15.12.2016 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 209 / Tagesordnungspunkt 12

Lisa PausDIE GRÜNEN - Einflussmöglichkeiten auf politische Willensbildung

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Der Weg war jetzt auch nicht so weit. – Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Bürgerinnen und Bürger! Die Grünen hätten heute gern über die Antworten der Bundesregierung auf unsere Große Anfrage zur möglichen Gefährdung des gleichberechtigten Einflusses aller Bürgerinnen und Bürger auf die politische Willensbildung gesprochen; aber leider hat die Bundesregierung unsere Fragen gar nicht oder nichtssagend beantwortet. Von daher gibt es eigentlich gar nicht viel zu bereden.

Das passt allerdings vollkommen zur heutigen Mitteilung der Süddeutschen Zeitung, dass die Bundesregierung im kommenden Armuts- und Reichtumsbericht klare Aussagen darüber, ob Menschen mit mehr Geld einen stärkeren Einfluss auf politische Entscheidungen haben als Einkommensschwache, schlichtweg gestrichen hat, obwohl genau dies das Ergebnis der von der Bundesregierung selbst in Auftrag gegebenen Studie gewesen ist.

In der Antwort auf unsere Große Anfrage erklärte die Bundesregierung entsprechend lapidar zu einer ganzen Reihe von Fragen, wie zum Beispiel zum steuerlich geförderten Einfluss von Berufs- und Unternehmensverbänden, dass ihr dazu leider keine Erkenntnisse vorliegen. Diese Verweigerung der Diskussion über zentrale Problemlagen unserer pluralistischen Demokratie ist einfach – um nichts Schlimmeres zu sagen – eine Frechheit.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Der konkrete Anlass unserer umfassenden Großen Anfrage war allerdings ein anderer, aber nicht weniger brisant, nämlich die Frage, ob sich der Gemeinnützigkeitsstatus einer Organisation mit politischen Aktivitäten verträgt oder nicht.

Meine Damen und Herren, liebe Bürgerinnen und Bürger, als die globalisierungskritische Organisation ­Attac in diesem Sommer wieder einmal ihre Sommerakademie ausrichten wollte, da hatte sie ein Problem. Es gab viele Stiftungen, die Attac unterstützen wollten, aber sie durften es nicht; denn die Satzungen der Stiftungen und die Gesetzeslage besagen, dass sie nur gemeinnützige Organisationen unterstützen dürfen. Attac war aber 2014 die steuerliche Gemeinnützigkeit vom Finanzamt Frankfurt abgesprochen worden,

(Zuruf von der CDU/CSU: Sehr sinnvoll!)

weil – so argumentierte das Finanzamt – Attac zu stark politisch tätig sei

(Zuruf von der CDU/CSU: Richtig!)

und damit nicht gemeinnützig sein könne. Diese Entscheidung ist nun zweieinhalb Jahre später vom Finanzgericht Kassel zurückgenommen worden,

(Zuruf von der CDU/CSU: Falsch!)

und zwar mit Pauken und Trompeten. Das Gericht hat Attac in allen Punkten bestätigt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Die Richter betonten, dass politische Aktivitäten gemeinnützigen Zwecken nicht entgegenstehen. Im Gegenteil: Gemeinnützige Zwecke wie Bildung oder Förderung des demokratischen Gemeinwesens seien ohne Einfluss auf politische Willensbildung kaum zu verfolgen, so die Richter; eine wichtige Klarstellung, die wir ausdrücklich begrüßen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

Ist also nun wieder alles okay? Ist Attac ein Einzelfall, wie die Bundesregierung meint, der politisch aufgebauscht wurde? Sind die Regeln okay? Sollten wir schlichtweg auf den Rechtstaat vertrauen? Mitnichten, liebe Bürgerinnen und Bürger. Es gibt aus unserer Sicht deutlichen Änderungsbedarf.

Bei der Vorbereitung unserer Großen Anfrage hatten wir Grünen zu einem Fachgespräch eingeladen. Der Einladung sind allein 60 Vertreterinnen und Vertreter von gemeinnützigen Körperschaften gefolgt. Sie bestätigten ihre ständige Furcht, dass man ihnen die Gemeinnützigkeit entziehen könnte, wenn sie zum Beispiel eine Demonstration oder eine Kampagne zu viel wagen oder weil sich ihr konkreter Zweck nicht in dem langen, aber veralteten Zweckkatalog der Abgabenordnung wiederfindet – darunter waren so bekannte Organisationen wie Amnesty International, Brot für die Welt, Greenpeace oder die Deutsche Liga für Menschenrechte –; denn ein universeller Zweck wie der Einsatz für Menschenrechte ist eben gerade nicht in der Abgabenordnung aufgeführt. Auch der BUND in Hamburg hat inzwischen seine Gemeinnützigkeit entzogen bekommen, genauso wie die Frauenorganisation Dona Carmen.

(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Skandal!)

Viele andere Fälle werden gar nicht erst publik. Wenn sich zum Beispiel ein niedersächsischer Verein, der einen örtlichen Christopher Street Day veranstalten möchte, sieben Jahre lang beim Finanzamt um die Anerkennung der Gemeinnützigkeit bemüht, dann ist das öffentlich kein großes Thema, aber trotzdem nicht in Ordnung, meine Freundinnen und Freunde, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

Einen Prozess über zweieinhalb Jahre, wie Attac ihn durchlaufen musste, überleben schlichtweg die wenigsten Organisationen; denn eine solche Aberkennung hat drastische Konsequenzen. Steuernachzahlungen werden fällig, Spendenbescheinigungen müssen widerrufen werden, und nicht nur die Kooperation mit bisherigen gemeinnützigen Partnerorganisationen fällt weg, sondern auch die Antragsberechtigung für öffentliche Gelder hängt am Gemeinnützigkeitsstatus.

Frau Kollegin.

Ich komme zum Schluss, Herr Präsident.

Es gibt gute Gründe für die Sonderregelungen im Gemeinnützigkeitsrecht, aber es gibt keinen guten Grund, der wachsenden Rechtsunsicherheit und der stark unterschiedlichen Beurteilungspraxis der Finanzämter einfach weiter zuzusehen. Die Gemeinnützigkeit muss modernisiert und konkretisiert werden. Es hätte der Bundesregierung mehr als gut angestanden, zumindest durch Lieferungen von offiziellen Daten eine breite lösungsorientierte Debatte zu ermöglichen. Wir fordern dies weiter ein. Wir werden Sie weiter antreiben. Wir lassen die Organisationen nicht im Stich. Darauf können sie sich verlassen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Bevor ich den nächsten Redner aufrufe, gebe ich das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Gesetzentwurf zur Stärkung der Bekämpfung der Schwarzarbeit und der illegalen Beschäftigung bekannt: abgegebene Stimmen 563. Mit Ja haben gestimmt 509, mit Nein hat niemand gestimmt, enthalten haben sich 54 Kolleginnen und Kollegen. Damit hat der Gesetzentwurf die erforderliche Mehrheit erreicht.

Nächster Redner ist der Kollege Christian von Stetten für die CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7045968
Wahlperiode 18
Sitzung 209
Tagesordnungspunkt Einflussmöglichkeiten auf politische Willensbildung
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