Maik BeermannCDU/CSU - Änderung des Conterganstiftungsgesetzes
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Werner, das waren sehr versöhnliche Worte. Ich glaube, dass das ein sehr besonderes Thema ist, ein Thema, das mit vielen Emotionen verbunden ist, bei dem es sich definitiv nicht lohnt, dass Regierungsfraktionen und Opposition sich darüber streiten. Wir sollten vielmehr versuchen, das Bestmögliche auf den Weg zu bringen. Dazu habe ich die Hoffnung.
In meinem Skript steht, dass ich mich freuen würde, wenn auch die Opposition zustimmt. Sie haben schon gesagt, dass es um die Struktur geht. Wenn wir noch das eine oder andere auf den Weg bringen, dann bekommen wir es vielleicht doch hin, dass wir gemeinsam einen Beschluss erwirken.
(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Sie können sich schon freuen, dass wir nicht ablehnen!)
– Das finde ich auch gut, definitiv.
Mit dem Wort „Contergan“ – Frau Staatssekretärin Marks hat es gesagt – verbindet jeder Einzelne von uns den größten Arzneimittelskandal in Deutschland, dessen Folgen bis heute das Leben der Betroffenen stark prägen und auch weiter prägen werden. Es handelt sich um die Kinder der Frauen, die in der Schwangerschaft ein vermeintlich unbedenkliches Medikament einnahmen und nach der Entbindung das schreckliche Ausmaß der Auswirkungen dieses Präparates auf ihre Kinder erleben mussten.
Diese Kinder von damals sind heute längst selbstständige erwachsene Menschen, und für ihre Selbstständigkeit kämpfen die Betroffenen jeden einzelnen Tag. Es ist für mich persönlich unvorstellbar, mit welch einer schweren Last die Betroffenen, sowohl mit der physischen Belastung und den täglichen Hürden als auch mit den tief sitzenden psychischen und emotionalen Eindrücken, umgehen. Unvorstellbar ist auch, wie das Leben jedes Einzelnen und auch das der Angehörigen durch die Einnahme eines Medikaments, zum Teil auch nur durch eine einzige Tablette, so stark beeinflusst wurde und vor allen Dingen bis zum Lebensende beeinflusst wird.
Geschädigte erzählen mir von Problemen im Alltag. Dinge, die für uns alle selbstverständlich sind, stellen für sie täglich eine große Herausforderung dar. Vielen ist nicht bewusst, dass sich die Schädigungen eben nicht nur auf die äußerlichen Bereiche beschränken lassen; nein, auch Schädigungen der inneren Organe, Gehörlosigkeit, aber auch Zeugungs- und Empfängnisunfähigkeit haben einen immensen Einfluss auf die Lebensgestaltung und die Lebensqualität.
Die Betroffenen mussten für das, was sie bis heute erreicht haben, lange kämpfen. Vor diesem Hintergrund war es uns auch wichtig, das vorliegende Gesetz, das wesentliche Erleichterungen für die Betroffenen ab 2017 bringt, noch in diesem Jahr auf den Weg zu bringen, also zu beschließen. Das sind wir den Betroffenen schuldig. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist auch genau unsere Aufgabe.
Vor 45 Jahren, genau: am 12. Dezember 1971, wurde erstmals mit dem Gesetz über die Errichtung einer Stiftung „Hilfswerk für behinderte Kinder“ versucht, den Conterganskandal aufzuarbeiten. 37 Jahre später, im Jahr 2008, wurde das Errichtungsgesetz erstmals geändert. Dies wurde damals allerdings reinweg auf die Rentenerhöhung beschränkt.
