Lothar BindingSPD - Manipulation an digitalen Grundaufzeichnungen
Herr Präsident! Sehr verehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Richard Pitterle, es stimmt: Große Lösungen kann man manchmal auch mit kleinen Schritten erreichen. Das machen wir heute.
(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Manfred Grund [CDU/CSU] – Susanna Karawanskij [DIE LINKE]: Wie oft haben wir das diskutiert im Ausschuss!)
Die Hauptsache ist, dass man ankommt.
Ich wollte zunächst Andreas Schwarz danken, der uns heute vor seiner Grippe bewahren will und deshalb zu Hause geblieben ist. Er ist der Berichterstatter für diesen Tagesordnungspunkt. Ich wollte ihm von hier aus alles Gute wünschen. Gute Besserung! Wir hätten ihn heute gebraucht, aber ich versuche, ihn zu ersetzen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. Dr. Thomas Gambke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Er hat mit starkem Gegenwind sehr gut verhandelt; das muss man sagen, denn die CDU hat sich wirklich nicht leichtgetan, das Gesetz, selbst so, wie es jetzt ist, mitzutragen.
Ich möchte aber auch Uwe Feiler danken. Als Finanzbeamter hat er fair bis zum Ende verhandelt. Auch für ihn war es nicht immer leicht; das kann sich jeder vorstellen. Das fängt schon mit dem Titel an – das hat er erwähnt –: „Gesetz zum Schutz vor Manipulationen an digitalen Grundaufzeichnungen“. Man hätte auch einfach sagen können: „Gesetz gegen Kassenbetrug“. Oder noch besser: „Gesetz gegen Betrug beim Bezahlen“ oder „... beim Kassieren“. Das hätte jeder sofort verstanden. Aber der Name deutet schon an, dass man sich an dieses Thema nicht so richtig herangewagt hat.
Das Ziel des Gesetzes ist der gleichmäßige Steuervollzug. Das klingt sperrig, heißt aber, dass wir betrugsbedingte Wettbewerbsnachteile vermeiden wollen.
(Beifall bei der SPD)
Wir wollen einen fairen Markt. Deshalb ist dieses Gesetz, so wie es jetzt ist, noch nicht ganz fertig, aber es ist auf dem richtigen Weg. Wir haben Probleme in der Praxis. Bei der steuerlichen Außenprüfung gibt es eine ganze Reihe von Problemen. Wir haben nicht dokumentierte Stornierungen. Wir haben nicht erkennbare Änderungen durch Programme. Wir haben Manipulationssoftware, also Phantomware oder Zapper. All dies stellt die gesamte Dokumentation im Grunde infrage. Und natürlich gibt es die Möglichkeit, die Kasse ganz zu umgehen. Aber dann ist es schon fast offensichtlich, was passiert.
Außerdem fehlen bisher noch gesetzliche Regelungen. Es stimmt: Das hätten wir vielleicht früher machen können. Aber man hat nicht immer alle Ideen gleich am Anfang. Zum Beispiel ist die Unveränderbarkeit von Informationen, die Integrität, nicht gegeben. Auch die Herkunft der Daten, die Authentizität, ist nicht gesichert. Auch das sind wichtige Voraussetzungen, die man braucht, um sicher mit Daten umgehen zu können. Auch die Vollständigkeit digitaler Aufzeichnungen ist nicht gewährleistet und auch gesetzlich nicht geregelt. Deshalb muss man unbedingt etwas tun.
Schon bisher galt für Aufzeichnungen: Sie mussten einzeln, vollständig, richtig, zeitgerecht geordnet und auch unveränderbar sein. Es gab schon Regeln; und das sind sehr gute Grundsätze. Angenommen, es gäbe keinen Betrug, wäre alles in Ordnung. Leider werden diese Grundsätze nicht von allen beherzigt. Keine Quittung, keine Buchung, keine Dokumentation – all das sind Beispiele dafür. Es kann natürlich, wie jeder weiß, vorkommen, dass man vergisst, dem Finanzamt Umsätze zu melden. Das könnte im Prinzip jedem passieren. Und gelegentlich bekommt man auch zu hören: „Bei uns nur Cash!“ Dann schaue ich genauer hin und frage mich – ich hoffe, da geht es mir so wie Ihnen –: Was läuft hier eigentlich ab? – Ich bin ja kein Testkäufer, aber in diesem Moment wäre ich gerne einer gewesen.
Mit diesem Gesetz – das ist der erste große Schritt – wollen wir die Einzelaufzeichnungspflicht auch für elektronische Aufzeichnungssysteme, also für Kassen, Taxameter usw., verankern. Dafür haben wir uns sehr massiv eingesetzt. Die CDU/CSU hat sich anfangs ein bisschen schwergetan. Aber wir wollen im Prinzip, dass alle elektronischen Aufzeichnungssysteme und die digitalen Aufzeichnungen selbst durch zertifizierte technische Sicherheitseinrichtungen geschützt werden, sodass man davon ausgehen kann: Das ist ein System, in dem man sich auskennt und bei dem man weiß, was passiert.
Die Einzelaufzeichnungspflicht gilt zwar nach den GoB, den Grundsätzen ordnungsgemäßer Buchführung, schon jetzt. Seit den 60er-Jahren gibt es aber eine vom BFH bestätigte Ausnahme. Das ist auch klug; denn es gibt ja Leute, die mit ganz geringen Werten handeln: zum Beispiel Zeitungskioske oder ein Erdbeerverkäufer, der vielleicht mit einer Untertasse am Straßenrand Erdbeeren verkauft. Für diese wollen wir die Einzelaufzeichnungspflicht natürlich nicht. Interessant ist, dass diese Ausnahme bei elektronischen Kassen aber nicht gilt. Was würden Sie also machen, wenn sie bei diesen nicht gilt? Ich habe eine ganz einfache Antwort: Kasse weg, dann gilt die Ausnahme.
