Lothar RiebsamenCDU/CSU - Personalbemessung in der Altenpflege
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der Tat ist es ohne Zweifel notwendig, immer wieder über das Thema Pflege zu reden. Das zeigen schon die nackten Zahlen: 20 Millionen Menschen werden jedes Jahr in den Krankenhäusern versorgt und gepflegt – rechnerisch ein Viertel der gesamten Bevölkerung –; dazu kommen 2,7 Millionen Menschen, die in der stationären Altenpflege und der ambulanten Altenpflege versorgt werden. Deswegen ist es vor Weihnachten richtig, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und den Pflegekräften in unseren Krankenhäusern, in unseren Pflegeheimen und in den Sozialstationen ein herzliches Dankeschön zu sagen.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
Sie leisten großartige Arbeit, sie leisten qualitativ hochwertige Arbeit. Dies belegen aktuelle Patientenbefragungen, und dies belegen auch immer wieder Studien.
Ich habe durchaus Verständnis dafür, wenn die Linke als Oppositionspartei Forderungen stellt wie die Abschaffung der Beitragsbemessungsgrenze; denn dann kann man schnell 100 000 Pflegekräfte einstellen. Das können Sie aber auch nur fordern, weil Sie nicht in der Situation sind, das tatsächlich umsetzen zu müssen, und Sie werden auch nie in die Situation kommen.
(Zuruf von der CDU/CSU: Hoffentlich! – Zuruf des Abg. Alexander Ulrich [DIE LINKE])
– Ich glaube nicht, dass Sie in die Situation kommen. – Aber ich kann überhaupt nicht verstehen, dass Sie in Ihrem Antrag schreiben, dass in deutschen Krankenhäusern eine strukturell gefährliche Pflege gemacht wird. Das weise ich entschieden zurück.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
Das diffamiert die Pflege in unseren Krankenhäusern und auch in unseren Pflegeheimen. Ich sage Ihnen eines: Auf diese Weise gewinnen Sie nicht eine Pflegekraft dazu.
(Mechthild Rawert [SPD]: Ja!)
Nicht ein junger Mensch wird sich dazu entschließen, Altenpfleger oder Krankenpfleger zu werden, wenn Sie die Pflege in Deutschland auf diese Weise darstellen.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
Nun ist es ja durchaus nicht falsch, darauf hinzuweisen, dass wir vor Einführung der DRGs in den 90er-Jahren die meisten Pflegekräfte in Deutschland hatten. Damals hatten wir 350 000 Vollzeitpflegekräfte in den Krankenhäusern. Diese Zahl sank auf unter 300 000. Das hat den Krankenhäusern nicht gutgetan.
Herr Kollege Riebsamen, die Kollegin Zimmermann würde Ihnen gerne eine Frage stellen. Lassen Sie das zu?
Ja, bitte schön.
Bitte schön.
Vielen Dank, dass Sie die Frage zulassen. – Ich will auf die Ausbildung zu sprechen kommen, weil Sie einen Zusammenhang zwischen der Ausbildung und den strukturellen Problemen vor Ort hergestellt haben. Natürlich haben wir in den Häusern strukturelle Probleme. Sie müssen einmal mit den Kolleginnen reden und sie fragen, wie es ihnen geht und wie sie ihre Arbeit verrichten können. Sie müssen wissen, dass Menschen, die in der Pflege arbeiten – dazu gibt es unterschiedliche Studien –, durchschnittlich nach sieben, acht oder neun Jahren ihren Beruf wieder verlassen, weil sie die Arbeit physisch und psychisch nicht aushalten.
Es gibt viele Anzeigen, dass Pflege nicht verrichtet werden konnte und dass Notfälle im Bereich der Pflege auftraten. Soll ich den Kolleginnen und Kollegen oder den Menschen, die eine Ausbildung in der Pflege beginnen, vormachen, dass alles wunderbar ist, dass alles ganz prima ist, dass es selbstverständlich verlässliche Dienstpläne gibt usw.? Soll ich den jungen Menschen vormachen, dass man den Beruf, den man erlernt hat, auch tatsächlich ausüben kann? Das macht doch keinen Sinn.
Sie müssen an einer anderen Stelle ansetzen. Sie müssen den Beruf attraktiv machen. Die Menschen müssen wissen, dass sie verlässliche Dienstpläne haben, dass sie ihre Arbeit verrichten können und dass sie mit den Menschen menschenwürdig umgehen können. Ich glaube nicht, dass wir Fachkräfte gewinnen können, indem wir den Schülerinnen und Schülern die Probleme vorenthalten.
Ich will Ihnen noch eine Sache sagen. Zu mir kommen oft Besuchergruppen aus Altenpflegeschulen. Ich frage mich immer wieder – das spreche ich natürlich auch an –, warum die Gruppen so klein sind. Ich höre jedes Mal, dass die meisten, wenn sie in die Praxis kommen, ihren Berufswunsch aufgeben und die Ausbildung verlassen. Ich frage Sie: Warum machen die das? Haben Sie sich darüber einmal Gedanken gemacht?