Durch ein Zweites Gesetz zur Änderung des Conterganstiftungsgesetzes wurde einhergehend mit einer Reduktion der Stiftung auf ausschließlich conterganopferspezifische Leistungsempfänger eine Verkleinerung vorgenommen. Die 2013 erfolgte dritte Änderung des Conterganstiftungsgesetzes wird von den Betroffenen selbst als Paradigmenwechsel im Umgang mit den Conterganbetroffenen beschrieben. Ab dem 1. Januar 2013 wurden zusätzlich 120 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. Die Conterganrente wurde im Höchstsatz von 1 555 Euro auf 6 912 Euro angehoben. Das ist eine Versechsfachung. Zusätzlich wurden Leistungen zur Deckung spezifischer Bedarfe – Frau Staatssekretärin ist darauf eingegangen – in Höhe von 30 Millionen Euro jährlich bereitgestellt.
Für diesen Meilenstein und diesen Einsatz möchte ich mich persönlich bei meinen Kolleginnen und Kollegen ganz herzlich bedanken, die in der letzten Wahlperiode daran gearbeitet haben. Ein herzliches Dankeschön! Das war, glaube ich, ein wichtiger und guter Schritt in Richtung der Betroffenen.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Mit den geplanten Neuregelungen möchten wir weitere Verbesserungen für die rund 2 700 betroffenen Menschen in unserem Land erreichen. Wir setzen damit zügig die Ergebnisse der Evaluation um, die insbesondere die Effizienz des Verfahrens zur Gewährung von Leistungen für spezifische Bedarfe berücksichtigt. Ab 2017 sind die Betroffenen nicht mehr auf die Bewilligung ihrer Anträge, der ein bürokratisches und umständliches Antragsverfahren vorgeschaltet war, angewiesen. In den drei Jahren wurden von den jährlich 30 Millionen Euro, die zur Verfügung gestellt wurden, pro Jahr zum Teil nicht einmal 2,5 Millionen Euro abgerufen. Das zeigt eben auch, inwieweit dieser Änderungsbedarf vorhanden ist.
Künftig werden die vorgesehenen Mittel für die Leistung, für spezifische Bedarfe unkompliziert und pauschal den Betroffenen zur Verfügung gestellt. Jeder vom Gesetz erfasste Contergangeschädigte erhält im Jahr einen Sockelbetrag in Höhe von 4 800 Euro, unabhängig davon, wie stark seine Schädigungen nach Schadenspunkten eingestuft sind. Die darüber hinaus vorgesehenen Mittel werden nach Schadenspunkten pauschal ausgeschüttet. So beträgt die Restpauschalierung pro Jahr zwischen 876 Euro bei niedrigbepunkteten Betroffenen und 9 900 Euro bei den höchstbepunkteten.
Mit der vorgesehenen Pauschalierung wird eine annähernd gerechte Verteilung zwischen den Contergangeschädigten mit geringeren und mit höheren Schadenspunkten ermöglicht. Wir wollen mit diesem Gesetz den Betroffenen Unabhängigkeit und die Möglichkeit zurückgeben, selbst zu entscheiden, welche Leistungen sie brauchen und was ihnen in ihrer ganz individuellen Situation am meisten hilft und guttut. Dass wir mit diesen Regelungen den richtigen Weg gehen, hat auch die öffentliche Anhörung Ende November gezeigt.
Gleichzeitig wollen wir erreichen, dass durch die Pauschalierung freiwerdende Kapazitäten zielgenau da eingesetzt werden, wo Bedarf besteht. Die Geschäftsstelle der Conterganstiftung soll Betroffenen zukünftig zielgenau bei der Beratung und Durchsetzung von Ansprüchen gegen andere Kostenträger beraten und unterstützen. Aber auch der Aufbau medizinischer Kompetenzzentren steht auf der Agenda. Die entsprechenden Anforderungsprofile für diese Kompetenzzentren sind hierbei von der Stiftung unter enger Beteiligung und Begleitung der Betroffenen zu entwickeln. Es ist auch mir persönlich wichtig, das so zu sagen.
