Lars KlingbeilSPD - Bundeswehreinsatz in Afghanistan
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will denjenigen danken, die dazu beitragen, dass wir hier im Parlament eine sehr differenzierte Diskussion über Afghanistan führen. Wenn wir uns die Situation im Land scharf anschauen, dann haben wir weder das Recht, zu sagen: „Alles ist schlecht in Afghanistan“, noch können wir hier zufrieden feststellen, dass alles in Afghanistan gut ist. Wir können meines Erachtens gemeinsam festhalten, dass vieles nicht einfacher geworden ist in Afghanistan und dass der Weg unseres Engagements dort weitergehen muss.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sehen an vielen Stellen, wie fragil die sicherheitspolitische Situation ist; das ist gerade aufgezählt worden. Wir haben in den letzten 15 Jahren Fortschritte erlebt, aber leider auch Rückschläge verkraften müssen. Der Kollege Annen hat aufgezählt, dass wir viele Bereiche haben, in denen es tatsächlich besser geworden ist. Wenn ich mir die politische Debatte anschaue, das, was Parlamentarier dort wahrnehmen können, wenn ich mir das Mediensystem anschaue, wenn ich den Bildungsbereich, die Universitäten oder Frauenrechte sehe, dann müssen wir meines Erachtens festhalten: Vieles ist besser geworden,
(Volker Kauder [CDU/CSU]: Das stimmt!)
und es ist auch ein Ergebnis unserer Politik, was wir in den letzten 15 Jahren dort in Afghanistan gemeinsam voranbringen konnten. Das muss man in einer solchen Situation auch einmal sagen.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Das Land hat sich verändert. Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht: Wenn ich mit Soldatinnen und Soldaten im Gespräch bin, die aus dem Afghanistan-Einsatz zurückkommen, dann höre ich dort auch differenzierte Wahrnehmungen. Es gibt diejenigen, die sagen: Ja, mein Einsatz dort hat etwas gebracht. Es gibt aber auch diejenigen, die Fragezeichen setzen. Ich finde, diese Meinungen muss es geben dürfen, und wir müssen uns sehr intensiv mit den Soldatinnen und Soldaten austauschen und auch ernst nehmen, was sie uns von dort berichten.
Erinnern will ich aber daran, dass wir einen Grund hatten, weswegen wir vor 15 Jahren hier im Bundestag – einige waren schon dabei – beschlossen haben, dass wir Militär nach Afghanistan schicken. Ich will auch daran erinnern, dass wir vor 15 Jahren Verantwortung für dieses Land übernommen haben. Es wäre töricht, diese Verantwortung jetzt abrupt abzubrechen, weil es viele dort in dem Land sind, die sich auf uns verlassen können wollen, und sie dürfen wir nicht im Stich lassen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Deswegen werden wir das Mandat heute hier verlängern.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linkspartei, es mag emotional befriedigen, wenn man „Raus aus Afghanistan!“ ruft. Ich glaube aber, unserer Verantwortung, die wir als Deutschland haben, werden wir mit einem solchen Ruf bei weitem nicht gerecht.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)
Wir hatten das ISAF-Mandat; am 1. Januar 2015 ist es ausgelaufen. Die Afghanen haben selbst die Verantwortung für die Sicherheit im Land übernommen, und wir sind jetzt in einem Mandat, das von vielen NATO-Staaten getragen wird und in dessen Rahmen Deutschland einen Teil der Verantwortung in Afghanistan übernimmt. Wir tun das auf Bitte der afghanischen Regierung; das will ich hier auch noch einmal in aller Deutlichkeit sagen.
Herr Klingbeil, erlauben Sie eine Frage oder Bemerkung von Christian Ströbele?
Ja, sehr gern.
Herr Ströbele, bitte.
Ich danke für die Zulassung meiner Äußerung. – Sie haben zutreffend darauf hingewiesen, dass vor 15 Jahren der Deutsche Bundestag diesen Einsatz beschlossen hat, gegen meine Auffassung.
Dies ist heute die letzte Möglichkeit für mich, im Deutschen Bundestag gegen den Afghanistan-Einsatz zu stimmen. Ich will Ihnen das einmal vorhalten, weil mich vieles hier gerade wieder geärgert hat, wie bei jeder Diskussion über Afghanistan. Es wird einfach nicht die Wahrheit zur Kenntnis genommen, auch heute nicht – damals nicht und heute nicht.
