15.12.2016 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 209 / Tagesordnungspunkt 5

Christoph SträsserSPD - Bundeswehreinsatz in Südsudan (UNMISS)

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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gestern hat in Genf zum 26. Mal ein Sonderausschuss des Menschenrechtsrates der Vereinten Nationen zur Situation im Südsudan getagt. Zum 26. Mal! Der aus meiner Sicht wichtigste unter den Rednerinnen und Rednern ist der Sonderbeauftragte der Vereinten Nationen für die Verhinderung von Genozid, Herr Adama Dieng. Er hat die Weltgemeinschaft eindringlichst aufgefordert, nicht wegzusehen, sondern dabei mitzumachen, den Menschen zu helfen, und sagte in diesem Zusammenhang: Es bereitet sich etwas vor, was wir sehen, was wir wissen: ein Genozid anhand ethnischer Leitlinien. – Worüber wir heute diskutieren, ist aus meiner Sicht ein kleiner Beitrag, um das zu verhindern, um hinzusehen und Lösungen zu präsentieren; aber es ist selbstverständlich nicht der einzige.

Für diejenigen, die es noch nicht wissen, möchte ich die Dimensionen des Mandates UNMISS noch einmal ganz kurz darstellen, weil sich dann vielleicht das eine oder andere, was wir gleich hören werden, relativiert. Das UNMISS-Mandat existiert seit 2011 und soll zur Stabilisierung im Südsudan, dem jüngsten Staat Afrikas, beitragen. Es umfasst mittlerweile eine Obergrenze von 17 000 Soldatinnen und Soldaten. Es ist in diesem Jahr erweitert worden, weil man erkannt hat, dass das Mandat den Schutz von Zivilisten, zu dem es erteilt worden war, nicht ausreichend gewährleistet hat. Im Rahmen dieses Mandates mit einer Obergrenze – ich wiederhole – von insgesamt 17 000 Soldatinnen und Soldaten diskutieren wir heute über den Einsatz der Bundeswehr. Die Obergrenze für den Einsatz deutscher Soldatinnen und Soldaten ist auf 50 festgelegt – 50 von 17 000 Soldatinnen und Soldaten in diesem Mandat. Den vorliegenden Zahlen zufolge sind gegenwärtig 16 deutsche Soldatinnen und Soldaten im Südsudan und machen dort eine gute und wichtige Arbeit, für die ich mich an dieser Stelle ausdrücklich bedanke.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Die zentrale Aufgabe besteht im Schutz von Zivilisten. Die Zahlen, die uns derzeit vorliegen, sind alarmierend. UNMISS hat sechs sogenannte Schutzzonen eingerichtet, in denen circa 200 000 Zivilisten untergebracht sind. Der Schutz der Zivilbevölkerung in diesem Bereich ist durch niemand anderen gewährleistet als durch die Präsenz von UNMISS.

Ich kann Ihnen aus eigener Erfahrung von einem Besuch in einem der Flüchtlingslager in der Hauptstadt Juba berichten. Im Jahr 2015 begannen Zivilisten sich auch in der Hauptstadt nicht mehr sicher zu fühlen und sind zum ersten Mal in der Geschichte der Vereinten Nationen in Einrichtungen der dort stationierten Kräfte geflohen. Wir haben mit ihnen wie auch mit Vertretern der Zivilorganisationen, die dort gearbeitet haben, sprechen können und sie gefragt, warum sie das machen und wann sie die Einrichtungen wieder verlassen. Die Antwort war völlig klar: Wir gehen aus dieser Schutzeinrichtung nicht mehr raus, weil sonst die Gefahr besteht, dass wir in dem bewaffneten Konflikt getötet werden. – Meine Damen und Herren, wer den Leuten diesen Schutz versagt, den sie brauchen, der vergeht sich ein Stück weit an den Grundsätzen der Humanität, die wir als internationale Gemeinschaft auch in diesem Bereich zu verantworten haben.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Die uns vorliegenden Zahlen sind abenteuerlich; sie sind unerträglich. In diesem jungen Land sind 1,8 Millionen Menschen intern vertrieben. 1,2 Millionen waren allein in diesem Jahr auf der Flucht und bilden zurzeit – auch das sollten wir in der Öffentlichkeit darstellen – die größte Migrations- und Fluchtbewegung weltweit. 3 500 Menschen verlassen pro Tag das Land. Wir werden heute auch über den Einsatz in Darfur, dem zweiten Krisenherd in der Region, diskutieren. In diese seit 2003 krisenbehaftete Region fliehen jeden Tag Menschen aus dem Südsudan. Das sollte uns zu denken geben, was die Situation der Menschen dort angeht.

