15.12.2016 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 209 / Tagesordnungspunkt 4

Fritz FelgentreuSPD - Schutz von Kindern und Familien vor Armut

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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit den beiden umfangreichen Anträgen der Linken und der Grünen zum Thema Kinderarmut, die jetzt im Bundestag diskutiert werden, sind wir schon erkennbar im Wahlkampf angekommen.

(Widerspruch bei der LINKEN)

Unter anderen Umständen verzichtet auch die Opposition nicht auf den Anspruch, dass das ganze Haus ihre Anträge beschließen könnte. Aber bei Ihnen, liebe Frau Kollegin Zimmermann, soll der Bundestag jetzt einen Satz wie den folgenden beschließen – ich zitiere –:

Die laufende Wahlperiode ist … eine verlorene Zeit für den Kampf gegen Kinderarmut …

Das ist nicht nur sachlich völlig verfehlt – dazu komme ich gleich –, es zeigt eben auch, dass dieser Antrag vor allen Dingen Ihrer Kampagnenfähigkeit dienen soll, aber nicht der politischen Gestaltung.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Katrin Kunert [DIE LINKE]: Ihr seid nicht regierungsfähig!)

Wissen Sie, ich kann als Mitglied einer Koalitionsfraktion sogar ganz gut damit leben, dass Sie so etwas in einer Debatte vortragen – ein bisschen Juckpulver gehört schon dazu –, aber Sie können doch selbst nicht ernsthaft davon ausgehen, dass die SPD-Fraktion einer solchen Formulierung auch noch ihre Zustimmung gibt. Nein, meine Damen und Herren, der Linken geht es hier nicht um Lösungen, sondern es geht darum, die Unterschiede zu betonen. Das ist auch legitim. Im Wahlkampf geht das gar nicht anders. Aber es muss hier im Deutschen Bundestag dann auch genau so diskutiert werden.

Lassen Sie uns zunächst das Grundproblem betrachten. Schon das Wort „Kinderarmut“ beinhaltet einen Vorwurf. Wer Kinderarmut zulasse, so der unausgesprochene Hintergedanke, der versündige sich, der werde dem moralischen Anspruch an Politik nicht gerecht.

(Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Richtig!)

Ich finde: Schon hier ist Aufklärung notwendig. Wenn ich das Wort „Kinderarmut“ höre, dann steht vor meinem geistigen Auge – gerade jetzt in der Weihnachtszeit – so etwas wie Andersens Mädchen mit den Schwefelhölzern, das Mädchen aus Die Sterntaler oder die Kinder aus ­Zilles Mein Milljöh. Aber über diese Art von Kinderarmut sprechen wir hier nicht. Es ist ein großer Fortschritt, dass es diese Art von Kinderarmut in Deutschland nicht mehr gibt.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Widerspruch bei der LINKEN)

Kinderarmut im Sinne des Linken-Antrags ist zunächst einmal auch eine statistische Größe. Arm sind im Sinne einer relativen Definition von Armut Menschen – also auch Kinder –, denen monatlich weniger als die Hälfte des Durchschnitts zur Verfügung steht. Mit so wenig Geld auskommen zu müssen, ist zwar nicht existenzbedrohend, aber es ist sehr schwer – gar keine Frage. Es ist auch überhaupt gar keine Frage, dass es Aufgabe der Politik ist, Kindern und Jugendlichen zur Seite zu stehen, damit sie die Armutszone wieder verlassen können. Aber so zu tun, als wären diese Kinder dem Staat und dieser Regierung gleichgültig, ist reine Stimmungsmache. Das geht an der Realität vorbei.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

Auch die Antwort der Linken geht an der Realität vorbei; denn Ihnen fällt zuallererst eine deutliche Erhöhung des Kindergeldes ein. Dabei wissen Sie genauso gut wie ich, Frau Kollegin Zimmermann und auch Frau Kollegin Dörner, dass das Kindergeld allenfalls einen kleinen Beitrag zur Armutsbekämpfung leisten kann und dass es von allen staatlichen Instrumenten, um Kinder und Familien zu fördern, eines der am wenigsten wirksamen ist.