Frau Zimmermann, ich sage Ihnen: Bleiben Sie einfach nur bei der Wahrheit. Stellen Sie nicht in den Raum, dass strukturell bedingt – so haben Sie das geschrieben; Sie sprechen nicht von Einzelfällen – eine gefährliche Pflege in den Krankenhäusern und den Pflegeheimen geleistet wird. Das ist schlicht und ergreifend nicht wahr.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)
Das wäre ein Straftatbestand. Wenn Sie entsprechende Erkenntnisse haben, dann müssen Sie das beim Gesundheitsamt anzeigen. Das, was Sie sagen, ist einfach nicht richtig. Das kommt in Einzelfällen durchaus vor, aber eben nicht strukturell bedingt. Sie stützen sich bei Ihrer Aussage auf einen Enthüllungsjournalisten, dessen Enthüllungen vom Landgericht Hamburg kassiert wurden. Das muss man an der Stelle auch sagen. Da ist Ihnen wohl nichts Besseres eingefallen. Es gibt wirklich gute Gründe, um über die Situation in der Pflege zu reden; das habe ich eingangs gesagt. So seltsame Gründe wie die, die Sie hier in die Welt setzen, braucht man dafür nicht.
(Zuruf der Abg. Pia Zimmermann [DIE LINKE])
Ich habe mich vorhin noch vornehm ausgedrückt. Das muss ich schon sagen. Es war der adventlichen Gnade geschuldet, dass ich mich zurückhaltend ausgedrückt habe. Zu jeder anderen Jahreszeit würde ich es so formulieren: Das ist eine Frechheit gegenüber denen, die diese tolle Arbeit in den Pflegeheimen und Krankenhäusern leisten.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Dagmar Ziegler [SPD] – Pia Zimmermann [DIE LINKE]: Sie haben es nicht verstanden, und Sie werden es auch nicht verstehen!)
Ich habe gesagt, dass die Krankenhäuser im Zusammenhang mit der Einführung der DRGs zu viele Pflegestellen abgebaut haben. Die Zahl der Pflegekräfte sank von 350 000 auf unter 300 000. Die Krankenhäuser haben das Problem selbst erkannt. Sie haben erkannt, dass man bei schlechter Pflege keine hohen Qualitätsstandards einhalten kann. Sie haben die Zahl der Pflegekräfte von sich aus erhöht.
Aber auch seitens der Politik haben wir Maßnahmen ergriffen. Das Wichtigste, was zu Regierungszeiten der Großen Koalition und davor gemacht wurde, ist schon erwähnt worden. Das Pflegestellen-Förderprogramm von 2009 und das Pflegestellen-Förderprogramm in dieser Legislaturperiode haben dazu geführt, dass wir heute in etwa gleich viele Stellen haben wie vor Einführung der DRGs. Das war eine große Leistung.
Ich möchte noch eines ergänzen, was bisher noch nicht gesagt wurde: Wenn sich nun die Länder dazu durchringen könnten, die Investitionskosten zu finanzieren, und wenn sie nicht Geld aus den Krankenhäusern abziehen würden, indem sie deren Erlöse einkassieren, wenn die Länder also ihren Verpflichtungen nachkommen würden, dann hätten die Krankenhäuser noch mehr Geld, um den berechtigten Forderungen nach mehr Pflegepersonal nachzukommen.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Ich möchte zum Schluss darauf hinweisen, dass es natürlich wichtig ist, über Geld und über Stellenschlüssel zu reden. Das ist überhaupt keine Frage. Aber wir sollten uns auch die Frage stellen, was wir tun können, um stationäre Pflege möglichst zu verhindern. Die Menschen möchten ihren letzten Lebensabschnitt sowieso lieber zu Hause verbringen und zu Hause sterben. Es ist auch preisgünstiger, zu Hause zu sein, als ein teures Pflegeheim zu bezahlen. Aber darauf will ich jetzt gar nicht hinaus. Mir geht es um etwas anderes. Mir geht es darum, dass wir, wenn wir den ambulanten Bereich stärken und wenn mehr Leute zu Hause gepflegt werden können, weniger Pflegekräfte in den Pflegeheimen brauchen; damit meine ich nicht, dass der Stellenschlüssel geändert werden soll.
Die finanziellen Rahmenbedingungen haben wir mit dem Pflegestärkungsgesetz I geschaffen. Aber wenn wir die Rahmenbedingungen verbessern wollen, dann geht es nicht nur um das Geld, sondern auch darum, dass wir die Kurzzeitpflegeplätze – wir haben das Budget für den Einzelnen von 1 600 auf 3 200 Euro im Jahr verdoppelt – dann vor Ort vorhalten. Das gilt auch für die Tagespflegeplätze. Beides stützt die ambulante Versorgung, Tagespflege und Kurzzeitpflege. In der Tagespflege haben wir ein Budget von um die 20 000 Euro pro Jahr für jeden Einzelnen eingeführt. Allein die Tagespflegeplätze stehen in der benötigten Breite nicht zur Verfügung.
Deswegen werden wir uns Gedanken machen müssen, wie wir das in Zukunft erreichen. Die Kostenträger sind gefordert, dieses Geld jetzt vor Ort auszugeben, den Heimträgern Angebote zu machen und Anreize zu schaffen, Kurzzeitpflegeplätze und auch Tagespflegeplätze auszuweisen, um so den ambulanten Bereich zu stärken. Das wird im nächsten Jahr, im Jahr 2017, und in den kommenden Jahren unsere Aufgabe sein. Dazu wünsche ich uns viel Erfolg.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Vielen Dank. – Für die SPD-Fraktion spricht jetzt Mechthild Rawert.
(Beifall bei der SPD)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7045771 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 209 |
Tagesordnungspunkt | Personalbemessung in der Altenpflege |