02.12.2016 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 207 / Tagesordnungspunkt 8

Marcus WeinbergCDU/CSU - Familienpolitik

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Danke schön. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Brantner, es ist jetzt schon beginnender Wahlkampf. Die Verkehrspolitiker haben vorhin schon die ersten Vergleiche mit Weihnachten gezogen. Das wäre auch hier passend. Ich sage einmal: Im Dezember 2016 die ersten Anträge mit Blick auf den Wahlkampf zu stellen, ist so wie mit den Lebkuchen im Juni. Sie sehen an meiner Figur: Ich mag Lebkuchen im Juni. Bei Ihrem Antrag bin ich allerdings nicht so euphorisch. Was das Verpacken angeht, wissen wir, dass auch eine schöne Verpackung einen schlechten Inhalt haben kann. Wir werden uns dennoch jetzt mit dem Thema befassen, weil wir bei gewissen Positionen und Zielsetzungen etwas Ähnliches definieren.

Natürlich ist das Thema „Kinderarmut in Deutschland“ ein Thema, das uns alle bedrückt, fraktionsübergreifend. Deswegen arbeiten wir gemeinsam daran, die Situation aller Kinder zu verbessern. Familienpolitik muss sich nachhaltig alle Bereiche anschauen. Solange nur ein Kind in Deutschland missbraucht, misshandelt oder vernachlässigt wird, so lange haben wir einen klaren Arbeitsauftrag. Solange Kinder in Armut leben, haben wir als Familienpolitiker einen Arbeitsauftrag hier im Plenum. Das soll ein Ziel sein, gegen die Kinderarmut gemeinsam zu kämpfen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Aber die Wege sind durchaus unterschiedlich. Das sieht man auch bei dem Antrag. Bekämpfung von Armut: Was ist das Hauptziel bei der Bekämpfung von Armut? Das Hauptziel muss doch sein, dass Eltern in die Lage versetzt werden, ihr Leben eigenständig zu organisieren. Das heißt, wir müssen Arbeitsplätze schaffen, und dazu brauchen wir eine starke Wirtschaft. Das stärkt die Familien in diesem Land und damit auch die Kinder und sorgt dafür, dass die Eltern ihre Kinder nicht nur materiell versorgen können, sondern auch psychologisch.

Sie haben das Beispiel mit dem Ranzen angesprochen. Ja, es ist für ein Kind wichtig, dass es auch einmal einen neuen Ranzen bekommt. Aber viel wichtiger ist für das Kind, dass die Eltern in der Lage sind, diesen Ranzen zu kaufen. Deswegen müssen wir gesamtwirtschaftlich schauen, dass wir mit einer guten Wirtschafts- und Finanzpolitik die Voraussetzungen schaffen, um die Eltern zu stärken.

(Beifall bei der CDU/CSU – Abg. Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] meldet sich zu einer Zwischenfrage)

– Darauf habe ich förmlich gewartet.

Na ja, das lässt mich natürlich eher zögern.

(Heiterkeit)

Aber wollen wir einmal nicht so sein. Bitte schön.

Herr Kollege Weinberg, vielen Dank, dass Sie die Frage zulassen. – Sie haben gesagt: Wir müssen in erster Linie dafür sorgen, dass die Eltern ein existenzsicherndes Einkommen haben. Können Sie zur Kenntnis nehmen, dass bei einem großen Teil der armen Kinder die Eltern durchaus ein ausreichendes Einkommen haben und diese Kinder trotzdem Hartz-IV-Leistungen beziehen und in Armut leben? Dies ist doch das eigentliche Problem, das wir angehen müssen. Wir müssen dafür sorgen, dass diese Kinder, deren Eltern eigentlich genug Einkommen haben, nicht in die Grundsicherung rutschen. Das müssen wir doch im Auge behalten. Dafür ist unser Vorschlag die richtige Antwort.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das ist das Thema Kindergrundsicherung. Ich komme gleich zu Ihrer Frage. – Nehmen Sie bitte zunächst einmal zur Kenntnis, dass wir vor ungefähr zehn, elf Jahren eine Situation in Deutschland hatten, in der fast 6 Millionen Menschen arbeitslos waren. Ich habe gestern von dem wahrscheinlichen Kanzlerkandidaten der SPD – vielleicht wird er es, man weiß es nicht – gehört, dass er gesagt hat, es sei das wichtigste Ziel gewesen, dass wir diese Menschen in den letzten Jahren wieder in Arbeit gebracht haben. Mit einer Arbeitslosenzahl von 2,5 Millionen ist das deutlich besser geworden.

