Günter Krings - Aktuelle Stunde zum CDU-Parteitagsbeschluss zum Optionszwang
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Vielleicht nur ein Satz, Herr Juratovic: Ihre Rede war es inhaltlich nicht wert, auf sie einzugehen.
(Widerspruch bei der SPD – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist wirklich peinlich! Sie sind ein Staatssekretär und hier nicht Populist! – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie reden hier für die Bundesregierung! – Dr. Eva Högl [SPD]: Was für eine Arroganz!)
Aber ich muss sagen: Wir sollten uns hier untereinander – das widerlegen Sie gerade – nicht mit Schimpfworten belegen. Das tun wir normalerweise auch nicht.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das haben Sie gerade gut vorgeführt!)
Ich sage Ihnen eins ganz klar: Menschen, die sich ehrenamtlich in demokratischen Parteien organisieren, sei es in der CDU, in der Jungen Union oder auch in der SPD, haben es nicht verdient, mit Schimpfworten, wie Sie es gerade getan haben, belegt zu werden.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Wir debattieren heute über einen Teilaspekt des deutschen Staatsbürgerschaftsrechts, nämlich den Umfang der Optionspflicht im Kontext der doppelten Staatsbürgerschaft. Übrigens ist diese nie abgeschafft worden. Sie ist abgeschwächt bzw. im Anwendungsbereich begrenzt worden.
(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Leider!)
Es gab und gibt keine Abschaffung dieser Optionspflicht. Aber es geht natürlich zugleich auch um eine Grundfrage unseres Gemeinwesens. Der moderne Staat basiert auf drei Grundelementen: Staatsgebiet, Staatsgewalt und Staatsvolk. Aus guten Gründen gehen wir bei allen diesen drei Elementen prinzipiell von einer Exklusivität aus. Ein bestimmter Teil der Erdoberfläche ist nur einem Staatsgebiet zugeordnet.
(Dagmar Ziegler [SPD]: Wir sind hier nicht in der Uni zum Dozieren! Das ist hier nicht der richtige Ort!)
– Offenbar ist es wichtig, so etwas noch einmal zu wiederholen. Ich glaube, sachliches Wissen ist auch von Vorteil.
In einem Staat kann nur eine Staatsgewalt ausgeübt werden – vielleicht gehen Sie auch da noch mit –, und ein Mensch ist im idealtypischen Fall Bürger nur eines Staates.
(Dagmar Ziegler [SPD]: Wir wissen es!)
Nur bei diesem letzten Element des Staatsvolkes und damit bei der Staatsbürgerschaft
(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vollkommener Quatsch!)
lassen wir von dieser Regel der Exklusivität gewisse Ausnahmen zu, aber wir halten an dieser Regel grundsätzlich fest, meine Damen und Herren.
(Beifall bei der CDU/CSU – Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Jura! Drittes Semester!)
Aber unsere Staatsbürgerschaft ist nach wie vor ein ebenso wichtiges wie wertvolles Rechtsinstitut und eine unverzichtbare Säule unseres Verfassungsstaates. Die Staatsangehörigkeit ist – da sind wir uns vielleicht jedenfalls in weiten Teilen dieses Hauses noch einig – mehr als ein nützliches Papier, das mir ein unbefristetes Aufenthalts- und beliebiges Einreiserecht gewährt. Sie bedeutet vielmehr ein besonderes Verhältnis zwischen Staat und Bürger, das durch Identifikation und besondere Loyalität geprägt sein muss. Die Staatsbürgerschaft erfüllt in der nationalen wie internationalen Rechtsordnung eine unverzichtbare Schutz-, Ordnungs- und Zuordnungsfunktion.
(René Röspel [SPD]: Ordnung! Richtig!)
In einer global vernetzten Welt und in Gesellschaften mit größeren Bevölkerungsteilen, die auch über Staatsgrenzen hinweg hochmobil leben, schwächt sich diese wichtige Ordnungsfunktion aber allmählich ab. Wenn durch Wanderungsbewegungen oder transnationale Ehen immer mehr Menschen auch immer mehr Staatsangehörigkeiten erwerben
(Dagmar Ziegler [SPD]: Oh! Gefahr droht!)
und sich diese in der Generationenfolge ohne Limit weitervererben, dann droht eine Spaltung der Gesellschaften
(Dagmar Ziegler [SPD]: Oh nein! Das darf doch nicht wahr sein!)
in den Teil derer, die mit einer Staatsbürgerschaft auskommen müssen, und in den Teil derer, die über mehrere Staatsbürgerschaften verfügen, um sich jeweils auch deren Vorteile zunutze machen zu können.
(Dagmar Ziegler [SPD]: Jetzt kommt auch noch die Genetik! – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie sollten nach Karlsruhe gehen!)
Aus diesem Grunde bleibt es sinnvoll und notwendig, sich Gedanken zu machen, wie wir die Problematik von multiplen Staatsangehörigkeiten reduzieren und in der Generationenfolge begrenzen können.
