An die Taliban gerichtet, heißt das, sie können uns auch nicht aussitzen.
In den Kategorien von „Sieg“ oder „Niederlage“ sind langfristige Stabilisierungsmissionen nicht zu fassen. ... Die internationale Gemeinschaft aber darf „nicht siegen“ deshalb nicht als Scheitern interpretieren.
So lautet eine Bewertung des deutschen Engagements durch den Wehrbeauftragten, Hans-Peter Bartels, den ehemaligen General Klaus Wittmann und den Vorsitzenden des BundeswehrVerbandes, Oberstleutnant André Wüstner.
Wichtig ist den drei Analysten vor allem eins: Wir müssen aus Afghanistan lernen. Das heißt, wir müssen die ressortübergreifende Zusammenarbeit weiter verbessern, sprich: die interdisziplinäre Führungsstruktur in aktuellen und künftigen Einsätzen noch stärker harmonisieren. Gerade in asymmetrischen Konflikten müssen wir daran arbeiten, mit genügend regionaler Flexibilität auf Lageentwicklungen zu reagieren.
Entscheidend ist aber auch, dass die Einheitsregierung unter Präsident Ghani in Afghanistan in Zukunft noch stärker zu ihren Reformbemühungen steht. Frau Bundesministerin hat das ja bereits sehr richtig und sehr ausführlich ausgeführt. Die politischen Akteure müssen ihren Anteil übernehmen, um Regierungshandeln, Frauenrechte, Wirtschaftskraft in Afghanistan zu verbessern und damit die Unterstützung der Bevölkerung zu vergrößern. Willkür und Unrecht sind die gefährlichsten Brandbeschleuniger für radikales Gedankengut und erfolgreiche Rekrutierungshelfer der Taliban. Die Botschaft der Afghanistan-Konferenz in Brüssel Anfang Oktober dieses Jahres war daher sehr deutlich: Die internationale Unterstützung ist an klare Fortschritte bei der Umsetzung von Reformen geknüpft.
Heute konkurriert Afghanistan mehr denn je um Ressourcen und Aufmerksamkeit mit anderen Konfliktgebieten. Umso wichtiger ist es, dass sich die Afghanen nicht in die Zeit nach dem sowjetischen Abzug 1989 zurückversetzt fühlen, in der das Land in Vergessenheit geriet. Mit dem fortgesetzten Mandat zeigen wir sehr deutlich, dass wir Afghanistan in der schwierigen Übergangsphase nicht im Stich lassen.
„Geduld bedeutet, dass man immer weitblickend das Ziel im Auge behält“, so ein berühmter afghanischer Denker. Daran sollten wir uns halten und die entsprechende Geduld weiter aufbringen.
Herzlichen Dank.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7038767 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 206 |
Tagesordnungspunkt | Bundeswehreinsatz in Afghanistan |