Frank HeinrichCDU/CSU - Berichte über Menschenrechte und Demokratie
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frei – das steht auf einem Armband, das uns eine NGO vor wenigen Wochen vorgestellt hat. Damit können wir möglicherweise ein Statement setzen: Ich bin frei. Aber Millionen von Männern, Frauen und Kindern sind es eben nicht. Sie können ihre Meinung nicht frei äußern. Sie können ihren Glauben nicht so ausleben, wie sie es wünschen. Viele sind sehr menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen ausgesetzt. Das hat in der globalen vernetzten Welt – das entnehme ich auch Ihrer Rede – natürlich auch immer mit uns zu tun.
Denken wir einmal 26 Jahre zurück. Die Welt ist im Aufbruch. Es kommt zur Wende. In der Folge stehen sich die großen Blöcke nicht mehr wie im Kalten Krieg feindlich gegenüber. Diktaturen sind gefallen, auch in Afrika. Viele der Indizes für die Not, für das Leid haben sich in den meisten Ländern gravierend verbessert, weil man sich nicht mehr in diesem Dualismus gegenübersteht. Extreme Armut, Zugang zu Wasser, Mütter- und Kindersterblichkeit, Gesundheitsversorgung, Bildung für Mädchen, die Todeszahlen in Konflikten – wir denken heute, das alles hätte sich verschlechtert. Aber die Indizes sind damals kontinuierlich gefallen. Wir haben Freiheit neu erlebt, für manche vielleicht das erste Mal definiert. Die Hoffnung pfiff sich durch den Gorki Park. „ Glasnost“ und „Perestroika“ waren die Wörter des Jahrzehnts. Etwas später gab es Mandela.
Und heute? Die Menschenrechte scheinen auf dem Rückzug zu sein. In vielen Ländern werden Menschenrechtsverteidiger zurückgedrängt. Gestern trafen wir mit Kollegen Herrn Fred Bauma aus der Demokratischen Republik Kongo. Viele von uns haben ähnliche Begegnungen. Diese Menschen sagen uns, dass sie bereits am Flughafen verhaftet werden, wenn sie in ihr Land zurückkehren. Es wirkt fast wie eine alte Rollback-Strategie: Land für Land, Gesetz für Gesetz wird es enger, und zwar oft unter dem Vorwand der Terrorbekämpfung. Das hat auch mit uns zu tun.
Wenn man sich mit dem Jahresbericht von 2015, den wir heute behandeln, beschäftigt und mit Menschenrechtsverteidigern redet, wie gerade genannt, dann wird einem ganz anders. Ich vermute, der Bericht für 2016 wird eher noch schlimmer ausfallen. Wenn ich von solchen Terminen komme oder wenn ich abends in mein Zimmer in Berlin komme, dann ist es nicht selten der Fall, dass ich entweder weinen muss oder dass mir zum Kotzen zumute ist. Das ist nicht erst seit Aleppo so, wenn auch seitdem noch besonders.
Was passiert mit unserer Welt? Was lassen wir zu? Was darf auch mit uns passieren hier in Deutschland? Die drei Stichworte, die ich in meiner Rede noch nennen möchte, sind Kinder, Rechtlosigkeit und Religionsfreiheit.
45 Millionen Menschen leben zurzeit in Sklaverei oder sklavenähnlichen Verhältnissen; das zeigt der Global Slavery Index. Nur einmal zum Vergleich: Wie stolz konnte die Menschheit sein, als William Wilberforce und Abraham Lincoln, der eine in England, der andere in den Vereinigten Staaten, die Sklaverei abgeschafft haben. Das ist viele Jahre her. Aber ganz ehrlich: Ist uns bewusst, dass wir heute mehr Sklaven haben als damals? Millionen davon sind Kinder. Sie bekommen keinen Zugang zu Schulbildung, müssen unter schwersten Bedingungen auf Baumwollfarmen oder in Minen arbeiten und erleben täglich Gewalt und Krieg am eigenen Leib, oft für die Produkte, die wir hier billig kaufen wollen. Freiheit ist für sie eine Worthülse, deren wirkliche Bedeutung sie wahrscheinlich nur erahnen können.
