15.12.2016 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 209 / Tagesordnungspunkt 16

Heribert HirteCDU/CSU - Schutz zahlungsunfähiger Staaten vor Spekulanten

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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir reden auf Antrag der Grünen über Staatsinsolvenzen. Zunächst einmal wurde der Eindruck erweckt, das sei ein Spezifikum für Entwicklungsländer. Das ist der erste Fehler in Ihrem Antrag. Das ist eine Erfahrung, die auch viele Industrieländer gemacht haben. Deutschland hat das mehrere Male durchgemacht. Wir erleben in Europa diese Diskussion auch aktuell immer wieder. Deshalb ist die Frage: Warum geht es nur um Entwicklungsländer? Warum geht es nicht um die Frage: „Wie regeln wir entsprechende Vorgänge in Europa?“? Als Beispiel nenne ich Kalifornien und Puerto Rico. Selbst die Vereinigten Staaten von Amerika

(Christian Petry [SPD]: Russland!)

– Russland – und alle möglichen weiteren Länder waren kurzzeitig vor der Zahlungsunfähigkeit. Das Problem ist also – im wörtlichen und im übertragenen Sinne – viel globaler.

Das bedeutet: Wir brauchen – da stimme ich Ihnen vollständig zu – einen rechtlichen Rahmen zur Regelung von Staatsinsolvenzen. Ich schaue zum Kollegen von den Linken: Wenn Sie den Eindruck erwecken, dass ein solches Insolvenzverfahren damit einhergehen würde oder müsste, dass Inseln gepfändet werden, ist das natürlich neben der Sache. Darum geht es nicht. Wir brauchen ein völlig eigenständiges Verfahren; letztlich wurde es in vielen Bereichen auch schon privatautonom entwickelt.

Aber denken wir einmal zurück: Was wollen eigentlich Insolvenzverfahren? Im Wesentlichen geht es um drei Punkte:

Zum einen geht es darum, den Schuldner zu entlasten, damit er alte Schulden loswird. Das ist verständlich.

Der zweite Punkt ist, die Forderungen der Gläubiger durchzusetzen, und zwar im gleichen Umfang unter Wahrung des Gleichbehandlungsgrundsatzes. – Sie nicken jetzt; auf den Punkt komme ich gleich zurück.

Schließlich geht es drittens darum – da besteht völlige Zustimmung bzw. Übereinstimmung –, den Schuldner, die Staaten wieder fit zu machen für den Kapitalmarkt, damit sie Renten und Sozialausgaben künftig zahlen können und auch wieder an den Kapitalmarkt gehen können.

Aber in Ihrem Antrag ist – das merkt man, wenn man die Überschrift liest – im Wesentlichen nur von dem ersten Punkt die Rede, nämlich davon, Schuldnerstaaten zu entlasten. Aber es geht auch darum, Gläubigeransprüche durchzusetzen. Das sollte man einmal deutlich sagen. In den Szenarien, die Sie hier beschrieben haben, leiden auch die Gläubiger. Es leiden die Gläubiger, die auf ihre Ansprüche verzichtet haben.

(Peter Meiwald [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Habe ich ja gesagt!)

Am Ende kommen einige, nämlich die bösen Geierfonds, und setzen ihre Ansprüche durch. – Sie haben aber nicht erwähnt, dass auch die Gläubiger die Betroffenen sind.

(Peter Meiwald [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist das, was ich gesagt habe! – Niema Movassat [DIE LINKE]: Hat er doch gesagt! Haben Sie nicht zugehört?)

– Nein, er hat gesagt: Wir wollen die Staaten schützen. – Wir wollen auch die Gläubiger schützen. Wir wollen die Durchsetzung von Gläubigerinteressen unter Wahrung des Gläubigergleichbehandlungsgrundsatzes. Das ist ein wesentlicher Unterschied. Deshalb ist der Antrag – das kann ich an der Stelle schon sagen – nicht zur Lösung des Problems geeignet.

Der Punkt ist dann – da stimme ich Ihnen im Ansatz zu –: Wenn wir dieses Problem lösen wollen, stellt sich die Frage, wo der Regelungsort ist. Ich glaube nicht, dass die Vereinten Nationen der primäre Ort sind, an dem Zahlungsansprüche behandelt werden können, also der richtige Adressat sind. Die Vereinten Nationen sind nicht das richtige Forum, darüber zu entscheiden. Kollege Zöllmer hat auf die entsprechenden Vorschläge hingewiesen. Weltbank und IWF sind die Foren, in denen über diese Frage nachgedacht werden muss. Da wird auch darüber nachgedacht.

Wenn wir – ich habe es gerade gesagt – in Europa das gleiche Problem haben, dann müssen wir auch in der Europäischen Union über diese Frage nachdenken. Meine Fraktion hat gerade im Zusammenhang mit dem Bericht der fünf Präsidenten der Europäischen Union darauf hingewiesen, dass auch wir fordern, ein geordnetes Insolvenzverfahren für Staaten einzuführen. Daran arbeiten wir. Ich kann Sie darauf hinweisen: Auch die Europäische Zentralbank denkt über diese Frage nach. Demnächst wird ein Tagungsband veröffentlicht, der genau die Punkte enthält, der sozusagen die Leitplanken nennt, die wir im Zusammenhang mit dieser Frage aufstellen müssen. Dieses Thema ist also in der Diskussion. Wir sollten die Antworten abwarten. Dann sehen wir weiter, welche Schlussfolgerungen wir daraus zu ziehen haben.

Unabhängig davon – ich will das, was Kollege Zöllmer gesagt hat, noch einmal aufgreifen – gilt vieles von dem, was Sie sozusagen als Problem geschildert haben, schon jetzt. Denn wir sehen, dass die sogenannten Collective Action Clauses – sie haben die schöne Abkürzung CACs – nicht alle Fälle packen. Daher drängen wir gerade auf der europäischen Ebene im Bereich des ESM auf eine Reform.

Griechenland hat genau das gemacht. Wenn Sie sagen, die Ansprüche seien vor staatlichen Gerichten durchsetzbar, muss ich Ihnen sagen: Vor deutschen Gerichten sind die Ansprüche, die auf der Basis des geänderten griechischen Rechts entstanden sind, gerade nicht durchsetzbar. Insofern haben wir das Problem nicht. Soweit es noch Anwendungslöcher gibt, was diese CACs angeht – Herr Zöllmer hat es genau beschrieben –, sind wir bereit – ich arbeite gerne daran mit –, an einer Lösung des Problems auf der europäischen Ebene mitzuwirken.

Dann bleibt für Deutschland – wir haben es inzwischen mehrfach gehört – kein Anwendungsbereich. Damit geht Ihr Antrag ins Leere. Auf der internationalen Ebene ist das Forum ein anderes. Daran arbeiten wir. Das tun wir im Übrigen auch mit großer Überzeugung. Ihr Antrag aber ist in diesem Punkte nicht zielführend. Deshalb lehnen wir ihn ab.

Vielen Dank.


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7046023
Wahlperiode 18
Sitzung 209
Tagesordnungspunkt Schutz zahlungsunfähiger Staaten vor Spekulanten
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