Damit komme ich zur Kindergrundsicherung, die ja in Ihrem Antrag gefordert wird. Das wirft die Frage auf: Ist sie sinnvoll, zielführend und sogar effizient? Ist sie oberflächlich und etwas, was das Problem nur kaschiert, oder ist sie tiefgehender, also etwas, was wir politisch unterstützen sollten?

Wir sagen ganz klar: Es muss doch einen Grundsatz in diesem Land geben. Die Lebenslage eines Kindes ist untrennbar mit der Einkommenssituation der Eltern verbunden. Wir sollten nicht die Situation von Eltern auf der einen Seite und die von Kindern auf der anderen Seite voneinander trennen. Deswegen glaube ich: Wenn wir darauf achten, dass die finanzielle Situation der ganzen Familie stabil ist, ist das zum Wohlsein des Kindes.

Eine solche Leistung nur für das Kind, wenn es den Eltern gleichzeitig finanziell schlecht geht, ist schlicht der falsche Weg. Noch einmal: Viele Kinder warten auf einen neuen Ranzen, aber es ist wichtig, dass die Eltern ihn auch bezahlen. Die Idee, durch die Einführung einer Kindergrundsicherung die Entwicklungschancen von Kindern vom sozialen Status ihrer Eltern abzukoppeln, ist eher trügerisch. Das werden wir nicht unterstützen.

Ein weiterer Punkt – hier stimmen wir Ihnen zu – ist die Kernforderung, die Wirtschaft zu stärken; denn das ist die Voraussetzung für die Stärkung von Kindern. Es geht um den Zugang zu Bildung, zu Ausbildung sowie um den Zugang zu soziokultureller Teilhabe. Bestehende Kinderarmut verschärft sich langfristig dadurch – auch das wissen wir –, dass Kinder zunehmend in bildungsschwachen Haushalten aufwachsen. Zur Bekämpfung von Kinderarmut reicht es deshalb nicht aus, den Familien nur mehr Geld in die Hand zu geben; vielmehr müssen wir Bildungschancen eröffnen.

Lassen Sie mich einen Blick auf die Arbeit der Großen Koalition in den letzten Jahren werfen. Was haben wir denn gemacht?

(Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Kinderarmut erhöht!)

Der Etat des Bildungsministeriums beträgt inzwischen über 17,5 Milliarden Euro. Die Bereiche Familie und Bildung sind finanziell gestärkt worden, der Etat ist aufgestockt worden. Das ist ein Ergebnis der Arbeit der Großen Koalition.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Es gibt die Programme „Frühe Bildung: gleiche Chancen“ und „Haus der kleinen Forscher“. Wir als Bund haben deutlich gesagt: Wir wollen, um die Bildungschancen von Kindern gezielt zu erhöhen, diese Programme weiter ausbauen. Wir als Bund haben Verantwortung übernommen, und wir sehen mit Blick auf den PISA-Schock von 2001, dass die Ergebnisse langsam besser geworden sind. Daran haben auch die Länder und Kommunen gearbeitet, auch wenn sie noch etwas mehr tun könnten. Wir müssen in diesem Zusammenhang den Lehrern, den Erziehern und all jenen, die im Bildungsbereich aktiv sind, danken.

(Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Trotzdem hat sich die Kinderarmut erhöht!)

Insgesamt ist festzustellen: Die Situation in Deutschland ist besser geworden, weil wir die Probleme vor vielen Jahren erkannt haben.