Im Südsudan kämpfen 17 000 Kinder – das wurde uns vorgestern berichtet – in einem verheerenden Bürgerkrieg. Das findet hier wenig Beachtung. Wir schauen woanders hin. Etwas weiter westlich auf dem Kontinent Afrika ernten 1,2 Millionen Kinder einen Großteil des Kakaos für die Schokolade, die wir und viele andere zu Weihnachten und über das Jahr verteilt konsumieren. Sie gehen deshalb auch nicht oder viel zu selten in die Schule. Durch Bildung könnten sie aus Armut und Abhängigkeit herauskommen.
Weiter im Osten auf dieser Welt beim philippinischen Amt für Internetverbrechen gingen bislang 10 000 Hinweise auf sexuelle Ausbeutung von Kindern im Internet ein. Wer sind die User? Der Menschenrechtsbericht der EU geht davon aus, dass die Gefahr besteht, dass viele Minderjährige, die sich in den letzten Monaten auf der Flucht befunden haben, Opfer von Gewalt und Menschenhandel geworden sind, auch auf der Flucht zu uns.
Wenn ich das alles sehe, fällt mir wieder dieser Begriff ein: Ich könnte kotzen. Dafür fällt mir auch kein politisch korrekterer Begriff ein. Ich höre noch, wie letzte Woche Frau Merkel in einer Regionalkonferenz in Thüringen sagte: „Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber ich schlafe nicht gut, wenn ich an die Kinder in Aleppo denke.“ Als Menschenrechtler frage ich mich: Was können wir tun, um ihnen und anderen mehr Freiheit zu ermöglichen?
Ich bin dankbar, dass Deutschland und die EU – das wird in dem Bericht auch deutlich gemacht – sich dafür einsetzen, dass in den letzten Jahren Gesetze entstanden sind, und ich wünsche mir, dass wir uns, dass sich die Bundesregierung in unseren Beziehungen zu den anderen Ländern noch mehr und aktiver dafür einsetzt. Da bin ich Herrn Steinmeier sehr dankbar für das Engagement in diesem Bereich, damit Kinder vor Krieg und Terror geschützt werden. Danke dafür!
Der zweite Begriff, den ich genannt habe, ist Rechtlosigkeit. Es muss Opfern von Menschenrechtsverletzungen – je länger, je näher – in diesen Ländern möglich sein, Zugang zum Rechtssystem zu bekommen. Sonst wird aus Armut Rechtlosigkeit, und aufgrund der Rechtlosigkeit bleiben sie in der Armut. Das ist eine stille Menschenrechtsverletzung, die so allerdings nicht explizit in dem Bericht auftaucht. Der fehlende Zugang zum Rechtssystem hat meist eine grundlegende Ursache, nämlich die Armut, und dann mündet das vielfach in Sklaverei; ich habe das bereits erwähnt.
Die moderne Sklaverei macht auch vor unseren Türen in Deutschland nicht halt. Wir haben vor einem halben Jahr das Gesetz zu Zwang und Ausbeutung im Prostitutionsgewerbe beschlossen, das dann nächstes Jahr in Kraft treten wird. Das sind einige Schritte, wenn auch noch lange nicht genug. Ich bin dankbar, dass wir einen Überprüfungsmechanismus haben, wonach wir dies dann in zwei, drei Jahren noch einmal unter die Lupe nehmen können.
Ein weiterer Bereich, der dritte, ist die Religionsfreiheit. In immer mehr Staaten wird sie grundsätzlich garantiert; aber die Wirklichkeit sieht eben oft ganz anders aus. Auch in meinem Land frage ich mich hin und wieder: Ist uns das noch präsent?
Millionen von Menschen werden weltweit in dieser Freiheit eingeschränkt. Sie werden verfolgt, gedemütigt, gefoltert, oft zu Tode gebracht. Dabei müssen wir an alle Religionen denken. Da sind es die Ahmadiyya-Muslime in Pakistan, da sind es die Aleviten, teilweise jetzt auch in Syrien, da sind es Buddhisten, da sind es die Bahai im Iran, und da sind es als größte Gruppe auch die Christen.