Eine jahrzehntelange Politik, das Kindergeld auszubauen, mündet seit Jahren unverändert in der doppelten Kinderarmut: Wir sind ein Land, das arm an Kindern ist und in dem zugleich ein großer Anteil der Kinder, die da sind, unterhalb der Armutsgrenze lebt. Nein, meine Damen und Herren, dieses Denken setzt von vornherein auf das falsche Instrument. Das Kindergeld ist wirklich eine gute Sache. Es hilft vielen Familien, besser über die Runden zu kommen, aber es ist nicht geeignet, um gesellschaftliche Fehlentwicklungen zu korrigieren.

(Beifall bei der SPD)

Das einzige nachhaltige, das mit Abstand beste Mittel gegen die Armut von Kindern ist die Arbeit ihrer Eltern,

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

also das Mittel, das Sie in Ihrem Antrag überhaupt nicht erwähnen.

Es hat auch etwas mit Haltung zu tun, dass wir diesen Punkt immer wieder betonen. Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten wollen, dass die Menschen Arbeit haben, und zwar gute Arbeit, Arbeit, von deren Ertrag sie ihre Familien ernähren und ihre Kinder großziehen können.

(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: 43 Millionen Menschen in Deutschland, die arbeiten, und wir haben trotzdem Kinderarmut!)

– Stellen Sie doch eine Zwischenfrage; dann können wir das in Ruhe diskutieren.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Stellen Sie mal einen Antrag, dann können wir diskutieren!)

Deshalb hat unsere Regierung auch bei der Bekämpfung von Kinderarmut immer auf Instrumente gesetzt, die es Eltern leichter machen, durch Arbeit für ihre Familie zu sorgen. Wir haben das Elterngeld Plus eingeführt, das Teilzeitarbeit unterstützt. Wir haben den Kinderzuschlag erhöht, damit Familien nicht in Abhängigkeit vom Jobcenter geraten. Wir haben die steuerliche Entlastung Alleinerziehender um 50 Prozent erhöht. Wir werden den Unterhaltsvorschuss ausweiten, der viele Familien mit niedrigen Einkommen vor demselben Schicksal bewahrt. Damit auch die Kinder armer Leute bessere Chancen auf Bildung und Aufstieg durch Arbeit haben, setzen wir seit dem ersten Tag dieser Koalition ganz konsequent auf den Ausbau von Betreuung und Bildung.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

Wir haben milliardenschwere Investitionsprogramme für die Kinderbetreuung aufgelegt. Erst gestern haben wir ein weiteres Programm für 100 000 Kinder beschlossen, und dank diesem Kabinettsbeschluss werden auch die drei- bis sechsjährigen Kinder einbezogen. Wir haben 2 Milliarden Euro, die für das Betreuungsgeld vorgesehen waren, an die Länder umgeleitet, damit sie ihre Betreuungsangebote ausbauen können. Allein im Jahr 2017 wird der Bund eine Rekordsumme von 2,5 Milliarden Euro für frühe Bildung ausgeben. Mit der verabredeten Grundgesetzänderung werden wir diesen Weg konsequent fortsetzen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Denn in Zukunft wird auch der Bund zum Ausbau von Schule und Bildung beitragen können.

Meine Damen und Herren, nur dieser Ansatz kann letztlich die Forderung umsetzen, dass uns jedes Kind gleich viel wert sein soll. Wir sind überzeugt davon – da unterscheiden wir uns im Ansatz von den Kollegen der Union –, dass wir Kinder und Familien in Deutschland am besten und am gerechtesten durch erstklassige Kitas und Schulen fördern, und zwar durch solche, die jedem Kind offenstehen, ganz unabhängig vom Geldbeutel ihrer Eltern. Darauf kommt es an; in diese Richtung wollen wir gehen.

Als Abgeordneter aus Berlin-Neukölln füge ich hinzu: Um den Kindern Chancen zu eröffnen, deren Elternhäuser es allein nicht schaffen, müssen wir gerade in den härtesten Kiezen, da, wo die meisten armen Kinder leben, damit anfangen. Das ist dann gelebte Solidarität mit den Kindern armer Leute

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

und eine nachhaltige Politik, damit sich Armut eben nicht von Generation zu Generation vererbt, wie wir es teilweise erlebt haben.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Eckhard Pols ist der nächste Redner für die CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7045516
Wahlperiode 18
Sitzung 209
Tagesordnungspunkt Schutz von Kindern und Familien vor Armut
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