19.01.2017 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 212 / Tagesordnungspunkt 4

Burkhard BlienertSPD - Änderung betäubungsmittelrechtlicher Vorschriften

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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am heutigen Tag vollziehen wir endlich nach langen Jahren einen längst überfälligen Schritt im Bereich der Therapiealternativen. Einige Hundert Patientinnen und Patienten haben diese Gesetzesnovellierung herbeigesehnt. Nun können wir Vollzug melden. Besonders erwähnen möchte ich Herrn ­Grotenhermen. Er wird die heutige Debatte wahrscheinlich verfolgen. Er hat sich sehr stark dafür eingesetzt und auch hier in Berlin einen eindrucksvollen Beitrag dazu geleistet.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Karin Maag [CDU/CSU])

Wir beschreiten neue Wege. Es ist uns bewusst, dass nun ein Medikament erstattungsfähig wird, obwohl die Evidenz nicht vollumfänglich belegt ist. Ich finde aber, dass dieser Schritt an dieser Stelle richtig und verantwortbar ist.

Ich möchte mich auch für die sachliche Debatte in der Vergangenheit bedanken: beim Koalitionspartner, beim Gesundheitsministerium, bei der Geschäftsstelle der Drogenbeauftragten, aber ganz besonders auch bei der Opposition. Normalerweise sollten wir zwar im Parlament streiten, aber dass wir an dieser Stelle in dieser Frage eine konstruktive Debatte hatten und das Gesetz verbessern konnten, liegt auch an Ihnen. Dafür herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich möchte auf drei Aspekte kurz eingehen, die mir besonders wichtig sind.

Der erste ist die Therapiehoheit des Arztes. Grundsätzlich ist festzuhalten: Wir haben es geschafft, die Patientinnen und Patienten in den Mittelpunkt zu stellen. Wir geben ihnen mit dieser Regelung die Möglichkeit, Cannabis auf legalem Wege und unabhängig vom Geldbeutel als Medikament zu beziehen. Wir haben es geschafft – und darüber freue ich mich sehr –, das faktische Vetorecht des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen zu streichen

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

und den behandelnden Ärzten somit eine reale Therapiehoheit zu sichern.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Es wäre höchst problematisch gewesen, die leidenden Patientinnen und Patienten quasi als Versuchskaninchen alle Therapieformen durchlaufen zu lassen, bevor ihnen Cannabis verschrieben werden dürfte, und das, obwohl der behandelnde Arzt bereits gute Erfahrungswerte diesbezüglich gesammelt hat. Wir werden in den nächsten Wochen und Monaten die Verschreibungen und Anwendungsgebiete genau beobachten, und wir werden dann genau sehen können, wie sich die Patientenzahlen und natürlich auch die Kosten entwickeln werden.

Punkt zwei, die Evidenz. In Hinblick auf Cannabis als Medizin werden wir in den nächsten Monaten und Jahren Daten und Fakten aus unterschiedlichen Forschungsprojekten bekommen. Daher ist es richtig, dass dafür im Bundesforschungsministerium entsprechende Haushaltsmittel vorgesehen sind. Die Aktivitäten – da bin ich mir relativ sicher – werden in den nächsten Jahren eine Dynamik entwickeln, die wir heute noch gar nicht richtig vermuten können.

Punkt drei, die Versorgungssicherheit. Auch die ist gewährleistet, weil es jetzt schon Produzentinnen und Produzenten gibt, die Cannabis anbieten. Ich bin mir sicher, dass wir keine Versorgungsengpässe in der nächsten Zeit zu befürchten haben. Wir werden uns wundern, wie viele Anbieter und Hersteller sich in Deutschland auf dem Markt tummeln werden.