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)
Die Wahrheit heute ist, dass selbst das Außenministerium davon spricht, in Afghanistan sei die Bedrohungslage insgesamt – nicht in irgendeiner Ecke – erheblich. So ist die Situation.
Der Kollege Annen sagt: Wir haben dort doch eine gute Regierung, wenn auch mit manchen Mängeln behaftet. – Wir haben dort doch überhaupt keine Regierung, weil die beiden Kampfhähne den Kampf, den sie schon im Wahlkampf ausgetragen haben, fortsetzen. Der Dritte im Bunde, der Vizepräsident Dostum, ist damit beschäftigt, irgendeinen Rivalen entführen zu lassen, und duldet Vergewaltigungen durch Soldaten seiner Miliz.
In Afghanistan, im Norden Afghanistans ist nichts sicher.
(Dr. Franz Josef Jung [CDU/CSU]: Doch!)
Wie kann man das noch deutlicher machen als daran, dass in dem Ort, von dem wir immer gesagt haben, dass man dorthin zurückkehren könne – der Kollege Nachtwei hat mir gesagt, dorthin könne man die Leute bringen –, im Augenblick nicht einmal ein deutsches Konsulat seiner Arbeit nachgehen kann und sich vielmehr auf Militärgelände zurückziehen muss, weil die Lage dort so unsicher ist? Sie können doch nicht immer nur sagen: Wir machen so weiter.
Jetzt ist, wie ich höre, von 2024 die Rede. Geht das jetzt bis 2024 so weiter? Damals hat man versucht, mir den Einsatz zu verkaufen, indem gesagt wurde: Er dauert höchstens ein Jahr. – 2001war das.
(Dr. Christoph Bergner [CDU/CSU]: Joschka Fischer!)
Jetzt sind wir im 15. Jahr. Das kann doch nicht wahr sein!
Ich werfe der Koalition und auch dem Außenminister vor, dass sie in Afghanistan nichts tun; mir jedenfalls ist nichts bekannt. Der Außenminister ist unterwegs, wenn es um die Ukraine geht. Er ist in Syrien unterwegs. Er bemüht sich; das erkenne ich auch an. Aber warum tun Sie nichts in Afghanistan? Es gibt keine Verhandlungen mit den Taliban. Warum verhandeln Sie denn nicht? Jetzt wird gesagt, dass es eine Einigung mit Hekmatjar gibt. Aber die gab es vor fünf Jahren schon einmal. Das bringt überhaupt nichts.
Christian Ströbele, bitte.
Lassen Sie mich noch einen Satz sagen, Frau Präsidentin.
Ja.
Sie müssen hingehen und dort unabhängig von den Amerikanern versuchen, Gespräche in Gang zu bringen und zu einer Verhandlungslösung zu kommen. Sie können das Mandat aber nicht einfach immer nur verlängern.
Bitte, Christian Ströbele!
Die Amerikaner haben mit einem Drohnenabschuss den vorletzten Taliban-Führer umgebracht. Meinen Sie, da verhandeln die Taliban mit denen? Sie sind aufgerufen, das zu tun. Dafür setze ich mich ein. Ich sage: Das ist Ihre Aufgabe.
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)
Jetzt hat Herr Klingbeil genügend Möglichkeiten, zu antworten.
Lieber Kollege Ströbele, wenn Sie eine Zwischenfrage stellen, richtet sie sich eigentlich an mich.
(Dr. Franz Josef Jung [CDU/CSU]: Das war aber keine Zwischenfrage!)
Aber ich habe jetzt wahrgenommen: Das war eher eine Äußerung, die an den Außenminister gerichtet war.
Nein, er kann auch eine Bemerkung machen; das ist geschäftsordnungsmäßig richtig. – Jetzt haben Sie, Herr Klingbeil, die Möglichkeit, Stellung zu nehmen.
Zweiter Aspekt. Ich glaube, wir alle haben zur Kenntnis genommen, dass Sie Ihre parlamentarische Arbeit mit der Bundestagswahl beenden. Ich darf Ihnen sagen: Ich bedaure das.
(Volker Kauder [CDU/CSU]: Das ist hartherzig!)
Ich habe Sie als kritische Stimme immer geschätzt.
