Frank HeinrichCDU/CSU - Aktuelle Stunde zu den Terroranschlägen vom vergangenen Wochenende
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Letzten Sonntag war dritter Advent. Das Wort „Advent“ kommt von „advenire“; das ist wahrscheinlich den meisten bekannt. Es geht um Erwartung und Ankunft. 14 Türen unseres Adventskalenders haben wir schon geöffnet. Noch elf Tage, und Geduld und Vorfreude werden belohnt: Dann ist Weihnachten.
An diesem Adventswochenende gab es 44 Opfer in Istanbul, 60 in Nigeria, 50 in Mogadischu, 25 in Kairo und, wer weiß, wie viele noch. Ich habe hier eine Liste der Opfer terroristischer Anschläge im Dezember dieses Jahres: über 300 Tote. Näher sind uns vielleicht die Menschen, die im März dieses Jahres in Brüssel und im Juli dieses Jahres in Nizza von Terroristen ermordet wurden.
Wie viele Unschuldige müssen denn noch sterben? In Kairo starben Kinder und Frauen in einer Kirche, als sie dabei waren, den dritten Advent zu feiern. In Nigeria waren die „Terroristen“, die Täter, zwei Mädchen von sechs und sieben Jahren – von Boko Haram instrumentalisiert. Viel zu viele sind da gestorben. Terror ist – das haben schon mehrere so gesagt – eine Verachtung aller humanitären Werte, und jedes Opfer des Terrors hat unser Mitgefühl.
Die Fragen aber, die wir stellen müssen – deshalb diese Aktuelle Stunde zu diesem Thema –, lauten: Was müssen wir tun, um dem Terror endgültig den Nährboden zu entziehen, um ihn zu bekämpfen? Und wie können wir weiter die Freiheit gewährleisten, die uns möglicherweise abhandenkommt, die für uns aber doch so existenziell ist? Dazu ist vieles schon gesagt worden. Es gibt nicht viel Neues, das ich dazu beitragen könnte. Aber es geht ja darum: Bleiben wir bei Worten? Diese Aktuelle Stunde, die etwas mehr als 60 Minuten dauert, besteht aus einigen Worten mehr. Von Beruf sind wir Parlamentarier; wir reden. Aber was machen wir daraus?
Von den Gräueltaten geht die Gefahr aus – diese Befürchtung teilen wir –, dass wir die Terroristen in dem, was sie bewirken wollen und oft schon bewirkt haben, zu ernst nehmen. Nach den Anschlägen in Paris, in Brüssel und in Nizza in diesem Sommer haben wir mit den Überlebenden getrauert. Aber gleichzeitig haben wir manches Mal unsere eigene Freiheit infrage gestellt. Die Teilnahme an Solidaritätsdemonstrationen wurde verweigert. Eltern haben sich gefragt, ob sie oder die Kinder nicht lieber zu Hause bleiben sollten. Es gibt auf einmal neue Ängste auf Flughäfen oder Bahnhöfen.
In Somalia wollten die al-Schabab-Milizen den Wahlvorgang verhindern. Die für den Anschlag auf die koptische Kathedrale Sankt Markus Verantwortlichen versuchen, das Zusammenleben der Religionen zu stören. Wenn aus Angst vor Terroristen Kopten oder vielleicht auch Menschen anderer Religionen nicht mehr zur Kirche gehen oder die Somali den Staatsaufbau nicht weiterführen oder – ein weiteres Beispiel – Franzosen aus Angst vor Terroristen am Nationalfeiertag keine Feuerwerke mehr zulassen, dann haben die Terroristen ein Stück weit gewonnen.
Vor ein paar Tagen sagte Präsident Obama zu dem Ansatz, den er in den letzten acht Jahren verfolgt hat, in einer Rede Folgendes – ich zitiere –: Diese Terroristen sind Verbrecher und Mörder und sollten als solche auch behandelt werden. Und mögen sie auch unschuldige Menschen töten, stellen sie trotzdem keine existenzielle Bedrohung für unsere Nation dar, und wir sollten nicht den Fehler begehen, sie so hoch zu heben, als ob das doch so wäre; denn genau das ist ihr Ziel. Es lässt sie wichtiger erscheinen und hilft ihnen am Schluss bei der Rekrutierung.
