15.12.2016 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 209 / Tagesordnungspunkt 9

Roderich KiesewetterCDU/CSU - Bundeswehreinsatz in Afghanistan

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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Kollege Gehrcke sprach eben von Dreistigkeit mit Blick auf den vorliegenden Antrag. Dreist, Herr Kollege Gehrcke, ist, wie Sie hier Aussagen aus dem Zusammenhang reißen und Geschichte klittern,

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Lars Klingbeil [SPD])

wie Sie hier eine Theologin vorführen, die Ihre Aussagen längst revidiert hat.

Wir alle wissen: Die Lage in Afghanistan ist vielschichtig, aber ohne das internationale Engagement wäre Afghanistan längst zerfallen. Ich glaube, darüber sind wir uns einig.

(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der Krieg ist verloren! Schon lange!)

– Herr Ströbele, es geht hier nicht um Krieg. – Der Kollege Annen hat eben sehr klar daran erinnert, was wir im Jahr 2011 zum zweiten Mal auf einer Petersberg-Konferenz in Deutschland angesprochen, vorbereitet und in die Planung gesetzt haben, nämlich bis 2024 aus Afghanistan ein ganz normales Entwicklungsland zu machen. Merket wohl: Ein ganz normales Entwicklungsland! Afghanistan ist auf den letzten Plätzen was Sicherheit, was Korruptionsbekämpfung angeht.

(Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das müssen Sie mal de Maizière sagen!)

Afghanistan macht schleichende Fortschritte, aber das hat Afghanistan bisher nicht aus eigener Kraft geschafft. Dazu braucht es internationale Unterstützung.

Das wirklich Dreiste an der Argumentation der Linken ist die ausschließliche Fokussierung aufs Militärische.

(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Das ist doch Ihr Antrag!)

Drei Punkte sind hier wichtig, die wir in der Debatte der Opposition, zumindest der Linken, entgegenhalten können.

Erstens. Es geht schlichtweg darum, dass wir in der afghanischen Bevölkerung das Vertrauen in die eigenen Strukturen stärken. Das bedeutet, nach militärischen Einsätzen sofort mit humanitärer Hilfe, mit Wiederaufbau und mit einer wärmenden Hand des Staates präsent zu sein. Da geht es um Energieversorgung, um Gesundheit und um Wasser. Das leistet die Resolute Support Mission, indem sie die afghanischen Strukturen befähigt, begleitet und berät.

Zweitens. Wir müssen die Eigenverantwortung Af­ghanistans stärken. Wenn wir über Afghanistan sprechen, müssen wir uns bewusst sein, um was für ein Land es sich handelt – dessen ist sich die Linke leider nicht bewusst –: 80 Prozent Sunniten, 19 Prozent Schiiten, rund 50 verschiedene Volksgruppen und ebenso viele Sprachen. Das zusammenzuhalten, ist eine Herkulesaufgabe. – Ich komme an einem anderen Punkt darauf zurück.

Ein Blick in das Land macht deutlich – Kollege Annen hat das angesprochen –: Zwei Drittel der Bevölkerung leben in Ruhe und in Frieden und erleben eine positive wirtschaftliche Entwicklung. Knapp 30 Prozent der Bevölkerung – rund 9 Millionen Einwohner – leben in umkämpften Gebieten, aber 20 Millionen nicht. Bei Abschiebungen – ich glaube, da sind wir uns alle einig – muss man sehr sorgfältig auf die Region und auf die Ethnie achten. Pauschale Abschiebungen – da sind wir uns sicherlich alle einig – sind nicht möglich – man muss die jeweilige Region Afghanistans betrachten –; aber in zwei Dritteln des Landes herrschen Frieden und Sicherheit. Das unterstreiche ich.

(Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE]: Das ist Quatsch!)

Drittens. Ein Abzug, den Teile der Opposition fordern, würde ja nicht bedeuten, dass es mit Afghanistan auf einmal aufwärtsginge. Ein Abzug hätte ganz klare Konsequenzen. Afghanistan würde, wie in der Vergangenheit, zum Spielball regionaler Mächte werden. Indien, Iran, Pakistan, China, Russland und auch die Türkei haben Interessen. Was alle eint, ist die Sorge vor Terrorismus und vor Drogenschmuggel sowie die Hoffnung auf mehr Energieversorgungssicherheit. Hier sehe ich eine Aufgabe für Deutschland. Diese haben wir in der Vergangenheit sehr intensiv wahrgenommen, und wir nehmen sie auch aktuell wahr. Über diese drei Bereiche – Bekämpfung des Terrors und der Aufständischen, Bekämpfung des Drogenanbaus und Unterbreitung von Alternativangeboten sowie Schaffung von Energieversorgungssicherheit – müssen wir mit den Regionalmächten reden. Das geht nur durch Präsenz vor Ort, durch Glaubwürdigkeit und Anwesenheit.

(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Seit 15 Jahren!)

Ein Letztes. Sie brauchen strategische Geduld. Wenn wir über das weitere Vorgehen sprechen, müssen wir uns den Beschluss von 2011 in Erinnerung rufen, nach dem Afghanistan bis 2024 auf das Niveau eines normalen Entwicklungslands geführt werden soll. Das bedarf eines ganzheitlichen Vorgehens. Das bedarf auch der Korruptionsbekämpfung, worauf die Amerikaner in der Resolute Support Mission ungeheuer großen Wert legen. Sie setzen diesen Anspruch drastisch durch und lösen Personal in den afghanischen Strukturen, das sich nicht an die Vorgaben hält, ab.

Was wir brauchen, ist strategische Geduld. Uns sollte bei der Bemessung unseres Kräfteansatzes bewusst sein, wie stark wir das aktuelle Mandat ausnutzen. 940 der 980 Dienstposten sind besetzt. Es gibt Mandate, bei denen gerade einmal die Hälfte des angesetzten Personals im Einsatz ist, bei denen es atmende Obergrenzen gibt. Es wäre auch mit Blick auf die Belastung unserer Soldatinnen und Soldaten vor Ort hilfreich, lieber Herr Außenminister, über atmende Obergrenzen nachzudenken und die Truppe mit dem auszustatten, was sie benötigt.

Trotz aller Fokussierung auf das Militärische: Stellen wir doch heraus, was in Afghanistan an ziviler Entwicklungszusammenarbeit geleistet wurde! Die Bundesrepublik Deutschland hat sich über das Mandat, das bei der Afghanistan-Konferenz 2011 auf dem Petersberg beschlossen wurde, hinaus verpflichtet, bis 2022  1,7 Milliarden Euro zu investieren. Andere Staaten machen es genauso. Es geht auch darum, darzustellen, was zivil geleistet wird. Ich denke, dass es eines Parlamentes würdig ist, darüber ausschussübergreifend zu sprechen und unserer Öffentlichkeit klarzumachen, dass es nicht nur um einen Militäreinsatz geht, sondern auch um eine sinnvolle Begleitung des Wiederaufbaus.

In diesem Sinne darf ich, da ich sehr viel Lebenszeit mit Afghanistan verbracht habe, von dieser Stelle aus eine herzliche Ermunterung nach Afghanistan senden und unseren Soldatinnen und Soldaten sowie den zivilen Aufbauhelfern alles erdenklich Gute wünschen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Vielen Dank, Roderich Kiesewetter. – Nächster Redner: Omid Nouripour für Bündnis 90/Die Grünen.


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7045728
Wahlperiode 18
Sitzung 209
Tagesordnungspunkt Bundeswehreinsatz in Afghanistan
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