Neben diesen wichtigen Punkten haben wir uns auch der Haftungsfragen angenommen. Die Organmitglieder sind ehrenamtlich tätig; da sind geregelte Verhältnisse noch immer besonders wichtig. Mit dem von der Koalition eingebrachten Änderungsantrag setzen wir die Empfehlungen der Sachverständigen aus der öffentlichen Anhörung um; denn in dieser haben sich alle Sachverständigen klar dafür ausgesprochen, die Struktur der Anfang der 70er-Jahre gegründeten Stiftung umfassend zu evaluieren.
Hier war es der ausdrückliche Wunsch, keine Schnellschüsse zu wagen, sondern sich mit Sorgfalt und Objektivität der Thematik zu widmen. Dieses auch für die Union wichtige Anliegen, liebe Kolleginnen und Kollegen, setzen wir mit dem Vierten Gesetz zur Änderung des Conterganstiftungsgesetzes umfassend um. Innerhalb von zwei Jahren wird die Bundesregierung einen Bericht über die Auswirkungen dieses Gesetzes und eine gegebenenfalls notwendige Weiterentwicklung vorlegen. Der Bericht soll auch eine Evaluation der Struktur der Stiftung enthalten. Wir haben uns allerdings darauf verständigt, dass dieser besondere Teil der Evaluation, Frau Schulte, möglichst noch bis zum Ende der laufenden Legislaturperiode vorliegen soll.
Unser aller Ziel muss sein, den Graben zwischen Ministerium, Stiftung und den Betroffenen zuzuschütten und gleichzeitig Brücken zu bauen. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf gehen wir einen weiteren Schritt in genau diese Richtung, um den Geschädigten weiterhin ein selbstbestimmtes sowie verbessertes Leben zu ermöglichen. Ich gehe sehr davon aus, dass dieses Gesetz für die Betroffenen unser aller Zustimmung hier im Hohen Haus findet. Wir haben es eben schon gehört: Mit einer Enthaltung ist das, denke ich, schon einmal gar nicht so verkehrt.
(Beifall des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE])
Ich sage: Wir machen uns auf den Weg. Entscheidend ist, glaube ich, dass wir bei dieser sensiblen Thematik als Parlament dicht beieinanderbleiben und uns vernünftig abstimmen.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Meine Damen und Herren, ein solcher Medikamentenskandal darf sich natürlich nicht wiederholen. Weil wir als Parlament hier eine wichtige staatliche Verantwortung übernommen haben, ist es auch unsere Aufgabe, genau hinzuschauen und Unterstützung anzubieten. Wenn wir uns einig sind, dass sich so etwas nicht wiederholen darf, dann möchte ich und muss ich in diesem Zusammenhang auch das Stichwort „Duogynon“ erwähnen. Lassen Sie uns auch hier etwas genauer hinschauen und den Betroffenen die vielleicht notwendige Unterstützung bei der Aufklärung anbieten.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich komme zum Schluss. Ich bin persönlich dankbar, weil auch ich etwas sehr Wichtiges von den contergangeschädigten Frauen und Männern in den letzten zweieinhalb Jahren erfahren durfte. Lassen Sie mich bitte kurz Thomas Edison zitieren:
Unsere größte Schwäche ist das Aufgeben. Der sicherste Weg zum Erfolg besteht darin, immer wieder einen neuen Versuch zu wagen.
Sie – ich spreche jetzt persönlich die Conterganbetroffenen an – sind wahre Kämpfer. Vor Ihrem Mut und der unerschöpflichen Kraft, die Sie immer wieder aufbringen, habe ich den allerhöchsten Respekt.
(Beifall im ganzen Hause)
Ich bitte um Zustimmung zu diesem Vierten Gesetz zur Änderung des Conterganstiftungsgesetzes und bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
Corinna Rüffer hat als nächste Rednerin das Wort für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7045662 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 209 |
Tagesordnungspunkt | Änderung des Conterganstiftungsgesetzes |