16.12.2016 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 210 / Zusatzpunkt 10

Josip JuratovicSPD - Aktuelle Stunde zum CDU-Parteitagsbeschluss zum Optionszwang

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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin jemand, der der Gastarbeitergeneration angehört. Ich kam vor 42 Jahren als 15‑Jähriger nach Deutschland. Meine Vita lautet: Gastarbeiter, Migrant,

(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gewerkschafter!)

und heute bin ich Deutscher mit Migrationshintergrund. Übrigens: Ich wollte immer nur Mensch sein in diesem Land.

(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich habe als Gastarbeiter an einem der übelsten Arbeitsplätze bei Audi angefangen. Ich habe Unterbodenschutz von Hand aufgetragen, als es noch keine Roboter gab, Schulter an Schulter mit Menschen vieler Nationalitäten, auch mit Deutschen. Wir haben damals Arbeitskämpfe zum Erhalt des Werkes geführt, übrigens wir Arbeiter, nicht „die da oben“; die haben nur aus dem Fenster geschaut.

Wir haben uns in der Gesellschaft engagiert, ich persönlich in verschiedenen, auch politischen Vereinen. Meine Kinder wollte ich im Sinne der Werte und Tugenden der Gesellschaft erziehen, in der wir leben. Ich habe immer gedacht, das ist unser Land. Ich habe immer von „unserem“ Land gesprochen. Allerdings fällt es mir angesichts der Reden auf dem letzten CDU-Parteitag und angesichts der Debatten, die dort vom Zaun gebrochen wurden, schwer, zu glauben, dass ich tatsächlich gleichberechtigt bin.

(Sylvia Pantel [CDU/CSU]: Wieso?)

Damit wir uns verstehen: Es gab immer Menschen in unserem Land, die gesagt haben: Du kannst hundertmal einen deutschen Pass haben, du bist kein Deutscher. – Damit konnte ich leben. Aber womit ich nicht leben kann, ist, dass dieser Punkt in der größten deutschen Volkspartei immer noch ein Thema ist.

(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Noch eine Bemerkung zum Parteitag der CDU. Ich verstehe die Frechheit der Jugend; ich war auch einmal Juso. Dass irgendein paar Rotzlöffel einen Antrag vorlegen, das ist auch okay.

(Dr. Stephan Harbarth [CDU/CSU]: Vergleichen Sie mal die Junge Union nicht so leichtfertig mit den Jusos! Da gibt es schon Unterschiede! – Gegenruf der Abg. Dr. Eva Högl [SPD]: Zum Glück gibt es da Unterschiede!)

Aber was ich nicht gut fand, war, dass man das Thema benutzt hat, um Frau Merkel für ihre Flüchtlingspolitik eins auszuwischen.

(Widerspruch bei der CDU/CSU)

Man hat wieder einmal eine Debatte auf dem Rücken der Ausländer vom Zaun gebrochen – wie schon so oft in der Vergangenheit –, und das finde ich schäbig.

(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir haben Erfahrung damit, meine sehr geehrten Damen und Herren. Pkw-Maut, Lkw-Maut und verschiedene andere Beschlüsse sind von der CDU vom Zaun gebrochen worden mit dem Argument: Das ist gegen Ausländer.

(Widerspruch bei der CDU/CSU)

Dadurch haben Sie niedere Instinkte geweckt. Mit diesen Geschichten macht man immer noch Politik.

(Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Was? Das ist Quatsch!)

Allerdings muss ich Ihnen eines sagen: Dieses Thema kann die AfD besser. Lassen Sie das! Sie dienen dem falschen Herrn.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Integration kann nur durch Identifikation funktionieren. Dazu braucht es die Menschen, die zu uns kommen, und auch die Menschen, die sie aufnehmen, eine Gesellschaft der Vielfalt. Es gibt Millionen von Menschen, die sich täglich bemühen, um die Integration voranzutreiben. Wir geben in Integrationskurse und verschiedene andere Maßnahmen Gelder in Milliardenhöhe. Aber wenn es um die Diskussion geht: „Gehöre ich dazu oder nicht?“, verläuft das alles im Sand. Deshalb ist es verlogen, hier zu sagen: „Wir machen etwas für die Integration“, wenn Sie gleichzeitig die niederen Instinkte bedienen. Das geht nicht, meine Damen und Herren. Lassen Sie das!

(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Verlogen ist dieser Zusammenhang!)

Wir sind eine Schicksalsgemeinschaft hier in Deutschland, und zwar Deutschstämmige wie Migranten. Wir sind eine Schicksalsgemeinschaft in einem zerrissenen Europa. Deutschland muss zu einer starken, geschlossenen Gesellschaft werden, weil wir das Vorbild in Europa sind.

(Dr. Philipp Lengsfeld [CDU/CSU]: Dafür braucht man einen zweiten Pass, oder was? Dafür braucht man einen türkischen Pass? Unüberzeugend! Sehr unüberzeugend!)

An uns werden viele Erwartungen gestellt. Deshalb ist es sehr wichtig, dass wir uns auf eine Wertegemeinschaft auf der Grundlage des Grundgesetzes besinnen, und zwar wir, die wir hier sind, und die, die zu uns kommen.

Da bald Weihnachten ist, möchte ich darauf hinweisen: In der Präambel unserer Verfassung ist vom Bewusstsein der „Verantwortung vor Gott und den Menschen“ die Rede. Das sollte man verinnerlichen. Ich wünsche Ihnen ein friedliches und vor allen Dingen auch besinnliches Weihnachtsfest sowie Gottes Segen.

Danke.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Günter Krings.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7046549
Wahlperiode 18
Sitzung 210
Tagesordnungspunkt Aktuelle Stunde zum CDU-Parteitagsbeschluss zum Optionszwang
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