Ulrike BahrSPD - Schutz von Kindern und Familien vor Armut
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Es gibt einen Artikel zum Thema frühe Hilfen; er ist mit „Die drei K’s“ überschrieben. Es geht jetzt ganz bestimmt nicht um Kinder, Küche, Kirche; vielmehr heißt der ganze Titel „Die drei K’s: Kinderarmut – Kinderschutz – Kommunen“. Wenn es um Kinderarmut geht, bleiben zwangsläufig Diskussionen zu Wirksamkeit oder Unwirksamkeit von monetären Leistungen nicht aus. Geld ist wichtig, um die Existenz zu sichern, keine Frage. Aber was ich für mindestens ebenso wichtig halte, ist die soziale Infrastruktur; denn sie ist die zentrale Grundlage. Sie kann Chancen und damit auch Wege aus der Armut eröffnen. Sie kann Chancen aber auch verwehren, nämlich dann, wenn sie fehlt oder zu wenig zielgerichtet ist.
Die maßgebliche Infrastruktur, wenn Kinder, Jugendliche und ihre Familien im Fokus stehen, ist für mich die Kinder- und Jugendhilfe, auch wenn die Kinder- und Jugendhilfe in Ihrem Antrag vielleicht nicht ganz so präsent ist wie Ihre Vorschläge zu konkreten Geldleistungen oder arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen.
(Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE]: Müssen Sie mal lesen! Das steht alles drin!)
Mir ist es in dieser Debatte aber wichtig, auch noch einmal ganz genau auf die Kinder und Jugendlichen selbst zu schauen, für die Sie hier einen sehr umfangreichen Aktionsplan zur Armutsbekämpfung vorschlagen. Bei der Kinder- und Jugendhilfe scheinen Sie vor allem in Sonderprogrammen absolute Allheilmittel zu sehen. Das klingt für mich aber zu sehr nach der berühmt-berüchtigten Gießkanne.
Wir alle wissen, dass Armut in der Kindheit ein großes Entwicklungsrisiko darstellt. Armut kann sich verfestigen und damit den Lebenslauf nachhaltig prägen. Armut kann sich damit auch vererben. Umso wichtiger ist es, präventive Ansätze in der Kinder- und Jugendhilfe weiter auszubauen – da gebe ich Ihnen recht –, aber eben zielgerichtet. Das wiederum geht nun einmal nur im engen Schulterschluss mit den Kommunen; denn die Kommunen sind es, die die Kinder- und Jugendhilfe verantworten. Diese wichtige, weil zentrale, Rolle der Kommunen kommt mir in Ihrem Antrag zu kurz.
Deshalb noch einmal zurück zu „Kinderarmut – Kinderschutz – Kommunen“: Armut hat viele Gesichter, enttäuschte, traurige, zornige, weinende; denn zur materiellen Armut gesellen sich in vielen Fällen Bildungsferne, ein Mangel an Teilhabemöglichkeiten, beispielsweise in Sportvereinen oder im Musikunterricht, und leider oft auch gesundheitliche Probleme. Dass das alles vom Geldbeutel der Eltern abhängt, ist ungerecht; ich glaube, darin sind wir uns alle einig. Genau hier müssen wir handeln; das ist keine Frage.
Armut existiert aber nicht im luftleeren Raum, sondern innerhalb von Wohnquartieren und Stadtvierteln – mal deutlicher, mal weniger offensichtlich. Deshalb brauchen wir auch ressortübergreifende Ansätze. Ein gutes Beispiel ist das Bundesprogramm „JUGEND STÄRKEN im Quartier“, das die SPD-Ministerinnen Manuela Schwesig und Barbara Hendricks in dieser Legislaturperiode gemeinsam neu auf den Weg gebracht haben.
(Beifall bei der SPD)
In Ihrem Antrag, liebe Kolleginnen und Kollegen, führen Sie zu Recht diejenigen an, die von den Angeboten der Kinder- und Jugendhilfe nicht erreicht werden. Genau hier setzt „JUGEND STÄRKEN im Quartier“ an: in der direkten Wohn- und Lebenswelt der Kinder und ihrer Familien. Dass wir das überaus erfolgreiche Städtebauprogramm „Soziale Stadt“ mit niedrigschwelligen sozialpädagogischen und gezielten Förderangeboten für junge Menschen hiermit zusammengeführt haben, halte ich für ganz zentral und wegweisend. In diesem Modellprojekt sind die Kommunen nicht nur mit im Boot, sondern sie, die Experten vor Ort, bestimmen auch, welche Angebote am besten zu den Gegebenheiten der jungen Menschen dort passen.
Es gibt auch andere Beispiele. In meiner Heimatstadt Augsburg gibt es den Verein „Kinderchancen“. Hier richtet sich die Förderung zunächst, im ersten Schritt, ganz gezielt an den Bedürfnissen der Kinder aus. Natürlich gibt es auch Unterstützung für die Eltern, beispielsweise wenn es um komplizierte Anträge geht; aber im Mittelpunkt steht das Kind. So ermöglichen wir Sport- oder Musikunterricht, organisieren Nachhilfe oder auch Sprachförderung, und das alles so unbürokratisch wie möglich und mit der Unterstützung eines breiten Netzwerks vor Ort. Dazu gehören Ämter, Kitas, Schulen, Ehrenamtliche, Sozialpartner usw.
Unser Ansatz ist die Hilfe zur Selbsthilfe; denn das Ziel dieses Projekts besteht nicht nur darin, große und kleine Steine, die die gesellschaftliche Teilhabe behindern, aus dem Weg zu räumen – das kann zum Beispiel das erste Paar Sportschuhe sein –, sondern uns geht es auch darum, Kinder und Familien eine bestimmte Zeit zu begleiten, um sie im Hinblick auf ihre individuellen Fähigkeiten zu stärken, damit dieses Wissen um die eigenen Stärken zum Fundament eines selbstbestimmten Lebenswegs wird. Auch das ist Armutsprävention.
(Beifall bei der SPD)
Natürlich sind hier auch SGB-VIII-Leistungen wie die aufsuchenden Angebote Früher Hilfen, Erziehungsberatung, Familienberatung und Jugendsozialarbeit ganz wichtige, wesentliche Elemente.
Alle, die in der Kinder- und Jugendhilfe engagiert sind, wissen: Jeder Euro zählt. Umso wichtiger ist es, dass wir zielgerichtete Hilfsangebote schaffen und sie weiterentwickeln. Das funktioniert nicht starr mit Weisungen von oben nach unten, sondern nur gemeinsam mit den Kommunen und den Akteuren vor Ort.
Ich danke Ihnen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Für die CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Martin Patzelt.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7045531 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 209 |
Tagesordnungspunkt | Schutz von Kindern und Familien vor Armut |