15.12.2016 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 209 / Tagesordnungspunkt 4

Katja DörnerDIE GRÜNEN - Schutz von Kindern und Familien vor Armut

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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! In zwei aufeinanderfolgenden Sitzungswochen diskutieren wir über die Frage, wie wir Kinderarmut bekämpfen, wie wir gegen Kinderarmut gut vorgehen können: in der letzten Woche auf Initiative meiner Fraktion, in dieser Woche auf Initiative der Linken. Das ist sehr angemessen; denn Kinderarmut ist ein großes Problem in unserer Gesellschaft. Die Bekämpfung von Kinderarmut ist leider eine Leerstelle dieser Bundesregierung. Ich finde, dass sich das dringend ändern muss. Wir müssen Kinderarmut endlich konsequent beseitigen und Familien endlich gerecht unterstützen. Das hat nichts, lieber Herr Weinberg, mit der Alleinverantwortung des Staats zu tun. Das ist ein ideologischer Vorwurf; das ist wirklich Unsinn. Wir müssen diese Herausforderung jetzt konkret angehen. Ihre Rede hat sehr gut gezeigt, dass Sie sich vor den konkreten Problemen wegducken.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

Unser Land ist ein Land mit zwei Gesichtern. Die Kanzlerin wurde eben zitiert; das will ich auch tun. Sie hat gesagt: „Deutschland geht es so gut wie nie zuvor.“ Im Durchschnitt mag das auch stimmen. Aber auf einen erheblichen Teil der Menschen trifft das nicht zu. Rund ein Viertel der Kinder und Jugendlichen in Deutschland sind arm; diese Zahl wurde schon genannt. Was bedeutet das in einem reichen Land wie unserem? Das bedeutet für viele: ohne Frühstück in die Schule, keine Musikschule, kein Kino, von Urlaub ganz zu schweigen.

(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Daran ist doch nicht die Regierung schuld!)

Im Kern bedeutet das also, nicht teilhaben zu können an unserer Gesellschaft, an einem ganz normalen Leben. Man gehört nicht dazu. Das dürfen wir doch nicht akzeptieren. Die betroffenen Kinder wissen Bescheid. World Vision hat für seinen Kinderreport Sechs- bis Elfjährige befragt, die zum von Armut betroffenen Fünftel der Gesellschaft gehören. Sechs- und Siebenjährige in unserer Gesellschaft sagen über sich selber, dass sie nicht dazugehören und dass sie keine Chance für ihre Zukunft haben. Kinder haben ein sehr genaues Gespür dafür. Wir dürfen doch nicht akzeptieren – darin müssen wir uns alle einig sein –, dass Kinder in unserer Gesellschaft keine Chance auf Teilhabe haben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

Wir fragen uns derzeit besonders intensiv, was unsere Gesellschaft zusammenhält und was wir für den Zusammenhalt der Gesellschaft tun können. Wir fragen uns, was aktuell diese tiefen Gräben in unser Zusammenleben reißt. Es gibt natürlich keine einfache Antwort. Aber die Lebenswirklichkeit der Kinder und Jugendlichen, die keine Chance haben, dazuzugehören, ist vielleicht ein Teil der Antwort. Auch deshalb dürfen wir Kinderarmut auf keinen Fall akzeptieren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

Wenn es darum geht, Armut entgegenzuwirken, sind Investitionen in Chancengleichheit, das heißt in Kitas und Schulen, und eine gute materielle Absicherung von Kindern und Familien zwei Seiten einer Medaille; das darf man auf keinen Fall gegeneinanderstellen. Mir ist es sehr wichtig, zu betonen: Wir brauchen gute Kitas, wir brauchen gute Schulen, und wir brauchen eine gute materielle Absicherung der Familien.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Wir Grüne setzen uns schon lange für ein Kitaqualitätsgesetz ein. Wir setzen uns für mehr Ganztagsschulen ein. Das ist zwar wichtig, aber nur eine Seite der Medaille. Was die materielle Absicherung angeht: Es ist doch ein Skandal, dass das Existenzminimum vieler Kinder und Jugendlicher in Deutschland weiterhin nicht gedeckt ist. Kinder werden noch immer wie kleine Erwachsene mit entsprechend abgeleiteten Ansprüchen behandelt. Wir finden, dass das ein Ende haben muss.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

Es gibt weitere Ungerechtigkeiten in unserer Familienförderung sozusagen am anderen Ende der Skala. Es kann doch nicht sein, dass Familien mit einem besonders hohen Einkommen durch Kinderfreibeträge mehr von der staatlichen Unterstützung profitieren als Familien mit kleinen oder normalen Einkommen. Das ist total ungerecht. Deshalb wollen wir eine Kindergrundsicherung, die sicherstellt, dass Kinderarmut wirksam bekämpft wird und das Matthäus-Prinzip unserer Familienförderung nach dem Motto „Wer hat, dem wird gegeben“ tatsächlich beendet.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Abschließend will ich noch ein paar Worte zum Unterhaltsvorschuss sagen; denn er steht in einem sehr engen Zusammenhang mit dem Thema Kinderarmut.

Ich will ganz klar sagen: Wir teilen das Anliegen der Bundesregierung voll und ganz, den Unterhaltsvorschuss auszuweiten. Das ist überfällig und bringt eine wichtige und richtige Entlastung für Alleinerziehende. Aber ich will auch sagen: Es ist ein unglaublicher Vorgang, dass ein vom Kabinett beschlossener Gesetzentwurf nicht ins Plenum eingebracht werden konnte, weil die Bundesländer Sturm laufen. Das tun sie tatsächlich durchaus zu Recht. Wie kann ein Kabinett einen Gesetzentwurf beschließen, wenn die Finanzierung der Leistung überhaupt nicht geklärt ist? Ich finde das unseriös und auch unverantwortlich.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Jetzt erleben wir ein Schwarzer-Peter-Spiel zwischen Bund und Ländern. Das ist eine Politik auf dem Rücken der Alleinerziehenden. Ich finde, das ist wirklich bitter. Wir als Grüne wollen, dass das beendet wird. Wir brauchen eine Lösung für die Finanzierungsfrage. Die kann nicht darin bestehen, den Vorrang von Unterhaltsvorschuss und SGB-II-Leistungen einfach umzudrehen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir als grüne Bundestagsfraktion haben in den Haushaltsberatungen deutlich gemacht, dass man die Mehrkosten gut im Bundeshaushalt darstellen kann. Unsere Aufforderung an die Bundesregierung ist, dem zu entsprechen und das nachzuvollziehen.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Stefan Liebich [DIE LINKE])

Nächster Redner für die SPD-Fraktion ist der Kollege Fritz Felgentreu.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7045514
Wahlperiode 18
Sitzung 209
Tagesordnungspunkt Schutz von Kindern und Familien vor Armut
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