Norbert Lammert - Verkehrswegepolitik
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zunächst darf ich mich aus Sicht eines Landes und als derzeitiger Vorsitzender der Verkehrsministerkonferenz auch ein Stück weit für diese herzlich dafür bedanken, hier einen Blick auf den neuen Bundesverkehrswegeplan werfen zu dürfen. Ich nehme meinen wichtigsten Eindruck vorweg, auch wenn er nicht allen gefallen mag. Die Länder freuen sich, dass ein längerer Diskussionsprozess jetzt auf der Zielgeraden ist und sie damit Planungssicherheit für die kommenden 15 Jahre bekommen. Wir Länder können – entgegen der Aussage in dem letzten Vortrag hier – nicht auf ihn verzichten.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Wir haben uns in der Verkehrsministerkonferenz der vergangenen sieben Jahre mehrfach mit den Planungen und dem Prozess befasst. Das Urteil war über alle Ländergrenzen und über alle Parteifarben hinweg weitgehend identisch: Die Länder können dem eingeschlagenen Weg gut folgen. Unbenommen des einen oder anderen Einzelwunsches werden die Inhalte ausdrücklich geteilt.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Dies gilt umso mehr, als sich darin in wesentlichen Punkten die Ergebnisse vor allem der ersten Bodewig-Kommission wiederfinden. Das Ziel „Erhalt vor Neubau“ gehört ausdrücklich in den Zielkanon der Bodewig-Kommission I.
Erlauben Sie mir einen spezifisch ostdeutschen Blick darauf. Angesichts der erheblichen Investitionen in den vergangenen 25 Jahren in Ostdeutschland gibt es bei uns ein ganz dringendes Anliegen, nämlich Fehler im Osten nicht zu wiederholen und die Infrastruktur rechtzeitig und regelmäßig in ausreichendem Maße fit zu halten. Deshalb gilt bei uns im Osten umso mehr der Schwerpunkt „Erhalt vor Neubau“.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Auch die restriktive Haltung des Bundes, keine Wünsch-dir-was-Enzyklopädie zu erstellen, sondern den Plan realistischer zu gestalten, als das in der Vergangenheit zuweilen der Fall gewesen sein mag, wird auf Länderseite ausdrücklich geteilt, auch wenn das bei jedem Einzelnen von uns in den Ländern hier oder da nicht unerheblichen Schmerz ausgelöst hat.
(Gustav Herzog [SPD]: Das ist ehrlich!)
Die Diskussion kenne ich bei mir daheim in Mecklenburg-Vorpommern sehr gut. In den Regionen mit den in unserem landesinternen Vorauswahlprozess nicht weiterverfolgten Projekten – das waren bei uns ein Drittel, die wir beim Bundesverkehrsministerium gar nicht für den Bundesverkehrswegeplan angemeldet haben –
(Gustav Herzog [SPD]: Ich darf anmerken: Im Unterschied zu Bayern!)
werden Sie als Minister nicht mit Rosen empfangen, und wenn Ihnen Rosen zugeworfen werden, hängt der Topf leider meist noch dran.
Ich habe übrigens spannende Debatten erlebt, als wir den Entwurf des Bundesverkehrswegeplans vorgelegt haben. Tenor der Diskussion in unserem Land hier und da war: Kriegen wir eigentlich prozentual, verglichen mit anderen Regionen in Deutschland, genug ab oder doch vielleicht zu wenig? Ich habe in diesen Debatten immer dafür geworben, dass das nicht ernsthaft unser Weg sein kann. Infrastrukturprojekte sind volkswirtschaftlich auszuwählen. Proporz und Himmelsrichtung sind eben keine volkswirtschaftlich sinnvollen Kategorien, meine Damen und Herren.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Ich will aber auch sagen: Ich bin dabei ausdrücklich dafür dankbar, dass Sie trotz dieser richtigen und eben genannten wichtigen Prämissen die Belange vor Ort nicht aus dem Blick verloren haben. Natürlich gibt es Ortsumgehungen, die weiterhin benötigt werden. Das gilt – erlauben Sie mir bitte, auch hier einen spezifisch ostdeutschen Blick in die Debatte einzubringen – insbesondere in den fünf ostdeutschen Bundesländern. Wenn solche Projekte mehrere Jahrzehnte nicht denkbar waren, wenn sie seit 1990 zum Teil durchgängig vor Ort in Verkehrswegeplänen versprochen werden und wenn an dieser Stelle die westdeutschen Nachbarländer – ich bin geborener Hamburger – vier Jahrzehnte Vorsprung haben und dort deshalb viele Gemeinden schon in den vergangenen Jahrzehnten Durchgangsverkehrsbefreiungen erhielten, dann brauchen wir für hochbelastete Ortslagen auch in den kommenden 15 Jahren weiterhin die Möglichkeit, dringend benötigte Entlastung vor Ort zu schaffen, meine Damen und Herren.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Arnold Vaatz (CDU/CSU): Sehr gut!)
Wenn ich vor allen Dingen zu diesem Punkt Vorschlagslisten für beinahe orgiengleiche Streichkonzerte gerade im Osten sehe, wäre ich dankbar, wenn Sie bei Ihren Entscheidungen heute gerade diese besondere Situation des Ostens im Blick behalten. Ich darf nur das mir sehr gut vertraute Beispiel der Ortsumgehung Wolgast aufrufen.