Man merkt: Hier gibt es eine Lücke im System, über die wir nachdenken müssen; denn wenn wir diese Art von Lücken weiter dulden, dann erreichen wir mit unserem Gesetz das gewünschte Ziel nicht. Deshalb wollen wir bei allen elektronischen Kassen eine Belegausgabepflicht, um das Entdeckungsrisiko bei Betrug zu erhöhen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Was das angeht, habe ich nie verstanden, warum sich die CDU/CSU so vehement dagegen gewehrt hat, und zwar gegen den Rat aller Experten und auch gegen die Forderungen des Bundesrates.
Die Pflicht zur Belegausgabe bei elektronischen Kassen gilt – das ist ein schöner SPD-Erfolg –; aber bei unverhältnismäßiger Härte und bei offenen Kassen gilt diese Pflicht nicht. Das ist eine Verwässerung, die wir gerne verhindert hätten. Vielleicht kann der Kollege Güntzler nachher erklären, warum der Gesetzentwurf an dieser Stelle so verwässert wurde. Ich sage: Dabei handelt es sich um zwei Pyrrhussiege. – Jeder weiß ja: Pyrrhus siegte in der Schlacht bei Asculum über die Römer, und dann ging er nach Hause und sagte: „Noch so ein Sieg, und wir sind verloren!“ Da muss man also aufpassen, dass die CDU/CSU nicht noch weitere Siege davonträgt.
(Heiterkeit und Beifall bei der SPD – Heiterkeit bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Sehr gut ist die Pflicht zur Kassenregistrierung. Es gibt eine Meldepflicht beim Finanzamt, weil wir verhindern wollen, dass man mit einer Zweitkasse an der ersten Kasse vorbeiarbeiten kann. Das ist sehr gut. Allerdings gibt es – das wurde schon gesagt – keine allgemeine Kassenpflicht. Damit hat man auch diese gute Idee teilweise wieder konterkariert. Das ist schlecht.
Schlecht finden wir auch, dass INSIKA, das ein gutes Verfahren ist, jetzt per Gesetz für einige Jahre ausgeschlossen wird. Herr Pitterle hat schon etwas dazu gesagt; deswegen gehe ich jetzt nicht im Detail darauf ein. Zusammenfassend könnte man sagen: Stattdessen warten wir per Gesetz darauf, dass Unternehmen eine komplizierte Software entwickeln, die den ersten Tastendruck registriert, um den Beleg mit einem Sicherheitsmerkmal auszustatten. Leider haben wir das aber bisher nicht. Sie haben vorhin gesagt, der Gesetzentwurf sehe ein entsprechendes Verfahren vor. Nein, laut Gesetzentwurf warten wir darauf, dass Unternehmen ein Verfahren entwickeln, das wir dann benutzen wollen. Das heißt im Prinzip, dass wir bis zum Jahr 2020 nichts oder zu wenig haben. Das ist nicht gut.
Was sehr gut ist, ist, dass die unangekündigte Kassennachschau kommt. Der Prüfer kann die Kasse sozusagen spontan prüfen. Im Entwurf stand – da habe ich das BMF nicht verstanden –: ab 2020. Eigentlich könnten die Prüfer doch schon in der nächsten Woche damit beginnen. Wir haben dann in kleinteiligen Verhandlungen das auf 2018 verkürzt. Ich frage mich genauso wie Andreas Schwarz: Warum gilt das nicht ab dem 1. Januar 2017? Im Grunde haben die Gauner ein Jahr gewonnen.
Da weder der Anwendungsbereich des Gesetzes definiert wurde, noch die technischen Spezifikationen als Grundlage für das Gesetz bekannt sind, gibt es einen Beschluss der ganz besonderen Art. – Frau Präsidentin, da ich sehe, dass ein Minuszeichen bei meiner Redezeit steht, komme ich zu meinem letzten Satz: Normalerweise kann die Verwaltung oder die Regierung eine Rechtsverordnung erlassen. Wir haben nun einen ganz besonderen Beschluss vorliegen, der auf eine Idee von Ralph Brinkhaus und Andreas Schwarz zurückgeht. Wir haben gesagt: Die Ermächtigung der Verwaltung, eine Rechtsverordnung zu erlassen, steht unter dem Zustimmungsvorbehalt des Bundestages. Das heißt, wenn das Gesetz scharf geschaltet wird, wird der Bundestag noch einmal gefragt. Aufgrund dieser wirklich guten Idee kann man, wie wir denken, diesem Gesetzentwurf zustimmen und dann auf die Ausgestaltung warten.
Weil Weihnachten kurz bevorsteht, mache ich eine ganz besondere Abschlussbemerkung. Wir alle erleben in diesem Parlament, dass wir nach jeder Rede ein Protokoll bekommen. Ich finde, die Betreffenden machen eine geniale Arbeit. Wenn ich sehe, wie unsere Reden hier protokolliert werden, kann ich nur sagen: Das ist einmalig gut. Dafür will ich mich beim Protokolldienst bedanken.
Ich wünsche allen schöne Weihnachten.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Vielen Dank. – Für Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt Dr. Thomas Gambke.
Source | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
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Electoral Period | 18 |
Session | 209 |
Agenda Item | Manipulation an digitalen Grundaufzeichnungen |