16.12.2016 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 210 / Zusatzpunkt 10

Özcan MutluDIE GRÜNEN - Aktuelle Stunde zum CDU-Parteitagsbeschluss zum Optionszwang

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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zunächst einmal zwei Sätze vorweg. Das beste Beispiel, wie sich Fake News verbreiten, hat vorhin der Kollege Harbarth geboten, indem er schlichtweg etwas verbreitet hat, was die Kollegin Künast nie so gesagt hat. Es ist einfach unverschämt, dass Sie dem Haus das antun.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. René Röspel [SPD])

Wenn ich die heutige Debatte und frühere Debatten zu diesem Thema in diesem Hause Revue passieren lasse, frage ich mich mit Blick auf die CDU/CSU-Fraktion und auch auf den Staatssekretär, bei dem man nicht wusste, ob er hier auf einem CDU-Parteitag oder für die Bundesregierung redet,

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN – Sebastian Hartmann [SPD]: Sehr gute Frage!)

ernsthaft: In welchem Jahrhundert leben Sie? Ihre parteipolitischen Spielchen auf dem Rücken junger Menschen auszutragen, ist einfach nur schäbig.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. René Röspel [SPD])

Diese Debatte und das, was wir heute hier erlebt haben, ist Gift für die Integration und spaltet unsere Gesellschaft.

Ich kann mich noch sehr genau an die Zeiten von Roland Koch erinnern, der damals mit seiner Kampagne gegen die doppelte Staatsbürgerschaft, die im Übrigen später, wie Kollegin Dağdelen gesagt hat, in eine „Ausländer raus“-Kampagne ausgeartet ist, unserem Land geschadet hat. Mit dieser Kampagne damals wurde die Integrationspolitik dieses Landes um Jahre, wenn nicht sogar um Jahrzehnte zurückgeworfen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN – Dr. Peter Tauber [CDU/CSU]: Es gab vorher überhaupt keine! Sie haben vorher gar nichts gemacht!)

Nichts anderes tun Sie heute hier in diesem Hause und mit Ihrem Parteitagsbeschluss. Es ist beschämend, dass eine große Volkspartei wie die CDU/CSU sich wieder einem derartigen Populismus hingibt und nichts aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt hat.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Akzeptieren Sie endlich, dass es Millionen Menschen mit doppelter Staatsbürgerschaft gibt. Das ist in der modernen Welt auch unvermeidbar. Ich weiß, dass sich die CDU/CSU, wie so oft, schwertut mit den Realitäten. Aber Vielfalt ist in unserem Einwanderungsland nun einmal Tatsache, und das ist auch gut so.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Matthias Schmidt [Berlin] [SPD])

Wir reden inzwischen von hybriden Identitäten. Vergessen Sie einfach mal die Pässe. Etliche Studien, internationale wie nationale, zeigen, dass die doppelte Staatsbürgerschaft kein Integrationshindernis ist; im Gegenteil. Daran ändert sich auch nichts, wenn Teile der CDU/CSU das weiterhin wider besseres Wissen und fälschlicherweise behaupten.

Ihre Behauptungen sind ein massives Integrationshindernis. Noch schlimmer: Sie stellen mit Ihrem Vorhaben die größte Einwanderungsgruppe unter Generalverdacht. Es geht Ihnen allein um die Menschen, die aus der Türkei stammen und seit Generationen bei uns leben. Diese Ungleichbehandlung hat einen Namen: Türkenfeindlichkeit, und das grenzt an Rassismus.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN – Widerspruch bei der CDU/CSU)

Haben Sie schon einmal eine Deutschrussin oder einen Deutschpolen gefragt, ob er oder sie Loyalitätsprobleme hat? Das sind nämlich die größten Gruppen der Doppelstaatler, die hier in Deutschland leben. Es wird in Ihren Debatten immer der Eindruck vermittelt, als würde es darum gehen, zwischen willkommenen und nicht willkommenen Herkunftsländern zu unterscheiden, und die Türkei ist nicht willkommen. Das schafft Ängste und Ressentiments, und das ist nicht gut, weder für unser Zusammenleben noch für die Integration in diesem Land.

Sie geben den Jugendlichen, die hier geboren und aufgewachsen sind, immer wieder das Gefühl: Ihr gehört nicht hierher. Ihr seid anders. Wir wollen euch nicht.

(Dr. Philipp Lengsfeld [CDU/CSU]: So ein Quatsch! Es ist genau andersherum, Kollege!)

Damit treiben Sie die jungen Menschen erst recht in die Arme Ankaras, und damit schaffen Sie genau die Parallelgesellschaften, die Sie beklagen. Dann wundern Sie sich, warum.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Ich kann Ihnen sagen: Das ist weder unser Ziel, noch darf es das Ziel von irgendjemandem in diesem Haus sein. Sie stärken damit nämlich die Populisten. So jedenfalls – das kann ich Ihnen von diesem Pult aus sagen – werden Sie die Wählerinnen und Wähler, die Sie an die AfD verloren haben, nicht zurückgewinnen. Mit dieser gefährlichen Scheindebatte schaffen Sie mehr Unsicherheit und mehr Ängste und spalten die Gesellschaft.

Die Einführung der Optionspflicht löst keine Probleme, sondern sie schafft viel mehr Probleme. Dabei brauchen wir gerade jetzt, in diesen Tagen und Monaten, einen größeren gesellschaftlichen Zusammenhalt und ein Aufeinanderzugehen.

Natürlich müssen wir auch über Probleme reden.

(Zuruf von der CDU/CSU: Aha! Na dann mal los!)

Es gibt bei der Integration auch Probleme. Keiner bestreitet das; das hat auch Kollege Volker Beck nie bestritten. Aber unsere Aufgabe ist es, im Hinblick auf diese Probleme nach konkreten Lösungen zu suchen und gezielte Maßnahmen zu ergreifen, besonders im Bereich der Bildung. Die Ablenkungsmanöver mit der Argumentation gegen die doppelte Staatsbürgerschaft helfen definitiv nicht; sie spielen nur der AfD in die Hände.

Kollege Mutlu, kommen Sie zum Schluss?

Ich komme zum Schluss. – Zu guter Letzt möchte ich Ihnen, weil wir kurz vor Weihnachten sind, gerne eine Lektüre nahebringen.

(Der Redner hält ein Buch hoch)

In diesem Buch Politik ohne Grenzen stehen die Geschichten von 21 Kolleginnen und Kollegen aus diesem Haus mit Einwanderungshintergrund, und zwar parteiübergreifend – es sind auch Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU dabei –, die beschreiben, wie ihre Wege in die Politik waren. Ich kann Ihnen sagen: Loyalitätskonflikte oder Misstrauen gegenüber der deutschen Gesellschaft finden Sie in diesem Buch nicht.

In diesem Sinne: Frohe Weihnachten.

Ich schenke dieses Buch jetzt Jens Spahn, damit er etwas lernt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Abg. Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] übergibt dem Parl. Staatssekretär Jens Spahn ein Buch – Dr. Eva Högl [SPD]: Nein! Lieber Herrn Krings!)

Das Wort hat der Kollege Sebastian Hartmann für die SPD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7046552
Wahlperiode 18
Sitzung 210
Tagesordnungspunkt Aktuelle Stunde zum CDU-Parteitagsbeschluss zum Optionszwang
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