Was sind also unsere Antworten? Was sollte auch mit Blick auf die Türkei und auf Ägypten unsere Reaktion sein? Zusammenarbeiten und Dialog führen. Gerade in stürmischen Zeiten und nicht nur hier unter uns brauchen wir Strukturen des Dialogs und der Zusammenarbeit. Als Einzelstaat sind wir zu klein, um Terrorismus zu bewältigen. Die Resolution 2322 (2016) vom vergangenen Montag wurde am Anfang dieser Debatte schon genannt. Es ist also wichtig, auch bei der Terrorismusbekämpfung stärker zusammenzuarbeiten.
Das Motto unserer im Januar beginnenden G-20-Präsidentschaft – „Eine vernetzte Welt gestalten“ – beschreibt genau das, was es nun braucht. Die G 20 hat die Aufgabe, die Globalisierung zum Nutzen aller zu gestalten. Das ist richtig; denn eine ungerechte Globalisierung, eine Globalisierung, die nur die einen bevorzugt, ist der Nährboden für Extremisten und Radikale. Das Wort „soziale Ungerechtigkeit“ ist von Frau Finckh-Krämer und Herrn Hardt schon genannt worden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, im Kampf gegen Terrorismus ist der Dialog mit den Partnern in Ländern, die vielleicht nicht unbedingt wie Partner wirken, extrem wichtig. Daher ist es wichtig, auch mit der Türkei im Gespräch zu bleiben – trotz der Einschränkungen der Menschenrechte, die wir alle ansprechen müssen. Gerade wegen Shrinking Spaces, wie wir es nennen, braucht es gemeinsames Vorgehen mit der Opposition. Dies haben wir gestern draußen deutlich gemacht; ich bin für diese Aktion dankbar. Wir müssen aber auch mit den Staaten zusammenarbeiten, die nicht in aller Hinsicht mit unseren Werten übereinstimmen. Auf der Basis des Generalverdachts vom Wochenende ist die Situation schlimmer geworden. Wir müssen aufpassen, dass wir uns nicht von außen einbeziehen lassen in das Schwarz-Weiß-Denken, das jetzt in der Türkei passiert.
Ich möchte zum Abschluss einen kurzen Satz aus der Rede vorlesen, die der diesjährige Friedensnobelpreisträger letzte Woche gehalten hat. Er hat gesagt: Das Unmögliche kann möglich werden. Man müsse miteinander sprechen und die Würde aller achten, und es sei unklug, zu denken, dass zur Beendigung eines Konfliktes die Auslöschung der Gegenseite notwendig ist.
Zusammenfassend: Erstens. Terror erteilen wir eine ganz klare Absage. Zweitens müssen wir feststellen, dass es in der Politik nicht mehr klassisch um links und rechts geht, sondern um Demokraten und Antidemokraten, meist Terroristen; Kollege Nouripour hat darauf hingewiesen. Wir müssen Demokraten als politische Kräfte stärken. Das haben wir auch in Syrien viel zu spät erkannt. Eines ist klar: Die friedlichen Kurden haben durch die, die diese Anschläge verübt haben, einen Bärendienst erwiesen bekommen. Die Reaktion von Erdogan macht das deutlich.
Herr Kollege, darf ich Sie an Ihre Redezeit erinnern? Wir befinden uns in einer Aktuellen Stunde.
Genau, Redezeit darf nicht überzogen werden. – Ich komme zum Schluss. Die Rede des Friedensnobelpreisträgers endete wie folgt: Jetzt ist endlich die Sonne des Friedens über Kolumbien aufgegangen. – Und er wünscht sich das für die ganze Welt. Ich wünsche mir, dass wir das im Hinblick auf Weihnachten auch mit Syrien, der Türkei und Kairo verbinden und nicht unsere Hände in den Schoß legen, weil Weihnachten ist.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7044875 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 208 |
Tagesordnungspunkt | Aktuelle Stunde zu den Terroranschlägen vom vergangenen Wochenende |