Die aktuellen Entwicklungen im Irak und in Syrien werfen Schatten voraus, bis zu uns nach Europa, und Hunderttausende machen sich auf den Weg. Auf der Flucht vor ihren Peinigern, oft auch dann beim Ankommen hier in unseren Schutzunterkünften passiert das Gleiche wieder, selbst hier in Deutschland. Da passieren Diskriminierung und Benachteiligung, auch Bedrohung; ich weiß um Fälle in meiner Stadt.
Anfang der Woche konnten einige von uns den Pater Jacques Mourad treffen. Er befand sich fünf Monate in Geiselhaft des IS, bevor er mit seiner katholischen Gemeinde von muslimischen Mitbürgern befreit wurde. Trotz seiner Erfahrungen wirbt er dafür, dass wir in Europa für Muslime offen bleiben, dafür, dass uns nicht die Angst leitet. Und doch wünsche ich mir, dass besonders Muslime in Deutschland, auch wenn die Anschläge in Paris, in Nizza und in Brüssel geschahen, noch lauter und öfter sagen: „Das sind wir nicht“,
(Dr. Karamba Diaby [SPD]: Sagen sie auch!)
und dass wir uns dem Terror gemeinsam mutig entgegenstellen.
Dazu gehört auch, dass wir genau die Menschen unterstützen, die Demokratie fördern wollen, wie es das Ziel des von Frank Schwabe genannten Programms „Parlamentarier schützen Parlamentarier“ ist, dass wir an der Seite derer stehen, die Menschenrechte verteidigen. Deshalb appelliere ich, dass wir diesen Menschen vorher Gehör verschaffen, bevor sie möglicherweise in Extremismus abgleiten oder extremisiert werden.
Welche Schlussfolgerungen ziehen wir denn aus diesem Bericht? Gesetze und Richtlinien haben wir teilweise; daran müssen wir aber weiter arbeiten: Dazu dient das Parlamentarische Patenschaftsprogramm, dazu tragen kleine, sichtbare Gesten im Miteinander und Begegnungen bei. Ich für meinen Teil werde für diese Freiheit weiter kämpfen, auch wenn mich diese Ohnmacht, die ich gerade beschrieben habe, immer wieder gefangene, gebundene oder versklavte Menschen zu sehen, oft überfällt.
Ich wünsche Ihnen und uns allen
(Tom Koenigs [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Frohe Weihnachten!)
besinnliche und gesegnete Weihnachtstage. Ich tue mich schwer, Ihnen fröhliche Weihnachten zu wünschen. Das wird auch ein wenig davon abhängen, ob es die Weltgemeinschaft hinbekommt, dass die Waffen weiter schweigen werden. Sonst wünsche ich uns auch Scham. Ich kann nicht einfach fröhlich feiern, wenn uns als Weltgemeinschaft diese Kinder von Aleppo irgendwie doch nur interessieren, als wäre es Scheißdreck, wenn sie links liegen bleiben.
Weihnachten erinnert an die Geburt eines Kindes in genau der Region, von der ich gerade geredet habe: verrückt genug, als Kind in einer Krisenregion geboren zu werden, irgendwie weniger romantisch als bei uns, neben Kuh- und Eselkacke – im Stall eben –, in einer brisanten Situation. Ich habe einfach keinen Bock, dann am Weihnachtstag aufzuwachen, wieder zu hören, dass die Waffen nicht geschwiegen haben, und wieder denken zu müssen: Ich könnte kotzen.
Herr Kollege.
Ich will mich mit dem Status quo nicht zufriedengeben; das wollen wir Menschenrechtler nicht. Aber es gibt noch eine Menge zu tun – aber eben zu tun und nicht nur zu reden.
Ich danke Ihnen.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
Tom Koenigs erhält nun das Wort für die Fraktion Die Grünen.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7046134 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 210 |
Tagesordnungspunkt | Berichte über Menschenrechte und Demokratie |