(Dagmar Ziegler [SPD]: Arier! Völkisches Denken!)
Für die Vermeidung von Mehrstaatigkeit sind immer noch die Gründe ausschlaggebend, von denen sich auch der von SPD und Bündnis 90/Die Grünen eingebrachte Gesetzentwurf zur Reform des Staatsangehörigkeitsrechts vom 16. März 1999 hat leiten lassen.
Ich zitiere aus der Gesetzesbegründung. Sie können nicht sagen, sie sei vom Bundesrat wegen der Union umgeschrieben worden.
(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir haben damals mit der FDP verhandelt! Mit Herrn Brüderle und Herrn Westerwelle!)
Diese Gesetzesbegründung ist Rot-Grün pur. Sie ist von den beiden Koalitionsfraktionen, also auch von den Grünen, geschrieben worden. Dort heißt es wörtlich:
Dabei wird der Gesichtspunkt der Vermeidung von Mehrstaatigkeit angemessen berücksichtigt. Insbesondere unter Ordnungsgesichtspunkten besteht ein staatliches Interesse, die Fälle mehrfacher Staatsangehörigkeit einzuschränken.
Das steht in dem rot-grünen Dokument.
(Zurufe von der SPD)
Die beiden Koalitionspartner hatten mit dieser Begründung damals recht.
(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf des Abg. René Röspel [SPD])
Sie müssen also wissen, dass die Kollegen von den Grünen hier gegen ein rot-grünes Gesetz krakeelen, das sie damals so verfasst haben. Um den Gedanken der von Ihnen so benannten Ordnungsfunktion des Staatsbürgerschaftsrechts zu erhalten, müssen wir beispielsweise auch international offen darüber reden, dass Staaten keine Besitzansprüche auf ihre Bürger haben können. Ich halte es für eine Frage des Menschenrechts, dass Bürger auf ihren Wunsch aus ihrer Staatsbürgerschaft entlassen werden können, wenn sie dauerhaft in einem anderen Staat leben wollen.
(Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Ihr wollt sie doch zwingen! – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nur, wenn sie es wollen! Da sind wir uns sogar einig, Herr Krings!)
– Ich will, dass sie es können.
Ich möchte Ihnen – vielleicht haben Sie noch einen Augenblick Geduld – einen der traurigsten Momente schildern, den ich jemals in meiner 14-jährigen Tätigkeit als Abgeordneter erlebt habe. Das war ein Gespräch mit einer weinenden Mutter von drei Kindern in meiner Sprechstunde vor wenigen Jahren. Sie und ihr Mann waren in Afghanistan geboren, hatten aber längst, so wie ihre Kinder, die deutsche Staatsangehörigkeit. Als die Frau sich scheiden ließ und auch das alleinige Sorgerecht für ihre Kinder erhielt, entführte der Mann die drei Kinder nach Kabul. Die afghanischen Behörden behandeln die Kinder, die nie wirklich in Afghanistan gelebt haben, als Afghanen, nach dem Grundsatz: einmal Afghane, immer Afghane. Das gilt dann eben auch für die folgenden Generationen. Unserer deutschen Botschaft ist es trotz großer Anstrengungen nicht gelungen, die Kinder wieder mit ihrer Mutter zu vereinen. Auch das sind konkrete und tieftragische Auswirkungen doppelter Staatsbürgerschaft.
(Beifall bei der CDU/CSU – Widerspruch bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Eine notwendige zukunftsweisende Weiterentwicklung unserer Staatsbürgerschaft verlangt eben auch, über solche Fälle und solche Folgen nachzudenken. Das erfordert Kopfarbeit. Sie stellen gerade unter Beweis, dass Sie Kehlkopfarbeit können, aber ob Sie Kopfarbeit bei dem Thema können, das müssen Sie erst noch beweisen.
(Beifall bei der CDU/CSU – Bettina Hagedorn [SPD]: Wir sind hier nicht auf dem CDU-Parteitag! Unfassbar!)
Das heißt aber auch, dass es eine kurzfristige Änderung des Staatsangehörigkeitsrechts, weil es eben etwas komplizierter ist,
(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie reden gerade für die Bundesregierung, Herr Krings! Nicht für Ihre Partei!)
in dieser Koalition, in dieser Wahlperiode nicht geben wird.
(Bettina Hagedorn [SPD]: Wir sind hier nicht auf dem CDU-Parteitag!)
Erst im vorletzten Jahr haben Union und SPD gegen den Widerstand der Linken und der Grünen nicht etwa die Abschaffung der Optionspflicht, sondern deren Veränderung und die Reduzierung ihrer Anwendungsfälle gemeinsam verabschiedet. Diese Änderung des Optionsmodells beim Erwerb der deutschen Staatsbürgerschaft ist und bleibt geltendes Recht. Daran ändern weder Parteitagsbeschlüsse noch Resolutionen noch Migrationsberichte etwas.
