15.12.2016 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 209 / Tagesordnungspunkt 4

Martin PatzeltCDU/CSU - Schutz von Kindern und Familien vor Armut

Lade Interface ...
Anmelden oder Account anlegen






Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste in unserem Haus! Über die Relativität des Armutsbegriffes möchte ich mich nicht mehr äußern; das haben meine Vorredner zur Genüge getan.

(Zuruf von der LINKEN: Aber nicht gut!)

– Das ist Ihre Meinung. – Ich möchte auch nicht über die Armut an sich reden. Ich will aber bei all dem, was ich Ihnen jetzt sagen werde, betonen: Natürlich bin ich davon überzeugt, dass ein Minimum an materieller Ausstattung nötig ist, um ein menschenwürdiges Leben zu führen – genau darüber entscheidet in Deutschland aber nicht nur der Bundestag, sondern auch das oberste Gericht –, und dieses Geld reicht nicht.

Wenn Eltern im Rahmen ihrer persönlichen Möglichkeiten, der Angebote, die ihnen gemacht werden, und vor allen Dingen der Kompetenz, die sie haben, zusätzliche Hilfsangebote suchen und nutzen – ein Beispiel ist die Tafel –, dann geschieht das, weil sie die Grundleistungen, die sie bekommen, um leben zu können und das Frühstücksbrot für ihre Kinder finanzieren zu können, optimieren. Und wenn sie in Secondhandläden einkaufen – auch einmal ein Paar teure Skier und Markenklamotten –, dann tun sie das, weil sie ihr – zugegebenermaßen niedriges – Einkommen optimieren wollen. Daraus zu schließen, dass sie in lebensbedrohlicher Not sind, ist einfach falsch, sondern ihnen gelingt es, zu optimieren.

Wissen Sie, wenn ich am Wochenende mal einkaufen gehe und an der Kasse im Supermarkt stehe und sehe, was mir bekannte Menschen – ich war einmal Bürgermeister der Stadt; man kennt sich – in ihren Einkaufskörben haben, dann überkommt mich bitter, dass sie das wenige Geld, das sie haben, für Artikel ausgeben, die nicht nachhaltig sind, die bald kaputt sind und ihren Kindern nicht lange Freude machen werden.

(Dr. Rosemarie Hein [DIE LINKE]: Finden Sie das nicht zynisch?)

Was will ich damit sagen? Ich will sagen, dass wir nicht nur eine Armut an materieller Ausstattung unserer Familien haben.

(Dr. Rosemarie Hein [DIE LINKE]: Unglaublich!)

Die haben wir; das ist unbestritten. Ich will nicht missverstanden werden. Meine Vorredner haben bereits darauf hingewiesen, was die Regierungskoalition und auch die CDU/CSU in den vergangenen Jahren, auch in den Jahren vor dieser Koalition, an wirklich entscheidenden und nachhaltigen finanziellen Förderungen auf den Weg gebracht haben. Finanzielle Förderung scheint immer das Einzige zu sein, was wir anzubieten haben, wenn es um Nöte in der Gesellschaft geht. Lassen Sie mich auf eine Armut hinweisen, die Kinder auch haben. Das ist die Armut an Selbstbewusstsein. Von Ihnen wird dann immer gleich gesagt: Ja, wenn sie mehr hätten, ein neues Handy oder eine bessere Schultasche und bessere Kleidung, dann wäre ihr Selbstbewusstsein sofort aufgewertet. Aber, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, das ist doch eine Spirale.

(Zuruf der Abg. Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

In dem Moment, in dem sie das Neueste haben, haben die anderen schon wieder etwas Neueres. Das ist eine Spirale, die in die Irre führt, weil unsere Kinder diesem Trend – diesem Trend, dem wir alle mehr oder weniger folgen – immer nachlaufen werden.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Es geht um das Glück von Kindern. Es geht nicht darum, immer mehr zu haben. Die Armutsgrenze wird sich doch ständig verändern. Warum haben wir wieder mehr Armut nach der Statistik? Weil das allgemeine Einkommen gestiegen ist. Immer wenn das allgemeine Einkommen steigt, wird natürlich sofort die Zahl der Armen größer, weil wir nicht schnell genug nachkommen, die entsprechenden Anpassungen der unterschiedlichen Leistungen im Parlament vorzunehmen.

(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt so nicht!)

Dieser Zusammenhang ist von meinen Vorrednern deutlich gemacht worden.

Ich möchte den Kindern, für die ich auch als Mitglied des Familienausschusses Verantwortung habe – es sind die Kinder unseres Landes –, helfen, dass sie einen sicheren Selbststand haben, einen Selbststand, der nicht nur davon abhängt, welche materielle Ausstattung sie haben. Sie sollen Wissen erwerben können, sich kulturell engagieren können, konfliktfähig sein. Ich habe in den letzten Tagen in der Presse wieder gelesen, was auf unseren Schulhöfen los ist, dass immer mehr Sozialarbeiter und Psychologen eingestellt werden müssen, weil die Kinder in einer Weise miteinander umgehen, dass die Lehrer es nicht mehr schaffen, die Konflikte zu regeln.

(Zuruf von der LINKEN: Warum ist das denn so?)

Es geht um die Kompetenzen der Kinder, ihre Ausstattung mit Empathie, die Erfahrungen, die sie in ihrem Leben machen, und ihre Lebensräume. Wie machen wir denn Urlaub? Wir packen sie in die Kiste und fahren Hunderte von Kilometern mit ihnen an einen Urlaubsort, statt den Nahraum um unseren Wohnort, unser Land zu erkunden. Ich kenne viele Kinder, die nicht einmal ihre nähere Heimat kennen. Wir glauben, wir müssen ihnen immer mehr und mehr geben, statt die Welt, in der sie leben, mit den Mitteln, die wir haben, auszugestalten.