Zum Thema Unterhaltsvorschuss und zur Frage, wann die Ausweitung kommt. Dazu drei ganz klare Botschaften von der Union:

Erstens. Die Ausweitung, so wie im Koalitionsausschuss und auf der Ministerpräsidentenkonferenz beschlossen – Frau Brantner, ich komme gleich darauf zurück –, wird kommen.

Zweitens. Beim Unterhaltsvorschuss handelt es sich um die zielgerichtetste Maßnahme im Bereich der Familienpolitik. Wir alle sind optimistisch, dass die Ministerin Schwesig es schaffen wird, konkrete Finanzierungsvereinbarungen mit den Ländern zu treffen.

Drittens. Ich bin weiterhin optimistisch, dass all diejenigen, die in den Ländern Verantwortung tragen, die jeweiligen Ministerpräsidenten daran erinnern, dass sie eine Zusage gegeben haben. Frau Brantner, Sie regieren in zehn Ländern mit; Sie stellen sogar einen Ministerpräsidenten. Deswegen stelle ich Ihnen die Frage: Was haben Sie innerhalb Ihrer grünen Fraktion dafür getan, um dafür zu sorgen, dass sich Ihre Regierungsmitglieder in den Ländern – von Hamburg bis in den Süden hinein – bereit erklären, die Ausweitung des Unterhaltsvorschusses zu unterstützen?

(Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir arbeiten dran!)

Ich finde es etwas schwierig, wenn man sich hier hinstellt und sagt: „Das muss aber kommen“, und der Bundesregierung den Schwarzen Peter zuschiebt, aber selbst Verantwortung in den Ländern trägt. Da sollten Sie etwas mehr tun.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir haben immer gesagt – und das ist das Letzte, was ich zu diesem Thema sagen möchte –: Die Voraussetzung ist, dass die Finanzierung stimmt, und auch die Umsetzung in den Kommunen muss stimmen. Frau Hajduk, wir wissen beide aus Hamburg, wie viele Stellen das bedeuten wird. Das muss geregelt werden; denn nichts ist schlimmer, als wenn Politik etwas verspricht, aber dieses Versprechen später nicht halten kann.

Richtig ist, dass wir uns überlegen müssen – und auch da haben Sie uns an Ihrer Seite –, wie wir längerfristig mit der Schnittstellenproblematik umgehen, um ineffiziente Leistungen abzustellen. Wir müssen jeden Euro investieren, je früher desto besser. Wir müssen investieren, statt später nur zu reparieren, gerade bei Kindern. Wir müssen überlegen: Wie können Eltern gestärkt werden? Was ist, wenn sie ein zusätzliches Einkommen haben? Nimmt man ihnen das auf der anderen Seite gleich wieder weg? Jeder Mensch, der ein höheres Einkommen bezieht, muss dafür sorgen, dass das Geld auch bei den Kindern ankommt. Deshalb wird man sich genau anschauen müssen: Wo gibt es noch Schnittstellenproblematiken, die wir im Sinne der Familien noch auflösen müssen, um die Freiheit der Familien zu stärken?

Das Gleiche betrifft die ineffizienten Leistungen. Wir wollen Familien mit Kindern stärken, und wir wollen Kinder in Familien stärken. Da haben Sie uns an Ihrer Seite. Darüber wird man die Debatte führen müssen, insbesondere mit Blick auf die nächsten fünf bis zehn Jahre. Wie muss ich in den verschiedenen Systemen umsteuern, damit ich ganz gezielt Kinder und Familien mit Kindern stärke? In diesem Zusammenhang muss man über steuerliche Leistungen debattieren. Man muss darüber nachdenken: Wie können wir Veränderungen bei der Einkommensteuer herbeiführen, sodass Kinder in Familien gestärkt werden? Das machen wir. Wir befinden uns in einem intensiven Diskurs, auch mit Blick auf den Wahlkampf, selbstverständlich.