Zur Versorgungssicherheit zählt aber neben der Produktionsfrage auch die Verschreibungsmöglichkeit. Um die Versorgung flächendeckend gewährleisten zu können, müssen nun zudem auch die Ärztinnen und Ärzte umfangreich über die Wirkungsweisen und Anwendungsgebiete von Cannabis informiert werden. Es darf keinen Unterschied ausmachen, ob man in der Stadt oder auf dem Lande wohnt. Deshalb brauchen wir dort Weiterbildungs- und Fortbildungsmaßnahmen in allen Bereichen.

Im Hinblick auf die Versorgung rate ich daher den Versorgungspartnern des Rahmenvertrags zudem, sich auf ein Sonderkennzeichen zur Abgabe dieser Arznei in Apotheken zu verständigen. Dies macht zukünftig die Versorgung nachvollziehbar und sicherer. Nicht alles muss der Gesetzgeber regeln. Ich bin mir sicher, dass alle Beteiligten an der Stelle gemeinsam Lösungen finden werden.

Lassen Sie mich aber noch einmal auf den Aspekt der Legalität von Cannabis als Medizin zurückkommen und davon ausgehend den Bogen ein bisschen weiter spannen. Wir ermöglichen heute einem Personenkreis den Zugang zu Cannabis. Wir machen dies, weil wir wissen, dass diesen Personen damit geholfen werden kann. Wir begründen unsere Entscheidung auch damit, dass wir niemanden in die Illegalität, auf den Schwarzmarkt drängen wollen, wo gegebenenfalls die Stoffreinheit bzw. der exakte THC-Gehalt nicht gewährleistet werden kann, wo Strafe und Verfolgung, Stigmatisierung und damit auch sozialer Abstieg drohen. Wir sagen zudem, dass die Therapie nicht vom Geldbeutel abhängen darf. Wir machen dies alles, obwohl bislang nicht alle Aspekte geklärt sind, Auswirkungen noch nicht absehbar sind. Aber wir gehen trotzdem diesen Schritt, und das ist auch gut so.

Ich finde es richtig, dass wir die Entscheidung über die Einnahme von Cannabis als Medizin nicht mit der Diskussion um den Alltagsgebrauch vermischen. Das ist voneinander zu trennen, und das haben wir gemacht. Das war der richtige Weg.

(Beifall der Abg. Karin Maag [CDU/CSU])

Nur die Frage von Cannabis im Alltag bleibt; die hat sich durch diese Debatte natürlich nicht aufgelöst. Ich bin mir aber sicher, dass die Diskussionen der letzten zwei Jahre – insbesondere die Debatte, die wir in den letzten Monaten sowie gestern im Ausschuss geführt haben und heute hier führen – und die Erfahrungen in der Zukunft zu einer Entideologisierung beitragen können, was die Bewertung von Cannabis betrifft.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN sowie des Abg. Dr. Harald Terpe [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Das wird zukünftige Entscheidungen auf diesem Gebiet sachlicher und gerechter werden lassen.

Meine Meinung dazu ist praxisorientiert: Wir sollten als Gesellschaft und auch als verantwortliche Politiker die Menschen nicht im Stich lassen, die Cannabis konsumieren. Trotz Verbot sind es Millionen in Deutschland, die Cannabis schon probiert haben oder es regelmäßig konsumieren. Wir sollten die Debatte von der Seite her führen: Was hilft den Konsumenten? Das bedeutet: entkriminalisieren, den Konsum regulieren und ihn dadurch aus der Kriminalität und somit auch aus der organisierten Kriminalität herausführen.

(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Frau Präsidentin, ein letzter Satz dazu: Die Geschichte um Cannabis ist daher mit dem heutigen Tage nicht beendet, sondern die Geschichte um Cannabis in Deutschland wird eine Fortsetzung finden.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN)

Vielen Dank. – Jetzt hat der Kollege Rainer Hajek für die CDU/CSU-Fraktion das Wort.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7060890
Wahlperiode 18
Sitzung 212
Tagesordnungspunkt Änderung betäubungsmittelrechtlicher Vorschriften
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