Ich sage das aus eigener Erfahrung. Ich habe mit Kollegen im Vorgriff auf diese Debatte gesprochen. Ein Kollege sagte mir gestern: Ich war zwar arm; aber ich konnte mich wenigstens ausschlafen. – Ich komme jeden Tag mit der U-Bahn und sehe, wie die Mütter die Kinderwagen in die U- und S-Bahnen zwängen. Sie haben kaum Platz, auch wegen der vielen Fahrräder, und es ist kalt und nass. Dann denke ich: Ein reiches Land; aber die Kinder können nicht einmal ausschlafen. – Und wenn sich Frauen in dieser sensiblen Phase des Lebens entscheiden, die Infrastrukturangebote noch nicht wahrzunehmen und zu Hause zu bleiben, und die Fraktion von CDU/CSU sagt, diesen Frauen ein Betreuungsgeld zu zahlen, damit wir ihnen eine Anerkennung für diese gesellschaftliche Leistung geben, dann wird das ideologisch verfemt, dann ist das eine Herdprämie.

(Zuruf von der LINKEN)

– Ich sage das nicht aus parteipolitischen Gründen. Ich sage das, weil ich ernste Sorge habe, wenn wir weiter so mit unseren Kindern umgehen, wenn wir sie in einer sensiblen Phase hemmungslos der öffentlichen Erziehung ausliefern, wenn wir sie nicht mehr ausstatten mit der Nähe von Eltern, die ihnen Märchen vorlesen, die noch nicht kaputt sind vom Karrierekampf und vom Kampf um noch mehr Geld, das sie verdienen können für ihre persönliche Entwicklung.

Das alles ist wichtig und richtig; verstehen Sie mich nicht falsch. Aber wer sich für Kinder entscheidet, der muss wissen, dass diese Kinder die Eltern brauchen, dass sie Zeit mit ihnen brauchen, Empathie, Zuwendung und Zuhören.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich habe mich einmal damit beschäftigt, welche Jugendlichen eigentlich in rechten und linken extremistischen Gruppen landen. Zum großen Teil sind das heimatlose junge Menschen, die eine Ersatzfamilie suchen und in dieser strengen und für uns alle fast unerträglichen wertbildenden Gruppe dann ein Stück weit ein Ersatzzuhause finden. Warum ist das so? Weil sie dieses Zuhause in ihrer Kindheit nicht erleben konnten, weil wir außenorientiert sind und sagen: Wir müssen mehr Knete machen! Wir müssen Karriere machen! – Wer sich für Kinder entscheidet, der sollte einberechnen, dass das für bestimmte Zeiten ein Stückchen Karriere kosten kann.

Wir haben in unserem Parlament, in der Regierung und in der Wirtschaft viele Kinderreiche. Die Managerin der Berliner Verkehrsbetriebe hat, glaube ich, sieben Kinder.

Kollege Patzelt, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Sabine Zimmermann?

Nein, danke. Ich möchte in meinen Gedanken jetzt nicht unterbrochen werden. – Es gibt genug Beispiele von Frauen, die sogar überdurchschnittlich viele Kinder hatten, bei ihren Kindern geblieben sind und sie mit hoher Kompetenz ins Leben geführt haben.

Denken Sie doch selber daran: Wir Älteren kommen nicht alle aus vermögenden Haushalten. Ich komme aus einer armen Familie und verschiedene Kolleginnen und Kollegen auch, wie sie mir gesagt haben – Marcus Weinberg gerade eben. Wenn es wirklich so wäre, dass alles am Geld liegt, dann wären wir nicht hier gelandet. Viele aus armen Verhältnissen wären dann nicht in der Wissenschaft, der Kultur oder der Kunst gelandet. Ich möchte nur eines anmahnen, nämlich dass wir miteinander den Blick weiten und sagen: Es liegt nicht alles am Geld.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir werden mit Geld nicht alles erreichen, was wir brauchen, damit diese Gesellschaft Zukunft und Bestand hat.

Ich bin ganz nah bei einigen Vorschlägen, die Sie in Ihrer Vorlage gemacht haben, vor allen Dingen auch bei den strukturellen Vorschlägen der Grünen. Ja, wir brauchen eine gute Infrastruktur. Ich weiß, ich bin ein bisschen weg vom Fenster; aber ich würde sogar eine Schuluniform fordern. In meinem Wahlkreis gibt es ein Spitzengymnasium. Dort haben sich die Eltern für eine Schuluniform entschieden. Warum? Weil sie die Stigmatisierung der Kinder untereinander, die auf dem Schulhof „Assi, Assi!“ schreien, vermeiden wollten. Wenn wir in diese Strukturen investieren, für Lehrbuchfreiheit sorgen und bestimmte Ausstattungsgrade für die Schulen fordern wollen, weil wir hier in einer Gemeinschaft lernen und leben, dann haben wir ein weites Feld der Gestaltung vor uns. Darauf freue ich mich.

Danke.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Zum Abschluss dieser Debatte spricht der Kollege Sönke Rix für die SPD.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7045536
Wahlperiode 18
Sitzung 209
Tagesordnungspunkt Schutz von Kindern und Familien vor Armut
00:00
00:00
00:00
00:00
Keine
Automatisch erkannte Entitäten beta