Sie haben gerade gesagt, nach 15 Jahren hätten Sie jetzt die letzte Chance, mal wieder gegen das Afghanistan-Mandat zu stimmen. Ich sage Ihnen: Sie haben heute auch die Chance,
(Thorsten Frei [CDU/CSU]: Zuzustimmen!)
zum ersten Mal für ein gutes Afghanistan-Mandat zu stimmen. Denn ich finde, dass das, was die Bundesregierung hier vorgelegt hat, dem Land sehr wohl hilft.
Wenn Sie sagen, der Kollege Annen habe von Afghanistan das Bild gezeichnet, dass alles gut sei, und das Außenministerium und der Außenminister würden von Afghanistan das Bild zeichnen, dass alles gut sei, dann frage ich mich: Wo waren Sie bei den Debatten in den letzten Jahren, lieber Kollege Ströbele? Wir haben immer darauf hingewiesen, dass es in Afghanistan Schwierigkeiten gibt.
Sie schlagen vor: Ziehen wir die deutschen Soldatinnen und Soldaten ab, beenden wir unsere Unterstützungsleistungen, und beenden wir die Beratung der afghanischen Sicherheitskräfte. – Ich sage Ihnen: Das wäre nicht verantwortungsvoll, lieber Kollege Ströbele. Deswegen ist meine Meinung: Wir können diesem Mandat heute mit Überzeugung zustimmen.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Dr. Rolf Mützenich [SPD]: Frau Beck hat auch noch eine Frage!)
– Es gibt noch eine Frage?
(Dr. Rolf Mützenich [SPD]: Frau Beck hat noch eine! – Volker Kauder [CDU/CSU]: Sehr gut, Frau Beck! – Mechthild Rawert [SPD]: Wir möchten die Präsidentin darauf aufmerksam machen!)
Sind Sie damit einverstanden?
Ja, ich bin damit einverstanden.
(Dr. Rolf Mützenich [SPD]: Ich wollte die Frau Präsidentin nur darauf aufmerksam machen!)
Die Präsidentin hat Augen im Kopf. Danke schön, Herr Mützenich, für diesen Hinweis. – Herr Klingbeil ist einverstanden. Dann Frau Beck, wobei wir hier jetzt keine interne grüne Debatte aufmachen sollten.
Wäre aber auch mal ganz spannend.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch ich werde, wie mein Kollege Christian Ströbele, heute zum letzten Mal zu einem Mandat für Afghanistan meine Stimme abgeben. Anders als Christian Ströbele werde ich, wie in den ganzen Jahren zuvor, für dieses Mandat stimmen, weil ich es für richtig halte.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Bei Ihnen ist es gut, dass Sie aufhören!)
Auch ich möchte noch einmal den Blick auf das zurückwenden, was vor 15 Jahren gewesen ist. Vor 15 Jahren gab es ein Land, in dem kein Mädchen mehr zur Schule gehen konnte, in dem Unterricht für Mädchen, wenn überhaupt, in Kellern stattfand, in dem die durchschnittliche Geburtenzahl von Frauen bei acht Kindern lag und in dem in der Regel die Frauen bei einer der späteren Geburten ihr Leben verloren haben.
(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Ist das eine Gegenrede zu Christian Ströbele, oder was ist das hier? Das könnt ihr doch miteinander beim Parteitag ausfechten!)
Es gab nämlich kein ärztliches Gesundheitswesen mehr. Das Gesundheitswesen, das von Russland, damals noch der Sowjetunion, nach Afghanistan gebracht worden war, war nämlich eines, das durch Frauen betrieben worden war. Und da Frauen das Haus nicht mehr verlassen durften, gab es auch kein Gesundheitswesen. Es gab auch keine Studenten mehr. Die hätten ein neues Gesundheitswesen, ein neues Schulwesen, ein neues Universitätswesen aufbauen können.
(Zurufe von der LINKEN)
All das beschreibt den Zustand vor 15 Jahren. So wurde das Land vorgefunden, und es gab viele, viele Menschen und – Christian Ströbele, ich stimme dir zu – viel zu hoch gesteckte Erwartungen. Aber: Ist die Tatsache, dass wir keine Erfahrung mit Fundamentalismus und damit, wie schwer er einzugrenzen und zu besiegen ist, hatten, ein Grund dafür, nach 15 Jahren zu sagen: „Es ist uns zu schwer, wir ziehen uns jetzt deswegen zurück und überlassen die Menschen wieder denen,
(Zurufe von der LINKEN)
die sich dieses Land unter Androhung von Gewalt, unter Zurückdrängung der Frauen, unter Missachtung aller Menschenrechte wieder zu eigen machen wollen“? Ich halte das nicht für eine ethisch vertretbare Konsequenz. Da wir diese Debatte schon manches Mal im Deutschen Bundestag hatten, sage ich das als eine Frau, die sehr wohl in dem Bewusstsein Politik gemacht hat, dass der deutsche Faschismus uns eine Verpflichtung auferlegt hat, nämlich da zu sein, wenn Menschen gequält und erniedrigt werden.
