15.12.2016 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 209 / Tagesordnungspunkt 3

Sigmar Gabriel - Verantwortung in der kerntechnischen Entsorgung

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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In spätestens sechs Jahren wird das letzte Kernkraftwerk in Deutschland vom Netz gehen. Damit geht das wirtschaftlich und gesellschaftlich umstrittenste Kapitel der deutschen Energieversorgung zu Ende.

Begonnen hat die Kernkraft mit großen Hoffnungen. Noch in den 1950er-Jahren gingen viele davon aus, dass Atomstrom so billig sein würde, dass man die Zähler für den Strom abschaffen könne. Das Versprechen war verlockend; die Energiefrage schien gelöst.

Wir alle wissen: Es ist völlig anders gekommen. Heute ist der Bau von Atomkraftwerken die teuerste Form, mit der man die Stromproduktion organisieren kann. Ich persönlich habe den Vertretern der Kernenergie in den letzten Jahren immer gesagt, dass man gar nicht aus Umweltgründen dagegen sein müsse; schon ökonomischer Verstand reiche aus, nicht in Kernenergie zu investieren. Wir sehen, dass die Briten ihre neuen Kernkraftwerke, weil sie sich nicht um Erneuerbare und andere Fragen gekümmert haben, nur mittels öffentlicher Subventionen finanzieren können. Das hochgerühmte finnische Kernkraftwerk – eigentlich das einzige, das wirklich neu gebaut wird – ist mit einer Zeitverzögerung von zehn Jahren unterwegs.

(Volker Kauder [CDU/CSU]: Das haben sie mit dem Flughafen in Berlin gemeinsam! – Gegenruf des Abg. Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Der ist nur nicht so gefährlich!)

Was die Baukostenschätzungen angeht, traut sich keiner mehr so richtig, sie öffentlich bekannt zu geben.

Das heißt, auch das Argument, es gebe in der Welt eine Renaissance der Kernenergie, war immer falsch. Es gab immer mehr Kraftwerke, die abgeschaltet werden, als solche, die neu gebaut werden, und zwar nicht, weil die Atomkraftgegner überall in der Welt in der Mehrheit waren, sondern weil Kernenergie schlicht die unwirtschaftlichste Form ist, Strom zu erzeugen.

Klar ist: Keine Technologie hat unser Land so gespalten wie die Kernenergie. In Wackersdorf und Gorleben, an Bahngleisen und unter Polizeihubschraubern wurde auch die demokratische Kultur dieses Landes sehr auf die Probe gestellt. Gegen die Atomkraft formierte sich die längste und intensivste Protestkampagne in der bundesdeutschen Geschichte.

Der Aufkleber mit der lachenden roten Sonne auf gelbem Grund wurde zum Symbol für Generationen. „ Atomkraft? Nein danke“ hieß die Botschaft. Wenn wir heute diesen Gesetzentwurf beraten, dann kann man neben allen Debatten, die man darüber führen kann, vielleicht auch einmal sagen, dass dieses Symbol zum Wegweiser für eine erfolgreiche Energiepolitik geworden ist.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Aus dem Kampf gegen die Kernenergie ist in Deutschland die Energiewende entstanden. Sie war am Anfang ja nicht mit dem Thema Klimawandel verbunden, sondern sie war die Alternative zum Ausstieg aus der Atomenergie. Heute wird Strom aus Sonne und Wind gemacht. Ohne ein unkalkulierbares Unfallrisiko und vor allen Dingen ohne Abfälle, die über Jahrtausende strahlen.

Ich selber wohne in einer Region, in der es ein ungewolltes und ein von uns gewolltes Atomendlager gibt. Wir haben es genehmigt. Ich selbst habe als junger Mensch anfänglich gegen dieses Endlager Schacht Konrad demonstriert. Später, als Umweltminister, musste ich es aufgrund der vorliegenden Argumente dann genehmigen.

Ich habe mich immer geweigert, mit den Vertretern der Atomenergie zu diskutieren, solange sie nicht bereit waren, in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft selbst für ein Endlager zu sorgen, und ich fand an der Debatte immer komisch, dass die größten Befürworter der Atomenergie immer die größten Gegner waren, wenn es darum ging, dass man bei ihnen zu Hause mal im Ton oder im Granit untersucht, ob es dort nicht alternative Endlager geben könnte.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Sie können mir also glauben: Ich weiß ein bisschen, wovon ich rede. Es ist nur dem langen Atem der Protestbewegung zu verdanken, dass wir wenigstens die unbegrenzte weitere Produktion von Atommüll in Deutschland beenden. Ich hoffe übrigens, dass dieses Land den Mut hat – egal wie viele Standorte wir untersuchen –, am Ende den Atommüll, den jedenfalls meine Generation nicht produzieren wollte, in diesem Land verantwortlich zu entsorgen, und nicht irgendwann auf die Idee kommt, ihn zu unkontrollierten Standards in andere Teile der Welt zu exportieren. Das darf nicht das Ergebnis sein.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

In der Tat: Auch das Bundesverfassungsgericht hat in der letzten Woche den Schutz von Leben und Gesundheit als legitimen Grund für den Ausstieg eingestuft und damit all jenen zu einem „Ritterschlag“ verholfen, wie die Süddeutsche Zeitung es formuliert hat, die sich für ein Leben ohne Atomkraft über Jahrzehnte eingesetzt haben.

