19.01.2017 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 212 / Tagesordnungspunkt 4

Frank TempelDIE LINKE - Änderung betäubungsmittelrechtlicher Vorschriften

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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In den letzten Monaten habe ich mich gemeinsam mit vielen betroffenen Menschen gefragt, wann endlich die versprochenen Verbesserungen bei der medizinischen Verwendung von Cannabis nun auch im Bundestag beschlossen werden. Wenn Sie die Beschlussfassung absichtlich auf den heutigen Tag gelegt haben, um meinen langen Kampf für dieses Thema zu würdigen, dann ist das eine nette Geste,

(Heiterkeit bei der SPD – Mechthild Rawert [SPD]: So sind wir!)

aber mit Blick auf die Betroffenen etwas übertrieben.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Aber ein paar ernste Worte müssen wir bei diesem Thema durchaus auch wechseln; denn die bisherige Rechtslage war mit ihren bürokratischen Hürden und Kostenhindernissen mit Blick auf den Leidensweg vieler betroffener Patienten fatal. Was da über Jahre hinweg stattfand, war aus meiner Sicht, moralisch gesehen, unterlassene Hilfeleistung durch den Staat.

(Beifall bei der LINKEN)

Nur wenige Hundert Patienten überwanden die Bürokratiehürden bis zu einer offiziellen Genehmigung, und wer das geschafft hatte, scheiterte sehr oft an den Kosten, die ihm keine Kasse erstattete.

Wenn wir das heute ändern, sollte unser Dank denen gelten, die mit gerichtlichen Klagen, mit Petitionen, mit vielen Initiativen zur Meinungsbildung in der Öffentlichkeit und auch hier im Bundestag beigetragen haben.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Bevor ich zu einigen inhaltlichen Aspekten komme, möchte ich aber auch etwas zum Gesundheitsausschuss des Bundestages sagen. Ich möchte bestätigen, dass sich in dieser Legislaturperiode erstmals intensiv mit dieser Thematik richtig fachlich auseinandergesetzt wurde, und dafür möchte ich allen ganz herzlich danken.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Jetzt liegt ein Ergebnis vor, das in vielen Punkten dem Antrag meiner Fraktion entspricht und mir im Gegensatz zu der Arbeit im Innenausschuss relativ wenig Spielraum zu meckern lässt.

(Heiterkeit bei der SPD)

Die Änderungsanträge der Regierungskoalition auch noch nach der Einbringung beweisen, dass man eben nicht nur zu einem Richtungswechsel gezwungen wurde, sondern dass man tatsächlich die ehrliche Absicht hatte, die Situation vieler Patienten zu verbessern. Die komplizierte Genehmigungspraxis wurde abgeschafft, die Kostenerstattung geregelt, die Abhängigkeit vom Import wurde verringert, was sich auch auf die Preisentwicklung positiv auswirken kann. Dadurch wurde das Problem von Versorgungsengpässen verringert und, ganz wichtig, die Entscheidungsfreiheit zwischen Arzt und Patient wurde gestärkt. Das ist alles klasse, und dafür auch noch einmal: Danke schön!

(Beifall bei der LINKEN)

Ich hoffe aber auch – ich habe der Staatssekretärin genau zugehört –, dass wir weiter an dem Thema dranbleiben. Eine wissenschaftliche Begleiterhebung in der medizinischen Praxis ist zwar wichtig, kann aber noch nicht alles sein. Die dafür von Ihnen veranschlagten 850 000 Euro reichen eben hinten und vorne nicht. Sie beklagen selbst, dass der Wissensstand zum medizinischen Nutzen von Cannabis noch nicht allzu hoch ist; das habe ich auch im Gesundheitsausschuss gehört. Wenn die Linke aber Haushaltsanträge zur Finanzierung klinischer Forschung stellt, lehnen Sie diese regelmäßig ab, auch wenn das den Kollegen von der SPD immer sehr schwer fällt, wie ich gesehen habe. Ein höherer Nutzen ergibt sich durch mehr Wissen. Das bedingt Investitionen in dieses Wissen. Lassen Sie uns darüber bei den nächsten Haushaltsberatungen reden.

Noch ein Punkt. Die neuen Regelungen betreffen erst einmal nur schwerkranke Patienten. Die Entscheidungsfreiheit des Arztes ist auf diesen Personenkreis beschränkt. Sie wissen es selbst, meine Damen und Herren: Es gibt Menschen in unserem Land, denen wäre Cannabis als Genussmittel völlig egal. Aber als Medizin – auch im niederschwelligen Bereich – fänden sie es sehr interessant, immer vorausgesetzt, es gibt die Möglichkeit, unter fachkundiger Beratung und Hilfe dies zeitlich begrenzt zu nutzen. Diese Möglichkeit sollten wir in Zukunft zumindest in gemeinsamer Debatte weiter ausloten. Nicht jeder möchte die große Palette kleiner, bunter Schmerzpillen austesten, sondern lieber auf natürliche Substanzen wie Cannabis setzen.

Zum Schluss möchte ich auch hier im Plenum einen mir sehr wichtigen Aspekt ansprechen. In der gestrigen Sitzung des Gesundheitsausschusses habe ich noch einmal die Führerscheinpraxis bei medizinischen Verwendern von Cannabis angesprochen. Es mag stimmen, dass die rechtlichen Regelungen es ermöglichen, bei sachgemäßer Anwendung des Medikaments im Besitz des Führerscheins zu bleiben. In der Praxis ist es aber oft nicht so. Es fehlen geeignete Testmethoden, um in der polizeilichen Kontrolle wirklich festzustellen, ob jemand im Rauschzustand gefahren ist. Oft fehlt es Polizeibeamten an der Akzeptanz der medizinischen Verwendung von Cannabis. Wir haben so einige aktuelle Fälle, in denen die Eignung der Erlaubnisinhaber zum Führen eines Fahrzeugs infrage gestellt wird, weil sie medizinische Verwender sind. Wenn jemand durch die Therapie wieder arbeiten könnte, aber durch die Therapie den Führerschein und damit auch den Arbeitsplatz verliert, macht das Ganze nicht viel Sinn. Deswegen: Wir freuen uns heute über diesen Gesetzesbeschluss, aber wir werden weiter diskutieren müssen. Wenn wir weiterhin so gut zusammenarbeiten wie in der Vergangenheit, wird das Früchte tragen.

Danke schön.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Vielen Dank. – Für die SPD spricht jetzt Hilde Mattheis.

(Beifall bei der SPD)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7060883
Wahlperiode 18
Sitzung 212
Tagesordnungspunkt Änderung betäubungsmittelrechtlicher Vorschriften
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