Wir werden auch weiterhin verhindern, dass die Axt an die Fundamente unseres gewachsenen und bewährten Staatsangehörigkeitsrechts gelegt wird. Deshalb haben wir in der Koalition dafür gesorgt, dass etwa ein Antrag der Grünen aus dem letzten Jahr, im dem gefordert wurde, Mehrstaatigkeit generell hinzunehmen und die Notwendigkeit der Sicherung des eigenen Lebensunterhalts und auch das Erfordernis, über grundlegende deutsche Sprachkenntnisse zu verfügen, weitgehend abzuschaffen, mit breiter Mehrheit in diesem Hause abgelehnt worden ist.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt nicht!)
Ebenso lehnen wir abstruse Vorschläge aus den Reihen der Linken ab, wonach alle Flüchtlingskinder sofort und automatisch die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten sollen. So etwas passt nicht zu unserem Staatsbürgerschaftsrecht.
(Dr. Eva Högl [SPD]: Das kann man ja ändern!)
Wenn die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung in ihrem aktuellen Migrationsbericht – ich zitiere – die generelle Hinnahme von Mehrstaatigkeit in Einbürgerungsverfahren fordert, so respektieren wir das natürlich als ihre persönliche Meinung, aber wir sagen auch dazu sehr klar: Eine solche Hinnahme von Mehrstaatigkeit wird die Bundesregierung nicht beschließen.
(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn, dann muss es der Bundestag beschließen!)
Denn auch die Union steht zum Koalitionsvertrag und zu den Grundprinzipien unseres Staatsangehörigkeitsrechts. Beide schließen genau diese generelle Mehrfachstaatsbürgerschaft aus.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Ich kann daher verstehen, dass viele Praktiker der Integrationspolitik, etwa der SPD-Politiker und ehemalige Bezirksbürgermeister Heinz Buschkowsky, sich sehr grundsätzlich gegen die doppelte Staatsbürgerschaft wenden.
(Dr. Eva Högl [SPD]: Er spricht nicht für die SPD!)
Anders als dieser Kollege bin ich aber nicht der Meinung, dass eine doppelte Staatsbürgerschaft generell der Integration schadet. Wir gehen beim Erwerb unserer Staatsbürgerschaft vom Menschen und seiner individuellen Biografie aus. Deshalb weiß ich, dass es natürlich Menschen gibt, die zum Beispiel aufgrund eines längeren Aufenthalts in verschiedenen Staaten, aufgrund besonderer Umstände auch Loyalität zu mehr als einem Staat empfinden können.
(Zuruf von der SPD: Das geht dann auf einmal?)
Aber wir wollen es nicht hinnehmen, wenn Menschen zwar aus rein praktischen Erwägungen neben einer ausländischen auch die deutsche Staatsbürgerschaft für sich reklamieren, dabei aber nur eine Loyalität empfinden, und zwar gerade nicht zu unserem deutschen Staat und seiner Verfassung, meine Damen und Herren.
(René Röspel [SPD]: Woher wissen Sie das?)
Genau aus diesem Grunde haben CDU und CSU gegen den Widerstand fast aller politischen Kräfte in Deutschland den Einbürgerungstest durchgesetzt. Wir alle werden diesen Test als Herzstück unseres Einbürgerungsrechts auch erhalten und gegen alle Widerstände verteidigen.
(Beifall bei der CDU/CSU – Dagmar Ziegler [SPD]: Aber Sie wissen schon, dass Sie hier als Staatssekretär reden?)
Das Gleiche gilt eben für die Vermeidung von Mehrfachstaatsangehörigkeiten. Es bleibt dabei: Wir wollen Mehrfachstaatsangehörigkeiten im Einklang mit der geltenden Rechtslage in dieser besonders begründungswürdigen Konstellation akzeptieren, aber eben nicht als generelles Prinzip etablieren.
Dass die Bundesregierung an der Stelle auch im nächsten Jahr beim geltenden Recht bleibt, ist eigentlich für alle eine gute Nachricht. Wir werden im neuen Jahr an dieser Stelle dasselbe Recht wie im alten Jahr haben. In diesem Sinne darf ich Ihnen allen als letzter Redner seitens der Bundesregierung ein gutes neues Jahr mit viel Stabilität, ein gesegnetes Weihnachtsfest und einen schönen vierten Advent wünschen.
Vielen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU – Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: War das jetzt die Regierung oder die CDU? – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war „Der CDU steht das Wasser bis zum Hals“! – Dr. Eva Högl [SPD]: Und die Kanzlerin ist ja auch anderer Auffassung!)
Das Wort hat der Kollege Özcan Mutlu für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7046551 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 210 |
Tagesordnungspunkt | Aktuelle Stunde zum CDU-Parteitagsbeschluss zum Optionszwang |