01.12.2016 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 206 / Tagesordnungspunkt 23

Katja KeulDIE GRÜNEN - Änderung der Insolvenzordnung

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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will gleich einmal ein paar Dinge klarstellen:

Zuerst zur Schuldfrage. Die Sondersitzung haben nicht wir beantragt, sondern Sie, weil Sie die Fristen nicht eingehalten haben und wir auf die Fristeinhaltung nicht verzichtet haben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Volker Ullrich [CDU/CSU]: Sie hätten doch verzichten können!)

Zweiter Punkt. Sie ändern hier ein Gesetz, das irgendwann einmal unter Rot-Grün, wie Sie sagen, auf den Weg gebracht worden ist – und nicht umgekehrt.

(Dr. Volker Ullrich [CDU/CSU]: Wir ändern es, um Ihre Fehler zu korrigieren!)

Außerdem haben Sie aus einem Gesetzgebungsverfahren von 2004 zitiert. Es war vor der Finanzkrise, also bevor wir alle wussten, welche Auswirkungen es hat, dass die Banken alle unterkapitalisiert sind.

Dieses Gesetzgebungsverfahren ist in der Tat ein Musterbeispiel dafür, wie sich die Interessen der Finanzindustrie hier ihren Weg bahnen. Im Juni dieses Jahres entschied der Bundesgerichtshof, dass die Praktiken der Finanzakteure, also der Banken, die mit Derivaten handeln, gegen § 104 Insolvenzordnung verstoßen. Warum? Weil sie die Forderungen aus diesen Risikogeschäften im Insolvenzfall so miteinander verrechnen, dass praktisch keine Insolvenzforderung mehr übrig bleibt. Wir haben ja gerade gehört: Es geht nicht um 3,50 Euro, sondern durchaus um Milliarden.

Nach diesem BGH-Urteil legt die Bundesregierung sofort, also quasi über Nacht, einen Entwurf zur Änderung der Rechtslage vor, damit die Banken weitermachen können wie bisher, und erweitert die Norm sogar noch darüber hinaus.

(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hört! Hört!)

Nicht einmal eine einzige Sekunde haben die Akteure die Alternative in Betracht gezogen, sich schlicht an das geltende Recht zu halten, als ob die systemische Finanzkrise, in der wir uns seit zehn Jahren befinden, nicht deutlich genug gemacht hätte, dass die Sorglosigkeit dieses Geschäftsbereichs die Ursache des ganzen Elends ist.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

In der Gesetzesbegründung steht ganz schamlos, dass es genau darum geht: den Großbanken zu ersparen, ihre Eigenkapitalquote zu erhöhen – was sie tun müssten, wenn das Insolvenzrisiko realistisch abgebildet würde. Es ist aber gerade notwendig, dass die Eigenkapitalquoten erhöht werden, um zu verhindern, dass wieder nur die Gewinne bei den Akteuren bleiben, die Verluste aber im Ernstfall die Allgemeinheit tragen muss.

Das deutsche Insolvenzrecht ist auf Gleichbehandlung aller Gläubiger ausgerichtet – und das ist auch gut so. Hier wollen einige wieder einmal gleicher sein als andere, und die Bundesregierung steht gehorsam bereit. Das ist wirklich befremdlich, wenn man einmal auf der anderen Seite betrachtet, wie lange der deutsche Mittelstand auf die moderate Reform des Anfechtungsrechtes wartet, das seit zwei Jahren auf Eis liegt. Für die Finanzindustrie geht es plötzlich innerhalb von drei Monaten.

Angeblich sollte aus beiden Gesetzen jetzt ein Paket geschnürt werden. Aber warum steht nun doch wieder nur das Interesse der Finanzer auf der Tagesordnung und nicht das des Mittelstandes? Warum sollte die zweite Lesung schon wieder zur nächtlichen Stunde zu Protokoll gegeben werden, obwohl das schon in der ersten Lesung so gelaufen ist?

(Dr. Heribert Hirte [CDU/CSU]: Von mir aus war das nicht nötig! Wir haben noch eine Stunde Zeit!)

Darauf haben wir uns diesmal nicht eingelassen.

Ich kann nur hoffen, dass sich die mediale Öffentlichkeit hier nicht an der Nase herumführen lässt. Sie argumentieren damit, dass es ja nicht anders geht, weil diese Regelung doch international überall so gehandhabt wird und daher der Standort Deutschland leiden oder man ins englische Recht ausweichen würde. In der Tat, die Finanzlobby hat ihre Sonderinteressen natürlich nicht nur hier, sondern weltweit durchsetzen können, und weil sie dadurch jetzt in den anderen Ländern dieselben Privilegien hat, sollen wir damit erpresst werden, dass es eben nicht anders geht. Das ist das alte Totschlagargument: Wenn wir es nicht tun, dann tun es die anderen. – Damit werden wir die systemische Krise niemals in den Griff kriegen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

Ganz im Gegenteil: Die Auswirkungen dieser Machenschaften bringen gerade unsere Welt ins Wanken. Europa fällt auseinander, und ehemals stabile Demokratien stehen im Feuer der Populisten. Als demokratische Volksvertreter dürfen wir uns nicht länger erpressen lassen.

Und was ist eigentlich aus der Finanztransaktionsteuer geworden? Wenn die Staaten einmal den Auswüchsen der Finanzindustrie regulierend Einhalt gebieten wollen, dann ist es so mühsam, Mitstreiter zu überzeugen. Wenn aber die Finanzindustrie in einem Land nach dem anderen Privilegien zum Standard machen will, geht das immer ganz schnell. Wir Grüne machen das an genau dieser Stelle nicht mehr mit. Wir lehnen diesen Gesetzentwurf ab.

Vielen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

Vielen Dank, Katja Keul. – Der letzte Redner in der Debatte: Alexander Hoffman für die CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7039045
Wahlperiode 18
Sitzung 206
Tagesordnungspunkt Änderung der Insolvenzordnung
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