19.01.2017 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 212 / Tagesordnungspunkt 4

Hilde MattheisSPD - Änderung betäubungsmittelrechtlicher Vorschriften

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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist schön, bei einem solch wichtigen Thema sagen zu können: Die Koalition und die Opposition sind sich einig. Das ist sehr wohltuend; denn es geht an dieser Stelle um Menschen und ihr Leid, das wir mit einem einfachen Mittel beenden können. Wir öffnen nun die entsprechenden Zugänge. Was das bedeutet, möchte ich beispielhaft anhand eines konkreten Falls schildern.

Ein damals 20-Jähriger, der in Süddeutschland lebt, stellt fest, dass er an einer seltenen Nervenerkrankung leidet. Er ist arbeitslos geworden. Er kann keine Tätigkeit mehr aufnehmen. Nach langer Suche nach der richtigen Therapie und dem Einsatz von Morphium, unter dessen Auswirkungen er abmagert und an Übelkeit leidet, wird festgestellt: Cannabis ist das einzige Mittel, das seinen Alltag erträglich macht. Nun ist er arbeitslos, und es kostet 1 000 Euro pro Monat, um einigermaßen die Lebensqualität und die gesellschaftliche Teilhabe zu erhalten. Was macht er? Er hilft sich selbst und baut an. Man kann sicherlich mit einem leichten Augenzwinkern sagen: Das hat der eine oder andere von uns in studentischen Zeiten auch so gemacht. Aber für den Betreffenden ist das überlebenswichtig. Was passiert im Freistaat Bayern oder vielleicht auch woanders? Der junge Mann wird angeklagt. Er muss sich verantworten. Das heißt, zu seiner schwierigen Lebenssituation kommt hinzu, dass er strafrechtlich belangt wird.

Es geht hier um Einzelschicksale. Betroffen sind rund 100 Menschen in diesem Land, vielleicht auch ein paar mehr. Jetzt kommt es darauf an, keine Abwärtsspirale bei einem jungen Menschen, der sich ohnehin in einer schwierigen Lebenssituation befindet und im Prinzip keinen legalen Ausweg kennt, in Gang zu setzen. Das haben wir miteinander hinbekommen. Dafür danke ich ganz herzlich. Es ist gut und richtig, dass wir alle das gemeinsam beschließen.

Der Beschluss ist das eine. Es müssen aber natürlich in der Praxis noch weitere Dinge umgesetzt werden.

Eine wissenschaftliche Begleitung ist wichtig. Es ist aber auch wichtig, dass Hausärztinnen und Hausärzte in Bezug auf dieses Thema über eine Fort- oder Weiterbildung ihre vielleicht vorhandenen eigenen inneren Hürden überspringen können. Auch das wird hier geregelt.

Uns war sehr wichtig, dass wir auch im Hospiz- bzw. Palliativbereich nicht so hohe Hürden errichten. Das Genehmigungsverfahren dort muss innerhalb von drei Tagen ablaufen; denn wir alle können uns vorstellen, was drei Tage im Leben eines Menschen bedeuten, der palliativ behandelt werden muss und an starken Schmerzen leidet. All das sind Punkte, die in diesem Gesetz zum Tragen kommen. Es hat uns, glaube ich, allen gutgetan, das mit einer tiefer gehenden Debatte über weitere betäubungsrechtliche Schritte zu verbinden.

Wir machen einen wichtigen Schritt hin zu einer Unterstützung in Bezug auf die humanere Gestaltung von bestimmten Lebenssituationen. Auch ist es ein wichtiger Schritt in die Richtung, dass wir als Solidargemeinschaft diesen Menschen zur Seite stehen. Von daher tun wir, glaube ich, alle gut daran, das jetzt nicht – wir haben das auch nicht getan – weiter unter ideologischen Gesichtspunkten zu forcieren.

Gestern stand in der Berliner Morgenpost: „Gröhe wirbt für Cannabis auf Rezept“. Ich fand das ziemlich witzig. Wir alle wissen aber, um was es geht. Es geht um Menschen in Ausnahmesituationen, vor allen Dingen aber um Menschen – das ist ein ganz wichtiger Punkt –, die nicht unbedingt als austherapiert gelten. In diesem Zusammenhang danke ich Ihnen, dass Sie darauf hingewiesen haben, dass wir in Bezug auf diesen Punkt im parlamentarischen Verfahren noch Nachbesserungen hinbekommen haben. Die betroffenen Menschen müssen also nicht gänzlich austherapiert sein, bevor ihnen geholfen wird. Dafür vielen Dank auch an das zuständige Ministerium.

Ich habe die Hoffnung, dass wir an der einen oder anderen Stelle noch weitere Punkte dieser Art im Konsens miteinander besprechen und verabschieden können. Das wäre schön, es würde mich freuen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank. – Dr. Harald Terpe spricht jetzt für Bündnis 90/Die Grünen.


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7060884
Wahlperiode 18
Sitzung 212
Tagesordnungspunkt Änderung betäubungsmittelrechtlicher Vorschriften
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