Die humanitäre Situation ist desaströs. Viele Bereiche in dem sich ausweitenden Bürgerkrieg sind nicht mehr durch humanitäre Hilfe zu erreichen. Das heißt, die Menschen sind in Gefahr, eine Hungersnot zu erleiden und nicht mehr versorgt werden zu können. In dieser Situation reden wir über UNMISS.

Wir haben in diesem Jahr auch ganz schlimme Botschaften erfahren. Im Juli dieses Jahres wurde UNMISS beschuldigt – darüber gab es auch eine Diskussion in den Vereinten Nationen –, seiner Aufgabe nicht nachzukommen. Dazu hat es eine Untersuchungskommission gegeben. Die Vorwürfe wurden leider Gottes bestätigt. Zum ersten Mal in der Geschichte von UNMISS hat es daraufhin Konsequenzen gegeben. Diese Konsequenzen belasten zum Teil die UNO. Der Leiter der Einrichtung, die kritisiert wurde, weil sie keinen Schutz gewährleistet hat, wurde entlassen; er war ein kenianischer Soldat. Die Folge war zunächst einmal, dass Kenia aufgrund dieser Entscheidung seine Bereitschaft, an UNMISS mitzuwirken, aufgekündigt hat. Das alles sind Dinge, die wir zur Kenntnis nehmen. Darüber muss auch im Kontext geredet werden.

Was ist aber die Konsequenz angesichts der geübten Kritik? Ich habe darauf eigentlich nur eine Antwort. Fast alle internationalen Beobachter sagen genauso wie diejenigen, die im Land arbeiten, dass UNMISS alleine zwar die Probleme im Südsudan nicht lösen kann, dass aber ohne UNMISS die Probleme deutlich größer wären. Ich möchte auf eine Veröffentlichung der Friedrich-Ebert-Stiftung aus diesem Monat – damit ist einiger Unsinn getrieben worden; einer der betreffenden Kollegen kann nicht mehr in Juba arbeiten und befindet sich mittlerweile in Kampala in Uganda – verweisen. Ich zitiere nur die Überschrift – das ist die offizielle Auffassung –: UNMISS alleine reicht nicht, doch ohne UNMISS geht es nicht. – Wenn wir diese Auffassung ernst nehmen, dann müssen wir darüber diskutieren, ob das, was UNMISS im Augenblick macht, ausreicht oder ob wir UNMISS durch eine größere Bereitschaft, zu helfen, stärken sollten.

Wir sollten auch politische Lösungen in Angriff nehmen: Gibt es einen regionalen Friedensprozess? Reicht es, wenn die beiden alten Herren, Herr Salva Kiir und Herr Riek Machar, miteinander etwas verabreden, an das sich noch nicht mal ihre Gefolgsleute halten? Reicht es, dass die EU ein Waffenembargo ausgesprochen hat, oder müssen wir angesichts der in diesem Land ohnehin viel zu hohen Anzahl an Waffen nicht endlich ein Waffenembargo auf UNO-Ebene beschließen? – Das sind die Fragen, die wir beantworten müssen. Für die SPD-Fraktion ist völlig klar: Es braucht ein deutliches Signal, dass wir UNMISS stärken wollen. Wir wollen, dass UNMISS ihren Aufgaben gerecht wird. Deshalb bitten wir Sie, der Fortsetzung dieses Mandats zuzustimmen.

Aufgrund der letzten Diskussion über Kinderarmut möchte ich noch ein persönliches Wort sagen. Am Ende dieser Sitzungswoche werden wir uns ein fröhliches und friedliches Weihnachtsfest wünschen; das ist für uns selbstverständlich. Ich würde mich sehr freuen, wenn es uns gelänge, den Kindern im Südsudan und anderswo nicht nur ein friedliches Weihnachtsfest, sondern irgendwann einmal auch ein Leben in Frieden und Freiheit zu bescheren.

Danke schön.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Nächste Rednerin ist die Kollegin Christine Buchholz, Fraktion Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7045545
Wahlperiode 18
Sitzung 209
Tagesordnungspunkt Bundeswehreinsatz in Südsudan (UNMISS)
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