Dürfte ich Sie jetzt auch bitten, zum Ende zu kommen!
Und der fundamentale Pazifismus ist nicht die einzige Antwort darauf, wie das zu geschehen hat, sondern die Antwort kann auch lauten, dass wir Menschen schützen müssen. Eben das versuchen wir in Afghanistan.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Das ist die neue Koalition! – Abg. Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] nimmt wieder Platz)
Bitte stehen bleiben, weil der Kollege Klingbeil jetzt die Möglichkeit hat, zu antworten. – Herr Klingbeil, bitte.
Liebe Kollegin Beck, ich kann auf Sie ganz kurz antworten. Ich habe auch noch eine Redezeit von 1 Minute und 30 Sekunden.
Nein, nein, das wird um die Antwort verlängert.
Vielen Dank. – Hätte ich gesessen, hätte ich auch geklatscht. Vielen Dank für Ihre Anmerkungen und auch für die Unterstützung des Weges, den wir in Afghanistan gehen wollen.
Ich will, liebe Kolleginnen und Kollegen, noch einmal festhalten: Das Mandat auf militärische Auseinandersetzung zu reduzieren, ist falsch. Wenn wir in das Mandat hineingucken, dann sehen wir – ich will das hier explizit erwähnen und dem Außenminister Steinmeier danken –, wie viel außenpolitisches Engagement auch in unserem Afghanistan-Engagement steckt. Es sind 510 Millionen Euro, die wir jährlich in Afghanistan investieren. Das ist das Land, für das wir sozusagen das meiste ausgeben: 250 Millionen Euro für Entwicklungshilfe, 70 Millionen Euro jährlich für die Ausbildung der Polizei, 110 Millionen Euro für Stabilisierungsmaßnahmen. Also, wir sehen, es gibt ein Gesamtkonzept, das die deutsche Bundesregierung hier verfolgt.
Es geht darum, Stabilität und Sicherheit in Afghanistan herzustellen, weil das der Nährboden ist, auf dem dann Demokratie und friedliche Prozesse auch in diesem Land, wie wir es uns, glaube ich, alle wünschen, weiter gedeihen und wachsen können.
Zum Ende, liebe Kolleginnen und Kollegen, will ich noch einmal sagen: Ich finde es gut, wenn wir hier so intensiv über Außen- und Sicherheitspolitik diskutieren. Wir sollten das eigentlich viel öfter hier im Parlament tun. Wir schicken auch mit diesem Mandat wieder 980 Soldatinnen und Soldaten – das ist die Obergrenze – nach Afghanistan. Wir haben andere Auslandseinsätze, bei denen wir nicht nur Soldatinnen und Soldaten, sondern auch zivilen Helfern, Entwicklungshelfern ganz viel abverlangen.
Gerade jetzt, wo die Feiertage bevorstehen, wo Weihnachten bevorsteht, denken Sie einmal daran, was das für Familien bedeutet, wenn man weiß: Der Mann oder die Frau, der Vater oder die Mutter sind in Afghanistan, und man ist in diesen Tagen nicht zusammen. – Deswegen finde ich es wichtig – das möchte ich nicht nur für meine Fraktion tun, sondern, ich glaube, ich kann das für das ganze Haus tun –, all denen zu danken, die Verantwortung übernehmen, wenn wir hier Mandate beschließen. All diesen möchte ich besinnliche und hoffentlich ruhige Feiertage sowie eine gesunde Rückkehr nach Deutschland wünschen.
Herzlichen Dank fürs Zuhören.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie des Abg. Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Vielen Dank, Lars Klingbeil. – Zu einer Kurzintervention hat Christine Buchholz das Wort.
(Dr. Rolf Mützenich [SPD]: Warum?)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7045742 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 209 |
Tagesordnungspunkt | Bundeswehreinsatz in Afghanistan |