2011, nach Fukushima, ist daraus dann tatsächlich ein übergreifender politischer und gesellschaftlicher Konsens geworden. Aber wie genau die immanenten und sehr großen Folgekosten der Kernenergie getragen werden, darüber wurde weiter hart verhandelt; denn Atomkraftwerke sind teuer im Bau, billig im Betrieb, teuer im Abriss und noch teurer, wenn der Atommüll endgelagert werden soll – eine Jahrhundertaufgabe. Ich bin froh, dass es gelungen ist, eine Verständigung darüber zu erzielen, wie wir die nukleare Entsorgung in Zukunft finanzieren. Das ist der eigentliche Schlussakt des Atomausstiegs. Einen Konsens für ein Endlager werden wir aber erst noch herbeiführen müssen.

Wir beraten heute keinen Regierungsentwurf. Es waren die Fraktionen von CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen, die ihn gemeinsam eingebracht haben. Das zeigt auch, dass es doch einen ganz großen Konsens gibt, mit diesem umstrittenen Kapitel bundesdeutscher Energiegeschichte endlich Schluss zu machen bzw. es zu beenden.

Die wichtigsten Regelungen hat eine eigens dafür eingesetzte überparteiliche Kommission erarbeitet und einstimmig beschlossen. Auch ich möchte mich stellvertretend bei den Vorsitzenden Jürgen Trittin, Ole von Beust und Matthias Platzeck dafür bedanken. Lieber Jürgen Trittin, wenn man aktiver Politiker ist, geht man mit dem Vorsitz in solchen Kommissionen auch politische Risiken ein. Ich finde, dich zeichnet aus, dass du dieses Risiko aus Verantwortungsgefühl eingegangen bist, weil du als einer der Gegner der Atomenergie am Ende auch dafür sorgen willst, dass verantwortliche Ergebnisse beim Ausstieg zustande kommen. Herzlichen Dank!

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Kommission hat die Grundlage für den Rechtsfrieden gelegt, den wir für den langen Weg aus der Atomwirtschaft benötigen. Dass die Grünen sagen: „Die Bundesregierung soll mal schnell dafür sorgen, dass die Konzerne ihre letzten zwei Klagen zurückziehen“, ist nachvollziehbar. Aber bei detaillierter Kenntnis des Rechtsstaates weiß man, dass das nur schwer von uns herbeizuführen ist. Trotzdem ist die Aufforderung natürlich richtig, weil auch das, was es jetzt noch an Klagen gibt, in der Sache eigentlich nicht in Ordnung ist.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Das ist übrigens auch eine wesentliche Voraussetzung für das Zeitalter der erneuerbaren Energien. Die Kommission hat aus meiner Sicht einen überzeugenden Vorschlag gemacht. Das Gesetz sieht vor, dass die Unternehmen auch künftig finanziell und organisatorisch für den Rückbau der Kraftwerke und die Konditionierung der radioaktiven Abfälle verantwortlich sind. Die Rückstellungen hierfür werden jedoch wesentlich transparenter sein als bisher. Die Bundesregierung wird dem Bundestag jährlich dazu berichten. Die langfristige Konzernhaftung haben wir in unserem Gesetzentwurf unter das Motto „Eltern haften für ihre Kinder“ gestellt, weil wir gemerkt haben, dass der Versuch von Ausgründungen dazu führen sollte, sich der langfristigen Haftung zu entziehen. Das bedeutet: Die Haftung besteht jetzt unabhängig von den konkreten konzerninternen Strukturen und deren Veränderungen.

Auf der anderen Seite wird zum 1. Juli 2017 ein staatlicher Fonds seine Arbeit aufnehmen, um die Zwischen- und Endlagerung zu finanzieren. Die Betreiber der Kernkraftwerke überweisen zu diesem Datum rund 17 Milliarden Euro an den Fonds. Sie können zudem gegen die Zahlung eines Risikoaufschlags von rund 6 Milliarden Euro die Haftung für Zins- und Kostenrisiken endgültig loswerden. Das wird öffentlich debattiert. Ich habe noch keinen richtigen Alternativvorschlag in der Öffentlichkeit gesehen, der besser ist als der, den die Kommission erarbeitet hat, und „wishful thinking“ bringt uns weder bei der Energiewende noch beim Ausstieg weiter. Deswegen finde ich: Solange nichts Besseres auf dem Tisch ist, ist das, was die Kommission erarbeitet hat, ein kluger Vorschlag.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Meine Damen und Herren, mit diesem Gesetzesvorhaben haben wir die Chance, nach dem Konsens über den Ausstieg nun einen Konsens über die Finanzierung der Folgelasten der Kernenergie zu beschließen und dann – das ist nicht einfach – auch einen Konsens für die Endlagerung herbeizuführen. Noch einmal: Einfach weitermachen und darauf setzen, dass irgendwann irgendwer uns Angebote macht, in den Weiten seines eigenen Landes zu völlig anderen Sicherheitsbedingungen deutschen Atommüll endzulagern, darf für dieses Land nicht die Alternative sein.

Nachdem wir diesen Weg geschafft haben, gibt es Grund zu Optimismus, auch den letzten Weg noch zu schaffen. Am Ende liegt es daran, dass viele Menschen in diesem Land, zum Teil über Generationen hinweg, den Mut nicht aufgegeben haben, für einen Ausstieg aus dieser gefährlichen Technologie zu kämpfen. Wir sind, finde ich, durch sie sehr weit gekommen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Das Wort erhält nun die Kollegin Eva Bulling-Schröter für die Fraktion Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7045494
Wahlperiode 18
Sitzung 209
Tagesordnungspunkt Verantwortung in der kerntechnischen Entsorgung
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