(Beifall der Abg. Kerstin Kassner [DIE LINKE])
Dort quälen sich in der gesamten Sommersaison nahezu alle Usedom-Urlauber, wenn sie nicht mit der Bahn anreisen, durch die historische Altstadt zu mehr als 5 Millionen Übernachtungen. Wenn Sie dort die Umgehung für wirkungslos erklären wollen, können Sie das den Menschen vor Ort, aber, wie ich glaube, auch den vielen Gästen, die dort im Sommer stau- und ampelentschleunigt stehen, auf keinen Fall erklären.
(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD)
Sie werden den Menschen das nicht vermitteln können. Die Ideengeber für diese Streichung sollten im Übrigen unbedingt den Eindruck vermeiden, dass sie im Ergebnis bereit sind, dem wirtschaftlichen Aufholprozess im Osten leichtfertig schweren Schaden zuzufügen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Die A 14 als neuer Nord-Süd-Korridor, der Häfen und Magdeburg verbinden wird, ist ebenfalls ein Beispiel für solche Projekte. Das Gleiche gilt für den B-96-Ausbau. Ich werbe deutlich dafür, ihn nicht auf Streichlisten zu setzen. Wenn Sie sich – um vorherige Beiträge aufzugreifen – Karten mit dem deutschen Verkehrsnetz anschauen, werden Sie an diesen Stellen richtiggehende Löcher im Verkehrsnetz entdecken – keine Betonlöcher, sondern Mobilitätslöcher, meine sehr geehrten Damen und Herren.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Diese zu schließen, das ist die originäre Aufgabe eines Bundesverkehrswegeplans. Die viel beschworene Netzfunktion, die ja zitiert wurde, wird gerade hier exemplarisch erfüllt. Dafür mein herzlicher Dank!
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Gerade diesem rationalisierten Verfahren haben sich die Länder über alle Länder- und Parteigrenzen hinweg in den vergangenen Monaten und Jahren sehr bewusst angeschlossen. Ganz ohne Wermutstropfen sind die Länder dabei allerdings nicht. Sorgen bereitet uns weiterhin – zum Teil auch gemeinsam mit Ihnen – die Bedarfsplanung für die Schiene. Die Vorarbeiten haben leider an vielen Stellen eine mit Straßen und Wasserwegen vergleichbare Bewertung nicht zugelassen. Der jetzt beschrittene Weg einer Art Auffangkategorie ist daher – wohlgemerkt: aus der Not geboren – ein besserer Weg, als viele der darin vorgesehenen Projekte gar nicht in den Plan aufzunehmen. Jetzt wird es darum gehen, sie möglichst schnell zu qualifizieren und in die nächste Liga aufsteigen zu lassen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Länder haben im Oktober dieses Jahres auf der Verkehrsministerkonferenz in Stuttgart noch einmal um eine Prüfung gebeten, wie wir im Nahverkehr Schienenwege finanzieren wollen, wenn dieser Bereich aus Ihrer Sicht nicht in den Bundesverkehrswegeplan hineingehört, weil er den Schienennahverkehr betrifft. Ich selbst kenne zwei Beispiele: die Karniner Brücke und den Schienenverkehr auf dem Darß. Beides sind Dinge, die wir für die Menschen in irgendeiner Weise wirtschaftlich abwägen müssen.
(Martin Burkert [SPD]: Stimmt!)
Dass See- und Schifffahrtswege für die Exportnation Deutschland und den hiesigen Wirtschaftsstandort zentral sind, bildet der Bundesverkehrswegeplan dankenswerterweise ebenso ab. Denn der Wirtschaftsstandort Deutschland lebt im Im- und Export von diesen Häfen und dem dort stattfindenden Umschlag, der ein Stück weit die Lebensader der deutschen Wirtschaft darstellt. Auch diese Schwerpunktsetzung ist daher im Länderkreis ausdrücklich begrüßt worden. Wenn dabei jetzt im Hinblick auf einige Projekte Sorgen und Bedenken geäußert werden, bitte ich, folgenden Vergleich zu ziehen: Ist – um unser Beispiel aus Mecklenburg-Vorpommern zu nehmen – eine vertiefte Zufahrt zum Wismarer oder Rostocker Hafen ökologisch wertloser oder aber der Transport all dieser Güter auf Tausenden von Lkws um die halbe Ostsee herum?
(Sören Bartol [SPD]: So ist es!)
Das ist nämlich die Alternative, über die wir reden.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Meine sehr geehrten Damen und Herren, dieser Bundesverkehrswegeplan ist gelebte Wirtschaftspolitik, für viele staugeplagte Gemeinden ist er gelebter Gesundheitsschutz, und er bietet in der Perspektive eine vollkommen neue Lebensqualität. Er wird uns entscheidende Schritte voranbringen. Dafür herzlichen Dank all denen, die an dem Prozess mitgewirkt haben.
Ihnen herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Viel Erfolg!
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Matthias Gastel ist der nächste Redner für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
(Sören Bartol [SPD]: Und immer an die Stellungnahme von Winne Hermann denken!)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7039100 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 207 |
Tagesordnungspunkt | Verkehrswegepolitik |