15.12.2016 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 209 / Tagesordnungspunkt 16

Peter MeiwaldDIE GRÜNEN - Schutz zahlungsunfähiger Staaten vor Spekulanten

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Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Geierfonds ist ein beinahe niedlich klingender, aber auf der anderen Seite auch zutreffender Name für ein Spekulationsmodell, das Staaten an den Rand des Ruins oder manchmal darüber hinaus treibt.

Worum geht es? Staaten, vor allen Dingen Entwicklungsländer, geraten mitunter in drohende Zahlungsunfähigkeit, und das aus verschiedenen Gründen. Schlechte Regierungsführung wird immer genannt, aber es kann auch unverschuldet passieren, zum Beispiel durch Naturkatastrophen oder Krisen an den Rohstoffmärkten. In solchen Krisensituationen haben Staaten nicht, wie es im Privatrecht der Fall ist, die Möglichkeit, Insolvenz anzumelden; Firmen haben diese Möglichkeit, Staaten nicht.

Tritt nun eine Staatspleite ein, versuchen die Gläubiger, an den Märkten ihre dann praktisch wertlosen Staatsanleihen loszuwerden. Der Rausch der Geier beginnt. Zu Ramschpreisen kaufen sie Forderungen auf, um sie später zu vergolden. Es gibt dann Verhandlungen; aber an einer Verhandlungslösung oder einer gerechten Verteilung der Verluste sind die Geier natürlich nicht interessiert. Das müssen sie auch nicht sein; denn es existiert immer noch kein weltweites Staateninsolvenzregime, das alle Gläubiger an den Verhandlungstisch zwingt. Die Bundesregierung ist hieran leider mitschuldig. Deutschland hat 2015 in den Vereinten Nationen gegen ein geordnetes Staateninsolvenzrecht gestimmt.

Doch zurück zu den Geierfonds. Wie über Verdurstenden in der Wüste kreisen auch über zahlungsunfähigen Staaten die Geier. Doch im Gegensatz zu Geiern in der Natur warten die Spekulanten ab, bis der Staat die rettende Oase erreicht hat, bis große Gläubiger freiwillig verzichtet haben – darunter Deutschland und damit auch die Steuerzahler in diesem Land –, bis der Staat wieder einigermaßen auf die Füße gekommen ist und die Daseinsvorsorge wieder einigermaßen funktioniert. Erst dann schlagen die Geierfonds zu. Dann ziehen die Fonds vor unsere Gerichte, die Gerichte in den Industriestaaten – und das mit Erfolg. Sie zwingen die verschuldeten Staaten dazu, ihnen den Nennwert der Anleihen plus Zinsen zu bezahlen, obwohl sie selber nur einen Bruchteil davon bezahlt haben, als sie die Anteile aufgekauft haben. Renditen von über 1 000 Prozent sind auf diese Weise schon erzielt worden.

Das bekannteste Beispiel dürfte der Geierfonds NML Capital sein, der Profit aus der Staatspleite Argentiniens geschlagen hat. Die übrigen Gläubiger stimmten einem Schuldenschnitt zu und verzichteten auf mehr als die Hälfte ihres Geldes. Nicht so NML Capital: Der Geierfonds verklagte Argentinien vor einem Gericht in den USA auf volle Zahlung und bekam recht.

Wir als grüne Bundestagsfraktion fordern mit dem Ihnen heute vorliegenden Antrag, diesem Treiben endlich Einhalt zu gebieten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

Investmentfonds handeln zwar im Moment durchaus nach Recht und Gesetz; aber sie verletzen, zumindest nach unserem Verständnis, Werte wie Anstand und Würde. Jemanden, der schon am Boden liegt, tritt man nicht auch noch. Jene, die helfen wollen, sollen dafür nicht bestraft werden, so wie die Steuerzahler hier bei uns.

Belgien und Großbritannien haben bereits gehandelt. Sie haben Antigeiergesetze erlassen. Es wird Zeit, dass auch wir hier in Deutschland tätig werden. Das wäre auch im Sinne der nachhaltigen Entwicklungsziele der Vereinten Nationen, zu denen sich auch Deutschland bekannt hat.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

Lassen wir die Geierfonds weiter zu, droht ein Dominoeffekt. Niemand wird sich mehr auf Verhandlungen und auf Verzicht einlassen. Tragfähige Lösungen für Schuldenkrisen werden immer schwieriger. Es kann und darf nicht länger sein, dass die Steuerzahler zurückstecken, damit sich einige wenige die Taschen vollmachen, ganz zu schweigen vom Leiden der Menschen in den überschuldeten Staaten, wo dann die Daseinsvorsorge zusammenbricht, wo Menschen leiden, die sich nicht mehr wehren können. Das Leid der einfachen Leute, die unter den Sparmaßnahmen leiden und die alles ausbaden müssen, sollten wir dabei in erster Linie im Blick behalten und nicht so sehr die Sicherung der Renditen.

Laut IWF sind immer mehr Staaten von Überschuldung bedroht. Die Schuldensituation weltweit wird jeden Tag brenzliger. Wir müssen also als Gesetzgeber handeln, ehe die Hütte brennt. Lassen Sie uns die Wassereimer bereitstellen – stimmen Sie unserem Antrag zu! Das ist ein erster wichtiger Schritt.

Um das Schuldenproblem zu lösen, müsste sich die Koalition endlich ein Herz fassen und international für ein geordnetes Staateninsolvenzverfahren eintreten. Die G-20-Präsidentschaft ist da, glaube ich, jetzt ein ganz guter Anlass, um darüber noch einmal nachzudenken.

Ich wünsche allen schöne, friedvolle Weihnachten. Gute Besserung all denen, die heute wie Uwe Kekeritz, der eigentlich hier reden sollte, krank sind und nicht an dieser Debatte teilnehmen können. Gute Besserung und frohe Weihnachten!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Vielen Dank. – Für die CDU/CSU-Fraktion hat jetzt der Kollege Johannes Selle das Wort.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7046018
Wahlperiode 18
Sitzung 209
Tagesordnungspunkt Schutz zahlungsunfähiger Staaten vor Spekulanten
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