01.12.2016 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 206 / Tagesordnungspunkt 14

Alexander RadwanCDU/CSU - Türkeipolitik

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Gleich fangen sie an, sich zu raufen.

(Heiterkeit bei der SPD – Zuruf von der SPD: Wir doch nicht! – Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben Sie Angst, mitzumachen?)

– Sie haben Angst, wenn ich mitmache.

(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Frau Präsidentin! Wir haben jetzt eine Debatte zum Thema Türkei mit der Überschrift „Ändern Sie die Zustände in der Türkei, und zwar sofort und unmittelbar“. So kommen mir Ihr Antrag und Ihre Argumentation vor. Ich finde es sehr bemerkenswert, wenn ich aus den verschiedenen Fraktionen die Wortbeiträge zum Thema Türkei erlebe. Ich kann mich noch gut an Zeiten erinnern, in denen wir von der CSU kritisiert wurden, weil wir mit Blick auf die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei immer gesagt haben: Vorsicht! Ist das der richtige Weg?

(Zuruf der Abg. Heike Hänsel [DIE LINKE])

– Genau. Wenn die Türkei heute unter diesen Umständen dabei wäre, dann wäre es sicherlich einfacher innerhalb der EU und mit der Türkei. Das ist ein interessanter Ansatz. Erst mit Enthusiasmus rein und jetzt mit Enthusiasmus verdammen: Das ist nicht die Politik, die uns bezogen auf die Türkei weiterhilft.

(Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Lesen Sie doch den Antrag!)

– Habe ich. Ich habe ihn sogar mehrfach gelesen. Ich habe Ihrer Argumentation aber nur schwer folgen können.

Ziel muss es sein, dass wir – hier haben wir Konsens – unsere Werte gegenüber der Türkei deutlich machen. Wir können in der Türkei keine Innenpolitik machen. Umgekehrt probiert es Erdogan in Deutschland; Erdogan versucht, hier Innenpolitik zu machen. Gleichzeitig wollen wir auch bei all dem, was wir dort erreichen wollen, keine weitere Destabilisierung. Wir müssen auch darüber nachdenken, in welche Richtung sich die Türkei weiterentwickelt. Darum lassen Sie mich drei Punkte aus Ihrem Antrag herausgreifen.

(Zuruf der Abg. Sevim Dağdelen [DIE LINKE])

Was das Thema Beitritt anbelangt, kann ich Ihnen klipp und klar sagen: Aus meiner Sicht war es schon lange notwendig, dass wir zum Realismus übergehen, dass wir ganz klar die Frage stellen – das betrifft ein Land wie die Türkei, aber auch andere Länder –: Ist eine Beitrittsperspektive wirklich real und ehrlich? Oder sind wir heute möglicherweise an einem Punkt angelangt, wo wir in unserem Land und in der Türkei noch über das Ja oder Nein diskutieren, obwohl jeder weiß, dass es eigentlich nicht erreichbar ist?

Darum lassen Sie uns endlich einmal gemeinsam debattieren und – in den europäischen Verträgen ist dies angelegt – über eine konstruktive Nachbarschaftspolitik reden. Das wäre möglicherweise ein Modell für die Türkei, das es zu entwickeln gilt und mit dem es dann eine Perspektive für das Land gibt. Jeder weiß im Zusammenhang mit der Frage „Beitritt – ja oder nein?“: Das, was wir hier debattieren, ist nicht mehr das Thema. Wir regen uns hier über Sachen auf, bei denen jeder weiß: Der Kas is bissn.

Das zweite Thema ist das Flüchtlingsabkommen. Das Flüchtlingsabkommen ist auch im ureigenen Interesse der Türkei. Dass die Türkei mit Unterstützung der Europäischen Union nicht durch weitere Flüchtlingsströme destabilisiert wird, ist in unserem Interesse.

(Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Das ist ­Merkels Interesse!)

– Nein, das ist im Interesse der Türkei, und das ist auch in unserem Interesse, vielleicht nicht in Ihrem Interesse. Es ist aber im Interesse der Regierung, die Destabilisierung der Türkei nicht weiter vorantreiben zu lassen.

(Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Seit wann sind Waffenlieferungen ein Beitrag für die Stabilität?)

– Jetzt bin ich gerade beim Flüchtlingsabkommen, Frau Dağdelen, dazu haben Sie auch etwas in Ihrem Antrag geschrieben.

(Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Ja!)

Hätten Sie weniger geschrieben, wäre ich auf den einen oder anderen Punkt schneller gekommen.

Es ist also im Interesse der Türkei. Gleichzeitig müssen wir aber auch in Deutschland ganz klar das Signal an Erdogan senden – hier müssen wir unsere Hausaufgaben in Europa machen –, dass schlicht und ergreifend die Außengrenzen der Europäischen Union zur Türkei durch Frontex geschützt werden. Das ist eine weitere zusätzliche Maßnahme, die wir hier ergreifen müssen.

Am meisten hat mich dann das Thema „Zoll und Wirtschaft“ gewundert. Die Gruppierungen, die Sie in der Türkei ansprechen, die noch ein Stück weit eine westliche Orientierung haben und die noch durch Handel eine Perspektive haben, wollen Sie sozusagen an die Kandare nehmen. Was passiert dann in dem Land, das wirtschaftlich so eng mit Europa verwoben ist? Wollen wir dann durch ein Kappen der Wirtschaftsbeziehungen, durch ein Absinken der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit in diesem Land weitere Instabilität, weitere Radikalisierung produzieren? Sollen die Ärmsten der Armen ein schlechtes Leben haben und dann noch dem jeweiligen Rattenfänger zum Opfer fallen? Nein, hier, im wirtschaftlichen Bereich, muss Europa, müssen wir als Europäische Union verantwortungsvoll weiter zusammenarbeiten.

Meine Vorrednerin Frau Dr. Schlegel hat den Satz zitiert: „Die Türkei ist größer als Erdogan.“ Das ist völlig richtig. Neben dem Umgang mit Erdogan gibt es andere Themen; wir müssen bereits heute eine Politik anlegen, die der Türkei eine Perspektive für die Zeit nach Erdogan bietet. Das ist heute unsere Aufgabe.

Deswegen lehnen wir Ihren Antrag ab; denn Ihr Antrag würde die Situation in der Türkei nur noch verschlimmern, anstatt sie zu verbessern.

Besten Dank und einen schönen Abend.


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7038826
Wahlperiode 18
Sitzung 206
Tagesordnungspunkt Türkeipolitik
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