Sie fordern allerdings, dass das Ehegattensplitting abgeschafft wird. Dazu sagen wir ganz deutlich: Das ist mit der Union nicht zu machen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Was wir überlegen, ist Folgendes: Wie können wir das Ehegattensplitting von heute weiterentwickeln zu einem Familienentlastungssplitting oder zu einem Familien­splitting? Kernaufgabe muss es sein, Familien mit Kindern zu stärken. Ich glaube, das wird in den nächsten Jahren eines der Hauptthemen sein, und zwar mit Blick auf die Einkommensteuer, mit Blick auf die Freibeträge und auch mit Blick auf die Sozialversicherungsbeiträge. Ich denke zum Beispiel an die Pflegeversicherung, bei der schon jetzt diejenigen, die keine Kinder haben, 0,25 Prozent mehr zahlen. Man wird schauen müssen, wie man das Ziel „Stärkung von Familien mit Kindern“ erreichen kann.

Man wird über viele Dinge diskutieren müssen – ich will das nur kurz anreißen –, wenn es um die Frage geht, wie wir Familien stärken können, wie wir sie vor Armut schützen können. Armut drückt sich auch in den Lebensverhältnissen von Kindern aus, in den Wohnungen. Wir wissen, welch hohe Mieten man gerade in urbanen Gebieten zahlen muss. Wir müssen überlegen, wie wir Familien in eine Situation versetzen können, dass sie Eigentum, dass sie eine selbstgenutzte Immobilie erwerben können. Eine heute 30-jährige Frau mit einem 32-jährigen Mann kann momentan kaum eine Immobilie erwerben. Wenn die Familien in der Lage wären, Eigentum zu erwerben, wäre das gut für die Familien, übrigens auch für die Alterssicherung; denn die selbstgenutzte Immobilie, die nach 30 Jahren abbezahlt ist, kann eine Säule der Alterssicherung sein. Ich glaube, hier haben wir noch viel Potenzial, das wir in den nächsten Jahren heben sollten. CDU/CSU und SPD diskutieren ja gerade sehr intensiv über ein Baukindergeld und Ähnliches. Da wird man noch einiges machen.

Ein weiteres Thema wird sein, wie Familien ihre Zeit, diese neue goldene Ressource, besser einteilen können. Wir werden in Zukunft sehr viel über Geld reden, über materielle Werte. Ich verweise immer darauf, dass es auch ideelle Werte gibt, über die wir mit unseren Kindern sprechen müssen und die sich nicht an gewissen Zahlen festmachen lassen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Dabei geht es um die Einstellung zur Gesellschaft, zur Demokratie, auch zu Themen wie Gleichberechtigung. Vielleicht sollten wir auch im Deutschen Bundestag einmal einen Diskurs darüber führen, was unsere gemeinsamen Werte sind und wie wir sie stärken können, statt, so wichtig das auch sein mag, in erster Linie über das Geld zu sprechen.

(Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann schreiben Sie doch mal einen Antrag!)

Dann werden wir gemeinsam feststellen, dass wir die Freiheiten der Familien stärken wollen. Die Freiheiten zu stärken, heißt, Zeit zu bekommen, Zeit für Familie, aber auch Zeit für Erwerbstätigkeit.

Fazit: Denken Sie bitte daran, dass bekanntermaßen alles mit allem zusammenhängt. Es wird darauf ankommen, dass wir in diesem Land unsere wirtschaftliche Stärke ausbauen; denn das ist die Voraussetzung für familienpolitische Leistungen. Wir brauchen wirtschaftliche Stärke; denn sie schafft finanziellen Spielraum.

Herr Kollege.

Herr Präsident, ich komme gern zum Schluss.

Nein, nicht gerne, aber unvermeidlicherweise, nicht wahr?

Finanzieller Spielraum schafft auch Möglichkeiten für die Familienpolitik.

Deswegen sage ich – ich komme zu den Lebkuchen zurück –: Für Ihren Antrag, Ihren Wahlkampfantrag, ist es noch ein bisschen früh. Trotzdem eröffnen wir gerne die Diskussion. Wir machen es wie mit den Lebkuchen und beenden die Sache schnell.

Danke schön.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Norbert Müller ist der nächste Redner für die Fraktion Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7039116
Wahlperiode 18
Sitzung 207
Tagesordnungspunkt Familienpolitik
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