16.12.2016 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 210 / Tagesordnungspunkt 28 + ZP 8 + ZP 9

Frank SchwabeSPD - Berichte über Menschenrechte und Demokratie

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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Damen und Herren! Wir sind kurz vor Weihnachten, aber auch kurz nach dem Internationalen Tag der Menschenrechte, der jedes Jahr am 10. Dezember begangen wird. Wir debattieren heute zahlreiche Berichte. Berichte gibt es genug; an ihnen mangelt es nicht. Es mangelt an der Umsetzung dessen, was in den Berichten angemahnt wird. Was noch schlimmer ist: Wenn wir uns die weltweite, aber auch die europäische Situation anschauen, dann erkennen wir, dass es in den letzten Jahren Rückschritte in der Frage der Menschenrechte gegeben hat. Es gibt Drangsalierungen von Nichtregierungsorganisationen, der Zivilgesellschaft, von Journalisten, und niemand sollte glauben, dass das keine Auswirkungen auf die Lage der Menschenrechte hat, wenn auch gelegentlich ein Stück weit verzögert. Es ist richtig, darauf zu schauen, was „die da“, was andere machen, was Europa macht, was die Staaten in der Welt machen. Aber wir müssen auch darauf schauen, was wir machen; denn das ist die Grundbedingung dafür, Missstände in anderen Staaten benennen und anklagen zu können, und das wollen wir heute in der Debatte tun.

Ich will aber noch einmal nach außen schauen und das Thema Türkei ansprechen. Wir erleben dort eine Situation, die es wahrscheinlich selten gibt, nämlich dass sich eine Demokratie in Richtung einer Diktatur entwickelt. Wir sehen in der Türkei mittlerweile Folter und unmenschliche Behandlungen, willkürliche Verhaftungen und die Zerstörung einer funktionierenden Medienöffentlichkeit. Ich will die Gelegenheit heute nutzen, mich noch einmal bei den mittlerweile rund 100 Parlamentariern, 100 Kolleginnen und Kollegen, zu bedanken – es werden jeden Tag mehr –, die sich im Rahmen des Programms „Parlamentarier schützen Parlamentarier“ für bedrohte Abgeordnete in der Türkei einsetzen. Ich glaube, das ist ein ganz wichtiges Programm. Es wäre gut, wenn noch mehr bei diesem Programm mitmachten, nicht nur bezogen auf die Türkei, sondern auch darüber hinaus, und es wäre gut, wenn andere Parlamente der Welt unserem Beispiel folgten und ebenfalls solche Programme aufsetzten. Ich glaube, das hilft ein gutes Stück weit.

(Beifall im ganzen Hause)

Ich will mich auch für den ersten Bericht an den Bundestag nach der Verabschiedung des Gesetzes über die Rechtsstellung und Aufgaben des Deutschen Instituts für Menschenrechte, was wir am Ende gemeinsam hinbekommen haben, beim Institut bedanken. Es gab im Vorfeld an der einen oder anderen Stelle den Vorwurf, dass es sich um einen politischen Bericht handelt. Dazu sage ich: Selbstverständlich ist dieser Bericht politisch. Was denn sonst? Das, was wir hier machen, was wir besprechen – die Frage der Menschenrechte –, ist Politik. Natürlich muss ein Menschenrechtsinstitut unbequem sein,

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

natürlich muss es der Stachel im Fleisch der Politik und auch dieses Parlaments sein. Insofern will ich das Institut zu diesem Bericht beglückwünschen und auch dazu, dass es mittlerweile den Vorsitz der Globalen Allianz der Nationalen Menschenrechtsinstitutionen übernommen hat – das zeigt, welch hohe Anerkennung dieses Institut genießt.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Tom Koenigs [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Ein zentrales Thema des Berichts ist „Flucht“; es geht um die Menschen, die zu uns kommen und in einer besonders schwierigen Situation sind. Es wird darauf hingewiesen, dass es viel Gutes gibt, was den Menschen hier widerfährt, dass es viele Menschen gibt, die sich für sie engagieren, aber eben auch darauf, dass es zum Beispiel allein im Jahr 2015  1 027 Übergriffe auf Flüchtlingsunterkünfte gab.

Ich möchte das aufnehmen und es mit guten Wünschen zu Weihnachten verbinden. Ich habe viele gute Wünsche zu Weihnachten bekommen, unter anderem von einem Kollegen, den ich hier nicht nennen will; aber er hat die guten Wünsche mit einem Zitat von Paul Gerhardt verbunden, der darin von Gottes Barmherzigkeit spricht. Mit der Barmherzigkeit sind, glaube ich, alle Menschen gemeint, unabhängig von der Nationalität, unabhängig davon, woher sie kommen, an was sie glauben, wer sie sind. Ich will sagen, was nicht barmherzig ist – das wird in dem Bericht angemahnt –: Nicht barmherzig ist, wenn wir über Regelungen zum subsidiären Schutz die Familienzusammenführung verhindern.

(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das macht auch gar keinen Sinn, wenn man Menschen integrieren will. Es macht auch in der Sache keinen Sinn, weil es mittlerweile Gerichtsentscheidungen gibt, die in mindestens drei Vierteln der Fälle dafür sorgen, dass am Ende eben doch eine Familienzusammenführung möglich ist. Das heißt, solche Regelungen sind vollkommen ineffektiv.

Einige Worte zum Nationalen Aktionsplan „Wirtschaft und Menschenrechte“. Wie ich höre, werden darüber aktuell noch Gespräche geführt. Wie lange diskutieren wir schon über den Nationalen Aktionsplan „Wirtschaft und Menschenrechte“? Liebe Kolleginnen und Kollegen, was nicht funktioniert, ist, dass wir – Deutschland, der deutsche Staat, aber auch die deutschen Unternehmen – Flucht und Vertreibung und die Nichtsicherstellung von Lebensgrundlagen als Gründe für die Flucht anprangern, uns aber gleichzeitig nicht verpflichtet fühlen, menschenrechtliche Standards festzulegen, die dazu führen, dass die Menschen nicht nach Europa kommen müssen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Man kann nicht das eine beklagen, das andere aber dann nicht tun wollen. Ich fordere insbesondere unseren Koalitionspartner auf, dafür zu sorgen, dass wir noch vor Weihnachten einen vernünftigen Plan im Kabinett verabschieden können.

Ich möchte noch ein allerletztes Thema ansprechen, und zwar das Thema Wahlrechtsausschluss. Als ich zum ersten Mal davon gehört habe, habe ich gar nicht glauben wollen, dass wir in Deutschland 84 500 Menschen mit Behinderungen davon abhalten, von ihrem demokratischen Wahlrecht Gebrauch zu machen. Wir sollten uns ein Beispiel an Nordrhein-Westfalen und auch Schleswig-Holstein nehmen, wo die Wahlrechtsausschlüsse von Landtagswahlen und Kommunalwahlen längst aufgehoben worden sind. Ich habe von der Kollegin Kerstin Tack, die bei uns für die Politik für Menschen mit Behinderungen zuständig ist, gehört, dass es da gute Gespräche gibt. Ich glaube, es wäre ein sehr gutes Signal, wenn wir die Wahlrechtsausschlüsse noch vor der nächsten Bundestagswahl aufheben würden.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Das Wort erhält nun die Kollegin Inge Höger für die Fraktion Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7046122
Wahlperiode 18
Sitzung 210
Tagesordnungspunkt Berichte über Menschenrechte und Demokratie
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