Karl-Heinz BrunnerSPD - Änderung der Insolvenzordnung
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn Besuchergruppen nach Berlin kommen und ich erzähle, dass man erst gegen 22 oder 23 Uhr nach Hause kommt, dann glauben die das nicht ganz. Insofern hätte ich sie heute bei diesem edlen Tagesordnungspunkt zu dem Regierungsentwurf zur Insolvenzordnung gerne auf den Besucherrängen gehabt. Aber dies ist leider nicht gelungen.
(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir reden so lange, bis wieder welche da sind!)
– Liebe Frau Vorsitzende Künast, das machen wir heute nicht.
Bevor wir in die inhaltliche Debatte einsteigen, lassen Sie uns kurz auf den spannenden Begriff „Liquidationsnetting“ zurückkommen. Ich kann mir gut vorstellen, dass nicht jeder hier im Hohen Hause mit diesem Fachbegriff vertraut ist. Worum geht es eigentlich? Wie das Wirtschaftslexikon schreibt, werden unter „Netting“ im Finanzwesen alle Methoden zur Vermeidung von Zahlungs-, Fremdwährungs-, Kredit- oder Liquiditätskrisen zwischen zwei Vertragsparteien innerhalb eines vertraglich vereinbarten Verrechnungsverfahrens verstanden. Liquidationsnetting ist mit die wichtigste Form des Nettings im Bankwesen. Es handelt sich hierbei um die einheitliche Beendigung von Geschäften durch Kündigung und automatische Auflösung aus wichtigem Grund, einschließlich aus Gründen insolvenzbezogener Tatbestände. Dies hat zur Folge, dass die sich ergebenden Ansprüche durch einen Ausgleichsanspruch in Höhe des Nettomarktwerts des Geschäfts – also die Nettosumme, die sich aus beiden Ansprüchen ergibt – oder des sich daraus ergebenden unrealisierten Gewinns oder Verlusts festgestellt und so die festgestellten Beträge miteinander saldiert werden. Das Insolvenzrisiko wird auf diese Weise erheblich reduziert.
Nach der ersten Lesung hatten wir eine öffentliche Anhörung zu diesem Thema. Dabei wurde aus meiner Sicht festgestellt, dass das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz hervorragende Arbeit geleistet hat, auch wenn der eine oder andere Sachverständige wohl die existenzielle Notwendigkeit dieser Maßnahme noch nicht erkannt hatte. Der Rechtsausschuss sah daher in seiner Sondersitzung in dieser Woche trotz der geäußerten Bedenken keine Notwendigkeit, den Gesetzestext zu ändern; er ist schlicht gut. Bei der abschließenden Beratung im Ausschuss haben wir beschlossen, dass alle nötig gewordenen Klarstellungen und Präzisierungen der gesetzlichen Grundlagen für die Abwicklung von Finanzmarktkontrakten in der Insolvenz vorgenommen werden.
Die Dringlichkeit des Gesetzes besteht, da die Allgemeinverfügung der BaFin lediglich bis zum 31. Dezember 2016 gilt. Ohne die Entscheidung des Hohen Hauses über den heutigen Gesetzentwurf droht die Gefahr, die internationale Wettbewerbsfähigkeit deutscher Kreditinstitute und Marktteilnehmer und damit die Stabilität unseres deutschen Finanzsystems nicht mehr dauerhaft schützen zu können.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Daher bedarf es gesetzlicher Regelungen, dieser Klarstellung der Insolvenzfestigkeit von Liquidationsnettingklauseln. Ich betone ausdrücklich: Mit dem Gesetz wird nur der ursprünglich gewollte Rechtszustand wiederhergestellt, nichts Neues, kein Dammbruch, wie es einer der Sachverständigen meinte, kein Mehr in § 104 der Insolvenzordnung, nur Klarstellung.
(Alexander Hoffmann [CDU/CSU]: Genau das ist der Punkt!)
Es ist absolut richtig, dass sich der Gesetzgeber zügig dieser Frage angenommen hat, da anderenfalls große Schwierigkeiten im Finanzierungs- und Rücklagensystem aller deutschen Banken hätten auftreten können. Dies wird – auch mit Blick auf eine mögliche Belastung des Steuerzahlers – durch das Gesetz vermieden. Dies zum Netting.
Nun zu dem dem Gesetzentwurf angefügten Omnibus. Man soll auch über das sprechen, was noch drinsteht,
(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was Sie wieder nicht gemerkt haben!)
Artikel 4 EGZPO, der Einfachheit halber Einführungsgesetz zur Zivilprozessordnung, hinsichtlich der Wertgrenzen zur Nichtzulassungsbeschwerde zum Bundesgerichtshof. Der Änderungsantrag ist zum jetzigen Zeitpunkt sinnvoll, die Verlängerung der Geltungsdauer maßvoll. Ob allerdings die Regelung einer Mindestbeschwer in Höhe von 20 000 Euro grundsätzlich die richtige Höhe darstellt, stelle ich persönlich infrage. Gleichwohl teile ich die Einschätzung, dass dieser Komplex insgesamt und grundsätzlich gelöst werden muss, und das endgültig und nicht allein durch Korrekturen an der Wertgrenze.
Lassen Sie mich dazu ein Beispiel nennen. Warum soll einem Waldbesitzer, dessen Wäldchen zum Zeitpunkt der Klageerhebung 19 000 Euro wert ist, der Rechtsweg versperrt sein, während demjenigen, dessen Aktienpaket im Wert von ursprünglich mehr als 20 000 Euro zum Zeitpunkt des Urteils nur noch 50 Cent wert ist, ein anderes Rechtsschutzinteresse zugebilligt wird?
(Beifall bei der SPD)
An dieser Stelle möchte ich noch einmal betonen, dass die Geltungsdauer der Wertgrenze für den Weg zum Bundesgerichtshof ein letztes Mal verlängert wird.
(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Du hast doch drei Jahre Zeit gehabt, es zu ändern! Ihr begründet auch alles!)
Denn ich will keine Kapitalisierung der Rechtsmittel, sondern Recht für alle. Daher darf der Zugang zum Recht nicht allein an der materiellen Höhe der Auseinandersetzung scheitern. Wertgrenzen dürfen schon gar nicht dazu dienen, Personalengpässe bei den Obergerichten auszugleichen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Wie gesagt, mit diesem Gesetz machen wir einen richtigen Schritt in Sachen Rechtssicherheit für alle, jedoch nicht den letzten; denn im Insolvenzrecht ist mit diesem Gesetzentwurf noch lange nicht alles abgeschlossen. Konzerninsolvenzrecht, Sicherung von ausbezahlten Arbeitslöhnen, eine Reform der Anfechtungsfristen sowie die Beteiligung von Gewerkschaftsvertretern bei der Sanierung von Unternehmen stehen noch auf der Agenda. Da haben wir noch einiges zu vereinbaren.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)
Wir jedenfalls, die Sozialdemokraten, haben dazu klare Vorstellungen. Wir können diese auch kurzfristig umsetzen, sodass es heißen kann: Wo Sozialdemokratie draufsteht, steckt auch Sozialdemokratie drin.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit und Ihnen allen einen schönen Abend.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber was ist Sozialdemokratie?)
Vielen Dank, Karl-Heinz Brunner. – Nächster Redner: Richard Pitterle für die Linke.
(Beifall bei der LINKEN)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7039038 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 206 |
Tagesordnungspunkt | Änderung der Insolvenzordnung |